Aber leicht ist das nicht: Alle versuchen weniger auf ihre Displays zu starren und kriegen das mit dem Digital Detox doch nicht hin. Warum? Weil Facebook, Instagram und Co. unsere Gehirnchemie triggern. Wie Alkohol oder Süßigkeiten. Unsere Autorin versuchte den sanften Entzug.
Neulich, als ich wieder zu viel Zeit damit verbrachte, sinnlos durch Twitter zu scrollen, las ich einen Tweet, der meine Gefühlslage ziemlich treffend zusammenfasste: "Social Media ist wie dieser Plastikstrudel im Ozean. Ein riesiger, wachsender Haufen Müll, von dem niemand weiß, wie sehr er uns noch schaden wird."
Ich fühlte mich ertappt, aber nicht, weil ich nicht wüsste, was die Folgen sind, sondern weil ich den Riesenhaufen trotzdem in mein Leben lasse. Mit dem Gefühl bin ich nicht allein, inzwischen gehört das Kokettieren mit der eigenen Smartphone-Sucht zum guten Gespräch. Jeder scheint zu wissen, wie schädlich Dauerkonsum ist: Schlafstörung, verkürzte Konzentrationsfähigkeit, schlecht für Augen, Nacken und unser Miteinander sowieso. Und doch glotzen wir alle weiter auf unsere Displays: 3,5 Stunden verbringt man jeden Tag durchschnittlich mit seinem Smartphone.
Dabei scheint die Sehnsucht nach einem Leben ohne Mobiltelefon groß zu sein. In Amerika gibt es mittlerweile Rehab-Zentren für handysüchtige Kinder. Im Berghain wird schon lange jede Handykamera abgeklebt und in Hamburg hat jetzt der erste Club eröffnet, in dem Smartphones verboten sind. Nur: Warum schaffen wir die Trennung nicht?
Eigentlich liefert uns die Zeit die besten Argumente. Hatten wir doch immer geahnt, dass Facebook mit Daten handelt! Wie sehr das der Fall ist, wurde gerade durch Cambridge Analytica deutlich. Trotzdem war #deletefacebook nur ein sehr müder Aufschrei. Diskussionen um Social-Media-Revolutionen fühlen sich so träge an, weil man sofort spürt, dass sie bereits an einem selbst scheitern. Wie die lateinische Lebensweisheit sagt: Sein eigener Sklave zu sein ist die härteste Knechtschaft.
Tatsächlich hätte ich nie gedacht, dass mir das passieren würde. Ich war diejenige, die im Freundeskreis einführte, bei Treffen alle Handys in einer Schale zu parken. Die Freunden verbot, auf Konzerten zu filmen. Trotzdem merke ich, dass ich mich nicht mehr gut konzentrieren kann, selbst wenn ich ein Buch lese. Der Griff zum Smartphone ist zum Automatismus geworden. Dank der App "RealizeD" weiß ich jetzt, dass ich das jeden Tag 75-mal tue.
Apps werden extra so designt, dass man viel Zeit mit ihnen verbringt
"Das liegt daran, dass Apps bewusst so gestaltet werden, dass wir möglichst viel Zeit mit ihnen verbringen", erklärt Catherine Price, Autorin von "Endlich abschalten." Denn nicht mit unseren Daten, mit unserer Aufmerksamkeit verdienen Konzerne Geld. Der Schlüssel dazu heißt Dopamin. Das Glückshormon wird ausgeschüttet, wenn auf eine Handlung ein positiver Überraschungsmoment folgt. Wenn wir zum Beispiel bei Twitter den Newsfeed runterziehen, um die neueste Nachricht zu lesen. Dem Gehirn ist dabei leider völlig egal, dass das oft ins Leere führt. Sobald man einmal wieder etwas Cooles entdeckt, will es mehr davon und verführt uns immer wieder, nach dem Smartphone zu greifen. "Geben wir diesem Impuls nicht nach, bedeutet das für den Körper Stress", weiß Catherine Price. Deshalb fühlt sich jeder Versuch, weniger Zeit am Handy zu verbringen, nach Diät an.
