Als Kanzlerkandidatin bekam sie enorm viel Gegenwind, doch der hat sie nicht umgeweht: Annalena Baerbock macht gerade einen richtig guten Job! Hier kommt eine kleine Ode an unsere Außenministerin.
Steht eine Frau in der Öffentlichkeit...
Wenn eine Frau es wagt, in der Öffentlichkeit den Mund aufzumachen oder einfach nur eine Meinung zu etwas zu haben, dann muss sie mit Hass rechnen. Und wenn sie dann auch noch so unverschämt ist, ein hohes Amt einzunehmen, dann ist sie eh selbst schuld, wenn sie beleidigt wird – so die Meinung so mancher, zu weiten Teilen männlicher Zeitgenossen. Ziemlich vorhersehbar und wenig kreativ!
Es war klar, dass Annalena Baerbock aufgrund ihres Geschlechts die Kompetenz abgesprochen werden würde. Dass man ihr die außenpolitische Bühne nicht zutrauen und sich lieber auf die Frage konzentrieren würde, wer denn bitte auf die Kinder aufpasse, wenn sie in der Welt unterwegs sei (Spoiler: ihr Mann).
Polarisiert hat sie von Anfang an, nicht erst mit ihrem Antritt als Bundesaußenministerin. Mit ihrer offiziellen Kandidatur für das Kanzler:innenamt stand sie plötzlich in einem Spotlight, das so grell war, dass Kritiker:innen darunter garantiert Futter fanden, wenn sie nur suchten. Und oh, wie sie suchten! Sie brachten Dinge ans Licht, die Baerbock schließlich einen Strich durch die Rechnung Kanzlerin machen. Sie selbst hatte einen Anteil daran: Lebenslauf, Corona-Sonderzahlungen, Plagiatsvorwürfe… Die Negativ-Schlagzeilen überschatteten vieles, was sie richtig machte. Positionen, die sie vertrat, die sich heute als richtig erwiesen haben und deren Beigeschmack mittlerweile eher so à la "hate to say I told you so" anmutet. Ihre Warnung vor Nord Stream 2 zum Beispiel.
Hass, Häme und Männer, die Feminismus nicht verstehen
Annalena Baerbock hat immer Gegenwind bekommen. Und was sich nach einer spontanen Brise anhört, ist genau das Gegenteil: geplant, gezielt, strukturell. Manche Hater verstecken sich hinter Floskeln und nehmen Lebenslauf oder Bonuszahlungen als Vorwand für ihre wenig konstruktive Kritik. Andere machen sich die Mühe gar nicht erst und schreiben offen misogyn, sie als Frau habe in diesem Amt nichts zu suchen. Das reicht von Twitter-Kommentaren, die beständig wie Marder immer und immer wieder an ihr nagen, bis hin zu Kollegen, die ihr ganz offen ihre Fähigkeiten absprechen.
"Zu einer Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts [gehört] auch eine feministische Sichtweise. Das ist kein Gedöns, sondern das ist auf der Höhe dieser Zeit."
Hass, Häme und Sexismus werden als Machtinstrumente strategisch eingesetzt, um eine Frau zu zermürben, sie in Frage zu stellen, ihre Macht zu untergraben, sie zu diskreditieren und kleinzuhalten. Eine Frau als Chefin des Auswärtigen Amtes – und noch dazu eine grüne und offen feministische – das ist zu viel zu ertragen für so manche. Baerbock steht für einen ganzheitlichen und intersektionalen Ansatz in der Außen- und Sicherheitspolitik. Dass so einige Männer nicht verstehen, was das bedeutet, und es belächeln, stellte zuletzt CDU-Chef Friedrich Merz eindrucksvoll unter Beweis. Im immer noch mehrheitlich männlichen Bundestag zu bestehen, dessen extremer Sexismus gegenüber Politikerinnen in der jüngeren Vergangenheit immer mehr ins Licht der Öffentlichkeit geriet, und noch dazu unter dem kritischen Adlerauge der Gesellschaft auf der internationalen Bühne – das erfordert ganz schön viel Kraft.
Hilfe gegen Hate Speech:
Du kennst Betroffene von Hass im Netz oder bist selbst betroffen? Schau hin und mach darauf aufmerksam. Der Verein Hate Aid kann helfen.
