Es mag jämmerlich scheinen, aber unsere Autorin steht offen dazu: Wenn es ihr schlecht geht, schaut sie sich auf Social Media Profile von Menschen an, die sie nicht leiden kann – um sie zu hassen und sich besser zu fühlen. Sie sagt: Hate-Following kann gut für die Seele sein.
Wir alle haben sie, diese kleinen, dreckigen Geheimnisse, die zwar irgendwie unrühmlich sind, aber dafür sorgen, dass wir uns besser fühlen. Man kann Yoga machen oder zu "Rage Against The Machine" mit der Faust gegen die Wand schlagen, man kann jemanden anschreien, der es nicht verdient hat oder ein kleines Schnäpschen trinken, man kann rennen gehen oder einatmen und wieder ausatmen (eh immer zu empfehlen). Oder man kann sich mit seinem Dark-Account (das ist ein anonymer Zweit-Account) bei Instagram einloggen und Menschen beim Leben zusehen, die man hasst.
Einige von euch werden jetzt denken: WTF, wer macht denn so was? Ich sag' mal so: Du offenbar nicht, weil du wahrscheinlich ein besserer Mensch bist als der Rest von uns. Ein sehr viel größerer Teil wird aber sofort wissen, was ich meine, denn diese Gruppe der Menschheit besteht aus ebenso kleinen, jämmerlichen Amöben, wie ich manchmal eine bin, und wir alle machen etwas, das "Hate-Following" heißt.
Hate-Following – Was ist das eigentlich?
Hate-Following bedeutet nichts anderes, als heimlich Personen im Internet zu folgen, deren Leben man peinlich und deren Charakter man schlecht findet. Oder mit denen man mal irgendwann zu tun hatte (auf meist eher ungute Weise) und sich deshalb vergewissern will, dass deren Leben viel schlechter läuft als das eigene.
Immer wieder lese ich auf Social Media, wie armselig Hate-Following sei, und ja klar ist es das, aber es ist eben auch: sehr verbreitet. Nun könnte man sich zur Heldin der Emotionskontrolle aufschwingen und auf den sanften Winden der Überlegenheit dahingleiten, aber man kann auch einfach ehrlich sein und sagen: Menschen machen Menschensachen und dies ist eben eine davon.
Ablenkung durch Abwertung anderer
Laut einer Studie der Uni Oxford lenken sich vor allem sehr schlecht gelaunte Menschen vom eigenen Elend ab, indem sie das Leben anderer betrachten und abwerten. Das ist natürlich genauso menschlich, aber auch eine ganz traurige Nummer, weil andere Leute doof zu finden ja an sich schon mal das Menschheitsproblem Nummer eins ist. Hätten wir uns alle ein bisschen lieber und wären toleranter und weniger Arschlöcher, gäbe es sehr viel Schlechtes auf dieser Welt nicht mehr, zum Beispiel die CDU (sowas wird vermutlich hier rausgestrichen. Anm. d. Red.: Wen unsere Autorin "hated", entscheiden nicht wir.) Aber, Pech gehabt, wir sind fühlende Wesen mit mächtig viel Meinung, und manchmal fühlen wir uns eben elendig und sind ein bisschen niederträchtig.
In solchen Momenten versuche ich tatsächlich erst mal, etwas Konstruktives zu machen, wie zum Beispiel, mich ins Bett zu legen und zu weinen. Aber ganz selten, so circa zweimal die Woche für fünf Minuten, kann ich es nicht lassen und schaue mir die fünf immer gleichen Accounts von Personen an, die ich wirklich so richtig doll nicht leiden kann. Das liegt vor allem daran, dass sie ihren Angeber-Lebensstil so dermaßen pseudo-selbstironisch abfeiern, dass jedem klar ist, dass die es eigentlich sehr gut finden, sehr reich zu sein; und ich kann mir dann fünf Minuten lang vormachen, dass ich so ein Leben niemals haben wollen würde, in meiner winzigen Ein-Zimmer-Wohnung in Berlin-Wedding. Einer folge ich zum Beispiel, weil sie mal gemeine Sachen über mich gesagt hat und es mir Genugtuung verschafft zu sehen, wie einfallslos und lahm ihre Gedanken sind. Natürlich kommentiere ich bei allen niemals, denn es gibt einen großen Unterschied zwischen Hate-Following und Trollen. Außerdem wünsche ich diesen Leuten nichts wirklich Schlechtes, ich kann sie eben bloß nicht leiden, aber das muss ich ihnen ja nicht unbedingt mitteilen.
Eine Möglichkeit, sich besser zu fühlen
Ich weiß, dass es auch Menschen gibt, die mir folgen, weil ich für sie das bin, was diese fünf für mich sind: Eine Möglichkeit, sich über jemand anderen zu erheben, sich lustig zu machen, sich besser zu fühlen. Ich finde das total in Ordnung, manchmal bekomme ich es mit, meistens nicht. Wenn ich es mitbekomme, amüsiert mich das sehr, weil ich ja auch nicht besser bin, so ehrlich muss man dann eben sein.
Und natürlich sollten wir und muss ich mich immer wieder fragen, was die Beweggründe fürs Hate-Following sind. Influencerinnen zu hassen kann misogyn sein, Menschen nicht leiden zu können, denen man sich intellektuell überlegen fühlt, kann klassistisch oder ableistisch sein. Es ist eben wie immer im Leben: Jede Intention sollte man hin und wieder mal kritisch überprüfen.
Manchmal jedoch finden wir eben jemanden so richtig – Pardon my French – kacke. In einer Welt, in der wir ständig nett sein sollen, ist das ein kurzer Urlaub von der ewigen Selbstoptimierung. Es macht nichts besser oder schöner, aber in diesen kurzen Augenblicken geht es eben auch glücklicherweise vielleicht einfach mal nicht darum.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 3/23.
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