Facebook, Instagram und WhatsApp haben uns zum pawlowschen Hund gemacht, zu Zombies an einer Slot-Machine. Der ehemalige Facebook-Präsident Sean Parker gibt das heute offen zu. "Deshalb bringen auch Tipps wie 'Kauf dir einen Wecker' nichts", sagt Price. Eine Einzelmaßnahme helfe nicht gegen die Sucht. "Man muss verstehen, dass man manipuliert wird, und erkennen, welche Gefühle das Handy in einem auslöst. Wenn Sie das nächste Mal unbewusst zum Handy greifen, beobachten Sie mal, was Sie dabei empfinden."
Der Moment lässt nicht lange auf sich warten. Als ich das Smartphone wieder in der Hand habe, spüre ich tatsächlich eine innere Unruhe. Ich bin nervös und versuche offensichtlich, das Gefühl mit dem Gerät loszuwerden. Ich hetze durch meine Accounts, als wäre ich auf der Flucht. Genieße gar nicht, was ich sehe. Es ist paradox: Auch meinem Handy schenke ich nicht die volle Aufmerksamkeit.
Kein Wunder, ich habe mich ja nicht bewusst entschieden, es in die Hand zu nehmen. "Daher ist der nächste Schritt, Dopamin-Trigger loszuwerden", sagt Price. Das meint die grellen Farben und roten Zahlen, die signalisieren: Hier gibt's News. Ich lösche überflüssige Apps, den Rest sortiere ich in Ordner. Auf die Startseite sollten möglichst nur Anwendungen wie das Diktiergerät. Ich erinnere mich, dass in Catherine Prices Buch steht, man solle irgendwann die Social-Media-Apps löschen. Es ist mir peinlich, aber ich bekomme Panik. Sind dann nicht alle meine Instagram-Fotos weg?
"Es sollte nie der erste Schritt sein, aber vielleicht kommen Sie am Ende selbst dahin", sagt Price. Als ich meine Apps sortiere, fühlt es sich an, als würde sich auch etwas in mir sortieren. Ich bin innerlich aufgeräumter, als hätte ich einen längst verloren geglaubten Überblick zurückgewonnen. Vom Homescreen soll ich das Bild von meinen Mann und mir löschen. Alles Stimulierende muss weg, auch die Push-Nachrichten der Tageszeitungen.
Ein aufgeräumtes Display hilft beim Abschalten
Auf meinem Screen steht jetzt: "Meine Zeit". Von mir selbst auf ein Blatt Papier geschrieben und abfotografiert. Und nein, das sieht nicht cool aus, ist kein kunstvolles Lettering. Der Spruch soll mich nur daran erinnern, was mir verloren geht, wenn ich ziellos mit dem Handy surfe. Die Ordner, in die ich jetzt gehen muss, um zu den Apps zu kommen, sind die nächste Barriere.
Und es wirkt. Schon nach ein paar Tagen fühle ich mich seltsam beruhigt. Als hätte mir jemand gesagt, dass es in Ordnung sei, sich nicht ständig mit seinem Handy zu beschäftigen. Klar greife ich immer wieder danach, aber sobald der Screen angeht, ist da nichts und ich lege es wieder weg. Auch die Angst, etwas zu verpassen, stellt sich nicht ein. Dafür habe ich plötzlich wieder Muße, meinen Blick mal schweifen zu lassen.
"Was viele unterschätzen ist, dass wir diese Pausen für unsere mentale Gesundheit brauchen", erklärt Price. Denn soll etwas aus dem Kurz- ins Langzeitgedächtnis wandern, braucht das Gehirn Ruhe, um neue Verbindungen knüpfen zu können. Je mehr davon, desto mehr Kapazität haben wir, komplexe Vorgänge in Zusammenhang zu bringen. Tatsächlich sind das die Momente, in denen wir neue Ideen entwickeln. Während wir scheinbar nichts tun, leistet unser Gehirn sehr viel. Eine Art der Produktivität, die heute kaum noch Raum hat.
Immer mehr kann ich mir vorstellen, mich wirklich für eine Zeit von Facebook- und Instagram-App zu trennen. Um zu gucken, was das mit mir macht. Es geht nicht darum, das Handy nicht mehr zu nutzen, sondern um achtsameren Konsum. Für alle, die das nicht überzeugt: Überlege mal, warum Steve Jobs und Bill Gates ihren Kinder Handys und Tablets erst mit 14 erlaubt haben. Weil sie wussten, was sie tun.