Annalena Baerbock ist im Amt angekommen
Annalena Baerbock besitzt diese Kraft offenbar. Und die Zeit, sich Skepsis und Hass zu Herzen zu nehmen, hatte sie womöglich nicht einmal. "Ich bin erst drei Monate im Amt, aber es fühlt sich an wie drei Jahre”, sagte sie vor kurzem bei einem Besuch im Kosovo. 100 Tage Schonzeit der Regierung – die gab es für Baerbock nicht. Inmitten des Kriegs in Europa ist sie im Eiltempo neben Kanzler Olaf Scholz zum Gesicht der deutschen Außenpolitik geworden. Und das ist sie souverän, zukunftsorientiert und laut: Sie setzt Zeichen – ob mit ihrer Reise zum Balkan, ihrem Engagement in ukrainischen Geflüchtetenlagern oder vor der NATO.
Es scheint, als sei sie mit neuer Superpower hervorgegangen aus dem Kritikkarussell der vergangenen Monate. Das soll keineswegs bedeuten, dass Hass und Häme dich zu einer starken Person machen und du zwangsläufig nur einen guten Job machen kannst, wenn du es einmal schwer hattest. Aber Baerbock hat es zumindest nicht geschadet. "Die hässliche Zeit hat sie gestählt", schreibt tagesschau.de. "Viel schlimmer kann es nicht werden – auch nicht auf der Weltbühne." Eine Frau aus Stahl also? Übermütig erklärte der wohlwollende Teil der Twitter-Gemeinde sie zur Superwoman.
Und plötzlich geht es wieder bergauf
Frauen, die Stärke beweisen – das ist genauso sehr Floskel wie gefährliche Konnotation, die falsche Ansprüche stellt und zugleich Schwächen abwertet. Deshalb wollen wir hier nicht sagen, die Kritik und der Hass hätten Baerbock stark gemacht. Sie zeigt aber, was echte Kraft ist. Dass man als Frau nicht alles aushalten muss, es aber kann. Dass, wenn man im Rücken nichts als Kritik hat, es die beste Option ist, diese in Rückenwind umzuwandeln.
Von ihrer Resilienz und Kompetenz zeigen sich derzeit viele beeindruckt. So schnell wie sich die öffentliche Meinung von Baerbock im Wahlkampf ins Negative drehte, so rapide ging es wieder bergauf für sie. Nach all den politischen Höhen und Tiefen ist in den Beliebtheitscharts nun ein deutlicher Aufwärtstrend zu verzeichnen. Der Twitter-Hass besteht natürlich weiterhin, doch derzeit bekommt sie auch wieder viel Zuspruch und Anerkennung – teilweise sogar von bisherigen Kritiker:innen, die demonstrieren, dass es möglich ist, auch öffentlich eine Meinung zu revidieren. Andere zügeln ihre Begeisterung kaum und preisen Baerbock als Übermenschen, der unter Kritikfeuer zu Höchstleistungen aufsteigt. Und zugleich ist sie plötzlich für alle nur noch "Annalena" – weniger despektierlich gemeint als beinahe freundschaftlich vertraut.
Wir feiern Annalena Baerbock!
Auch wir feiern Annalena. Für ihre Souveränität, ihre Kompetenz, ihre Kraft und ihre Ehrlichkeit. Es ist durchaus nicht selbstverständlich, dass ein Wahlversprechen so konsequent eingehalten und umgesetzt wird wie Baerbocks Versprechen einer feministischen Außenpolitik. Sie bietet alteingesessenen Politikern der Welt die Stirn als hätte sie nie etwas anderes getan, sei es Friedrich Merz oder der russische Außenminister Lawrow. Sie spricht Klartext und nennt die Dinge beim Namen, versteckt sich nicht hinter diplomatischen Phrasen wie so viele andere vor und neben ihr. Dass das so erfrischend und wohltuend wirkt, zeigt, dass es noch viel zu selten der Fall ist. Und gleichzeitig schafft sie es irgendwie, sich neben den akuten Themen auch noch um längerfristige Projekte wie den Klimaschutz zu kümmern.
Natürlich ist das mit der Superheldin übertrieben, denn eigentlich ist sie genau das Gegenteil: ein Mensch, der fehlbar ist, zu Schwächen steht, die eigenen Stärken aber kennt und ziemlich richtig einsetzt. Eine ganz normale Frau, die den Umständen trotzt und zurzeit sehr viel sehr richtig macht. Ein ziemlich tolles Rolemodel, das zeigt: Du musst dir nicht alles gefallen lassen. Du musst niemandem etwas beweisen und kannst es dennoch allen zeigen.
Baerbock macht das so gut, dass neben all dem Hass auf Twitter plötzlich auch #kanzlerin trendete. Von uns aus: gern! Aber zunächst macht sie einen tollen Job als Bundesaußenministerin. Deshalb: Respekt, Annalena! Go for it!
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