Am 10. Oktober ist Welthundetag. Unsere Autorin wollte schon länger einen Hund – irgendwann einmal. Dann kam die Pandemie und mit ihr Corona-Hund Jamie. Etwas sehr Kleines, das eine ziemlich große Veränderung brachte...
Eine Handvoll (Corona)-Hund
Winselnd hockte er neben meinem Sohn im Auto, eine Handvoll Hund, und schon da dachte ich: Hoffentlich haben wir uns nicht zu viel vorgenommen. Dabei war ich mir eigentlich sicher, zu wissen, worauf ich mich einlasse. Eigentlich wollten wir noch warten mit der Erfüllung unseres Hundewunsches, bis mein Sohn, 8, älter ist. Doch dann kam der Lockdown, ich hatte "nur mal so" bei einer Züchterin angerufen und – schwups – saßen wir mit Maske in einer fremden Küche voller Fellknäuel, von denen wir für eines eine Anzahlung daließen.
Schuldgefühle und Pipi auf dem Parkett
Ich war mit Hund aufgewachsen, kannte mich aus. Dachte ich. In den ersten Tagen, in denen Jamie nachts stündlich erwachte, das Parkett vollpinkelte und uns mit seinen Welpenzähnen die Arme zerbiss, wurde mir klar: Ich hatte keine Ahnung. Ich spürte die Enttäuschung meines Sohnes, der sich einen Kumpel gewünscht hatte und nun ständig von uns zurechtgewiesen wurde, diesen in Ruhe zu lassen. Bemerkte die Resignation meines müden Mannes, der nur einmal friedlich seinen Kaffee trinken wollte, ohne dass jemand rief: "Ich glaube, der Hund muss." Und fühlte mich schuldig. Ich hatte doch behauptet, dass das toll wird. Jetzt war alles aus dem Gleichgewicht und jedes Mal, wenn beim Gassigehen jemand kreischte, so einen wolle er auch, wollte ich zurückschreien: "Tu es nicht!"
Jedes Mal, wenn beim Gassigehen jemand kreischte, so einen wolle er auch, wollte ich zurückschreien: "Tu es nicht!"
Meike WerkmeisterTweet
"Du gehörst zu uns"
Nach ein paar Wochen jedoch kamen Gefühle ins Spiel. Jamie schlief nur mit Körperkontakt und reagierte nicht auf die Tipps der Hundetrainerin, die ich zurate zog. Kein Futter schmeckte ihm, dafür verrottete Dönerreste im Park. Doch wenn ich im Morgengrauen mit ihm durchs Viertel lief, noch die Knirschschiene im Mund (an dem Punkt der Erschöpfung war ich angelangt), beobachtete ich seine tapsigen Schritte und dachte: "Du gehörst zu uns." Auch mein Sohn verliebte sich. Jamie schlief bald in seinem Bett, und als das Kind endlich wieder zur Schule ging, wartete der Welpe davor und schleckte ihm zur Begrüßung das Gesicht ab – wie er es sich immer gewünscht hatte.
Auch Helikoptereltern auf der Hundewiese hatten sich das unkomplizierter vorgestellt
Mein Mann brauchte länger. Bis heute sagt er manchmal: "Stimmt, das können wir nicht mehr machen, wir haben ja einen Hund." Ich rechne es ihm hoch an, dass er einen anderen Satz nie laut ausgesprochen hat: "Ich oder der Hund." Ich hätte meinen Mann vermisst. Im Ernst: Wir waren beide zwischendurch kurz davor, aufzugeben. Weil wir uns betrogen fühlten um den Traum vom niedlichen neuen Familienmitglied, das sich so einfügt. Noch immer sage ich jedem, der mich wegen Jamie anhält: Ja, er sieht aus wie ein Plüschtier, ja, wir haben viel Spaß mit ihm. Aber ein Welpe hat Bedürfnisse, die sich oft nicht mit deinen decken, und spiegelt dir täglich deine eigene Ungeduld, Inkonsequenz und Inkompetenz. Genau wie die anderen Herrchen und Frauchen, die durch ihn in dein Leben treten.
Ein Welpe spiegelt dir täglich deine eigene Ungeduld und Inkompetenz
Meike WerkmeisterTweet
Ich lernte, dass es auch auf der Freilaufwiese Helikopterväter und Besserwissermütter gibt, die leidenschaftlich über Kotkonsistenz oder Schlafrhythmus diskutieren, und wann man besser die Klappe hält ("Deiner bekommt TROCKENFUTTER?"). Die anderen Coronahund-Eltern schlugen sich auf den ersten Blick souveräner als wir. Aber ich bemerkte ihre Augenringe. Hörte die Verzweiflung in ihren Stimmen, wenn Zumba, Lennox oder Lotti auch nach dem dritten Rufen noch fröhlich Jogger jagten. Wenn ich meinen Frust offen ansprach, gaben die meisten erleichtert zu, dass auch sie sich das unkomplizierter vorgestellt hatten.
Vielleicht wäre es ohne Hund einfacher – aber wir hätten was verpasst!
Ein Jahr ist Jamie nun bei uns. Er ist längst stubenrein und schläft (meist!) in seinem Korb. Mein Sohn vergöttert ihn und ist großer-Bruder-mäßig genervt, wenn Jamie ihm beim Toben in die Hacken zwickt. Ich fluche mitunter, wenn mich im Schreibfluss eine feuchte Nase stupst, und sehe Jamie dann laut meinem Mann so an, wie ich früher nur ihn angesehen hätte. Er selbst grummelt jeden Morgen, wenn das pubertierende Jungtier zu ihm aufs Kopfkissen hüpft und ihm vor lauter Wiedersehensfreude die Ohren schlecken will. Dann steht mein Mann mit einem tiefen Seufzen auf, klemmt sich den Hund unter den Arm und säuselt: "Komm, mein kleiner Schatz, wir gehen Pipi machen." Das sind die Momente, in denen ich denke: Jup, ohne Jamie wäre manches einfacher. Aber wir hätten ganz schön was verpasst.
Ein Hundekauf sollte immer wohlüberlegt sein. Infos dazu u. a. auf tasso.net
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