Wie können wir Karriere machen und gleichzeitig mental gesund bleiben? Dr. Maria Bergler ist Leadership-Trainerin und coacht vor allem weibliche Führungskräfte, weil sie weiß, dass deren Stress- und Erwartungsmanagement anders funktioniert. Worauf wir achten sollten, damit es mit dem Mental Load nicht zu viel wird, sagt sie im Interview. Am 8. Mai ist sie Speakerin beim EMOTION Women's Day.
EMOTION: Maria, was sind typische Fragen und Herausforderungen, mit denen besonders Frauen auf dich zukommen?
Dr. Maria Bergler: Eine Frage, die wirklich viele Frauen umtreibt, ist: "Kann ich das? Kann ich das wirklich?" Oft handelt es sich um Selbstzweifel. Die Frauen stellen sich oft selbst infrage, kennen vielleicht ansatzweise ihre Stärken, sehen sie aber eher als etwas Selbstverständliches an. Hinzu kommt, dass sie häufig einen sehr hohen Anspruch an sich selbst haben. Sie wollen sich weiterentwickeln, Karriere machen und sich selbst verwirklichen. Gleichzeitig zweifeln sie an ihren Zielen und Plänen, weil sie sich nicht vorstellen können, diese auch zu erreichen.
Woran liegt das?
Das liegt daran, wie wir Frauen in der Vergangenheit sozialisiert wurden. Wir sollen ja brav und fleißig sein, immer schön und adrett, und haben gelernt, uns dementsprechend anzupassen. Genau das fördert auch unser Schulsystem. Die Frauen, mit denen ich arbeite, sind alle relativ gut durch die Schule gekommen und haben verinnerlicht, dass Fleiß, Perfektionismus und Auswendiglernen ihnen Anerkennung und Lob bringen. In der Arbeitswelt hingegen werden Fleiß und Leistung von allen gleichermaßen erwartet. Leistung ist nur ein Hygienekriterium. Um noch weiter voranzukommen, fehlt Frauen häufig eine entscheidende Komponente: Eigensinnigkeit. Dabei geht es darum, dass sie sagen, was sie wirklich wollen und brauchen.
Hast du ein Beispiel, das zeigt, warum wir eigensinniger werden sollten und uns dadurch Stress ersparen?
Niemand kann Gedanken lesen und weiß automatisch, was wir möchten. Wenn wir von anderen erwarten, dass sie unsere Gedanken richtig lesen können, und wir sie deswegen in der Verantwortung sehen, unsere Gedanken zu lesen, dann läuft oft etwas gewaltig schief. Nehmen wir mal das Beispiel, dass eine Kollegin dir von ihrer Schwangerschaft erzählt. Welche Gedankenschlösser entstehen da bei dir? Nicht wenige denken gleich: "Bestimmt wird sie jetzt erst mal ein, zwei Jahre weg sein." Kein hilfreiches Gedankenschloss, oder? Damit Kolleg:innen gar nicht erst anfangen, Gedankenschlösser zu bauen, was wohl am besten für uns wäre, ist es notwendig, zu überlegen, was man selbst will und braucht und sollte genau das offen kommunizieren.
Was macht Mental Load eigentlich aus?
Mental Load entsteht immer, wenn wir uns denken: Wenn ich das nicht tue, tut es keine:r. Wenn wir uns mit diesem Mindset immer mehr aufladen, entsteht immer mehr Stress. Aber bitte nicht falsch verstehen, ein gewisses Stresslevel ist sogar gesund und treibt uns an, nach vorne zu gehen. Ich stelle mir die Anzeige meines Mental Load immer wie ein großes Spektrum vor: Auf der einen Seite ist man gesund und entspannt, auf der anderen Seite steckt man mitten im Burnout. Auf diesem Kontinuum bewegen wir uns immer hin und her.
Gibt es Phasen, die besonders kritisch sind?
Viele Frauen erleben spätestens dann wahnsinnig viel Mental Load, wenn sie Mutter werden. Weil sie noch für jemanden mitdenken und Care-Arbeit immer noch überwiegend an den Frauen hängen bleibt, wenn sie Familie in einem klassischen Sinne gestalten. Dieser Mental Load kann wahnsinnig bereichernd sein und Energie geben. Addieren sich zu viele Kleinigkeiten, kann es schnell zu viel werden: Wenn sich in der Arbeit die Prozesse verändern, auf verschiedensten Kanälen Nachrichten eingehen, man einfach zu viel Input bekommt, das Gefühl hat, man sollte eigentlich auch noch regelmäßig Sport treiben, einen Lehrgang besuchen und sich weiterentwickeln. So entsteht auch da ein bunter Strauß an Erwartungen, denen man gerecht werden will. Das stresst natürlich.
Welche Warnsignale deuten darauf hin, dass der Mental Load zu groß ist?
