Plakate der erotischen Audio-Streamingplattform femtasy wurden als "zu explizit" eingestuft, um in der Berliner U-Bahn gezeigt zu werden. Sie zeigen eine weibliche Hüfte sowie eine bedeckte Brust. Im gleichen U-Bahnhof hängt jedoch eine Kampagne der BZgA mit zwei nackten Männeroberkörpern. Was soll das nur?!
femtasy, eine Streamingplattform für erotische Audios aus den Kategorien Story, Sound und Soul, hat jüngst eine neue Kampagne mit dem Slogan "Will kommen" gelauncht. Das Ziel: die weibliche Lust von Stigmata, Tabus und Performance-Druck zu befreien. Denn viele Frauen sprechen immer noch nicht gerne über ihre Sexualität oder schämen sich sogar für ihre Lust.
Nun sollten die entsprechenden Werbeplakate in der Berliner U-Bahn-Station Alexanderplatz aufgehängt werden. Die Motive, die femtasy ursprünglich dafür fotografierte, wurden jedoch abgelehnt. "Zu explizit", lautete laut femtasy das Argument der für die Vermarktung der Plakatflächen zuständigen Stelle. Die Bilder müssten deutlich "entschärft" werden, sollen keine Hüftkurven und erkennbare Brüste zeigen. Außerdem würde die Darstellung erfahrungsgemäß die Beschwerden von Passant:innen nach sich ziehen.
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Das Skurrile daran: Nur ein paar Meter neben den nun veröffentlichten Plakaten von femtasy, die nur noch Schultern, Schlüsselbein und Gesicht der fotografierten Frau zeigen, hängt ein Plakat der „Hautnah“-Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Dieses zeigt die nackten Oberkörper zweier Männer, die sich gegenseitig an die Hose fassen. Was die Frage aufwirft: Wieso müssen femtasys Motive "entschärft" werden und dieses nicht – obwohl die Motive ähnlich viel nackte Haut und sexuelle Andeutungen zeigen?
Wie kann das sein?
Diese Frage ist schnell beantwortet: Weil die abgebildeten Körper auf dem Plakat der BZgA als männlich gelesen und damit weniger sexualisiert werden. Weibliche Körper sind in unserer Gesellschaft nicht einfach nur Körper – sie sind direkt Sexobjekte und werden anders dargestellt und wahrgenommen als männliche Körper. Dafür ist das Verbot von femtasys Kampagnenmotiven nicht das einzige Beispiel: Beinahe jede Frau hat schon einmal Catcalling, also sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum, erlebt. Letztes Jahr erhielt eine nicht-binären Person in einem Schwimmbad Hausverbot, weil sie mit freiem Oberkörper schwamm und die Verantwortlichen sie als Frau lasen. Männer, die in der Öffentlichkeit urinieren, sorgen häufig für weniger Empörung als Frauen, die ihre Kinder stillen – ein nackter Penis, der (bestenfalls) in ein Gebüsch gehalten wird, scheint also für viele Menschen weniger anstößig zu sein als die nackte Brust einer Frau. Obwohl es sich beim Penis um ein primäres und bei weiblichen Brüsten um ein sekundäres Geschlechtsmerkmal handelt – aber das nur nebenbei.
Außerdem ist die Debatte um eine selbstbestimmte weibliche Sexualität noch immer ein gesellschaftliches Tabu. Im vergangenen Jahr klagte Dame, ein Hersteller von Sexspielzeug für Frauen, dagegen, keine Werbung in New Yorker U-Bahnen machen zu dürfen – während Plakate für Viagra kein Problem darstellten. Dame gewann.
Aber was ist mit den Kindern?
Auf Anfrage von EMOTION.digital begründete das für die Vermarktung der Plakatflächen am U-Bahnhof Alexanderplatz zuständige Unternehmen seine Ablehnung der Motive unter anderem damit, dass es diese für den öffentlichen Raum als nicht kompatibel für Kinder und Jugendliche sähe. Dabei ginge es weniger um die nackte Haut an sich oder deren Anteil, sondern um das "Zusammenspiel zwischen Text und anderen Bildelementen". Welches "Zusammenspiel" hier genau gemeint ist, wollte das Unternehmen leider nicht erklären.
Das Fachteam des Deutschen Kinderschutzbundes schätzt die beiden abgelehnten Motive von femtasy (Bild oben und Titelbild dieses Artikels) auf Anfrage von EMOTION.digital als nicht problematisch für Kinder und Jugendliche ein.
Gleichberechtigt? Noch lange nicht
Der Fall der femtasy Plakate erweckt nun den Eindruck, als dürften Frauen gerne als sexy Blickfang in Werbekampagnen hinhalten – solange diese sich an Männer richten. Bei der Werbemelder*in, der Meldestelle für sexistische Werbung von pinkstinks, gingen bisher 11.145 Meldungen sexistischer Werbung ein. Frauen, die mit knappen Hotpants und einem Hammer über der Schulter für eine Trockenbaufirma werben oder sich an einem Dönerspieß räkeln, sind Motive, die wir gerne verbieten könnten. Sie reproduzieren Sexismus – und sind damit für Kinder und Jugendliche erst recht gefährlich. Doch wenn Frauen selbst ein Konzept erarbeiten, sich vor die Kamera stellen (die abgelichteten Frauen sind alle weibliche Mitarbeitende aus dem femtasy-Team, die voll und ganz hinter der Werbekampagne stehen) und sich für mehr sexuelle Selbstbestimmung positionieren, ist es plötzlich "zu viel"? Während einige Meter weiter nackte Oberkörper von Männern hängen? Echt jetzt?
Sexualisierung vs. Normalisierung
Wir müssen aufhören, Körper unterschiedlich zu bewerten und darzustellen. Egal, welchem Geschlecht sich eine Person zuordnet, ein Körper ist ein Körper – und kein anstößiges Sexobjekt. Und nein, das bedeutet nicht, dass wir Menschen jetzt nicht mehr sexuell anziehend finden dürfen. Aber es kann einfach nicht sein, dass jedes Stück nackter weiblicher Haut in der Öffentlichkeit eine solche Debatte auslöst. Das Problem ist nicht, dass wir Kindern und Jugendlichen mit der Darstellung weiblicher Körper "zu viel zumuten", das Problem ist, dass wir sie in sexistische Strukturen hineinerziehen. Wir müssen aufhören so zu tun, als müssten wir die Öffentlichkeit vor weiblichen Körpern schützen. Das ist eine klassische Täter-Opfer-Umkehr frei nach dem Motto "Wer so ein kurzes Kleid anzieht, will doch angeschaut werden". Nur, wenn wir alle Körper gleichermaßen normalisieren, können wir die Gleichstellung aller Geschlechter sowie eine selbstbestimmte Sexualität für alle erreichen.
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