Es ist gar nicht so leicht, das für sich selbst zu erkennen. Oft spiegeln andere einem, dass etwas nicht stimmt, indem sie etwa fragen: „Hey, was ist denn bei dir gerade los?“ Wer davon irritiert ist und sich denkt: "Aber ich habe doch alles im Griff, es funktioniert doch", sollte genauer hinschauen. Ein weiteres Anzeichen ist, wenn man Werte, die einem immer wichtig waren, jetzt relativiert und meint, dass man keine acht Stunden Schlaf braucht, weil man auch mit sechs Stunden zurechtkommt oder man sich wundert, dass es einem plötzlich gar nichts mehr ausmacht, nicht mehr regelmäßig ins Fitnessstudio zu gehen. Diese "Passt schon"-Haltung schränkt den eigenen Spielraum ganz schön ein. Im Grunde manifestieren wir damit, unangenehme Dinge bedingungslos zu akzeptieren. Und wer sich immer mehr zurückzieht, Ruhe braucht, anstatt sich mit Freunden zu treffen, trägt vielleicht auch einen größeren Mental Load mit sich herum, als er oder sie denkt.
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Während Corona mussten wir ja zwangsweise unsere Kontakte stark beschränken. Haben wir verlernt, andere um Hilfe zu bitten, wenn der Stress überhandnimmt?
Ja, ich glaube schon, dass viele es nicht geschafft haben, wieder ein bisschen mehr ins Leben zurückzukommen. Sie haben verlernt, aktiv auf andere zuzugehen und um Hilfe zu bitten. Ich kenne viele, die früher mal eine Putzhilfe hatten. Während Corona haben sie selbst geputzt und sagen sich heute: "Das bekomme ich schon hin." Dabei zergehen sie in Arbeit. Und ich kenne Menschen, die sich in der Arbeit einsam fühlen, weil sie kein Netzwerk haben. Es überfordert sie, sich aus einem hybriden Setting heraus zu vernetzen. Die Komfortzone zu verlassen, ist ja auch Stress. Und dann komme ich noch um die Ecke und sage: Jetzt musst du aber auch für deine eigenen Bedürfnisse einstehen, was auch erst mal überfordern kann. Aber es lohnt sich.
Wenn es darum geht, für eigene Bedürfnisse einzustehen, spielen ja auch Erwartungen eine Rolle. Wie können wir Erwartungen loslassen, die uns kleinhalten?
Der erste Schritt ist, dass wir uns überhaupt bewusst werden, dass Erwartungen formuliert werden und von wem sie kommen. Oft haben wir Erwartungen anderer ganz tief in uns verankert und denken, es ist unsere eigenen. Aber am Ende fällt vielleicht auf, dass man nur deswegen seinen Haushalt immer picobello sauber haben möchte, weil die Mutter es immer so gehandhabt hat, es einem aber egal ist, ob das Geschirr zwei Tage in der Spülmaschine ist, oder nicht. Ich rate immer, sich bildlich vorzustellen: "Wenn ich meine Zukunft jetzt neu gestalten könnte, welche Erwartungen möchte ich dann da an mich selbst wirklich stellen?" – und dann zu überlegen, was nötig ist, um Schritt für Schritt dort hinzukommen.
Welches Mindset sollten wir heute mitbringen, um Karriere zu machen und mental gesund zu bleiben?
Es sind vor allem drei Gedanken, die wir neu denken sollten. Als erstes sollten wir den Glaubenssatz ablegen, alles alleine hinkriegen zu wollen. Gemeinsam ist es deutlich einfacher. Außerdem ist "Gut ist gut genug" eine gute Alternative zum Glaubenssatz: "Es muss immer alles perfekt und richtig sein." Das bringt viel mehr Leichtigkeit in den Alltag. Zu guter Letzt sollte uns klarer werden, dass Fleiß nicht weiterbringt. Seid mehr ihr selbst und nicht nur eure Leistung.
Wie hilfst du Frauen im Job, ihre individuellen Stärken erfolgreich einzusetzen?
Ich frage sie, was ihnen in der Vergangenheit schon einmal so richtig gut gelungen ist. Etwa, wie sie es geschafft haben, die Position zu bekommen, in der sie jetzt sind. Dann erzählen sie davon und wir überlegen gemeinsam, welche ihrer Stärken sie dorthin gebracht hat. Das ist einer meiner Lieblingsübungen. Wenn sie an eigenen Beispielen erleben, dass sie diese Stärke auch wirklich in sich tragen, hat das eine ganz große Wirkung. Sie erinnern sich daran, wie sie diese Fähigkeiten damals angewendet haben. So gelingt es viel leichter, den Transfer hinzubekommen und die Stärken bei einer neuen Herausforderung einzusetzen.
Und biet noch eine Übung gegen Selbstzweifel.
Wenn ich Selbstzweifel habe, lade ich diesen "Herrn Selbstzweifel" zum Tee ein. Ich möchte vor allem Frauen mitgeben, sich nicht vor ihm zu verstecken oder gegen ihn zu kämpfen, sondern Frieden mit ihrem "Herrn Selbstzweifel" zu schließen und ihm gut zuzuhören. Vielleicht hat er ja auch einen guten Punkt und kann hilfreich sein. Gib ihm das Gefühl, einmal zugehört und seine Perspektive verstanden zu haben. Lass ihn Teil deines Sounding Boards werden, das dich berät, aber lass ihn nicht die Überhand gewinnen. Ich freue mich mittlerweile sogar, wenn Herr Selbstzweifel wieder vorbeikommt, weil er mir zeigt, dass ich meine Komfortzone bald wieder verlassen muss und die nächste große Lernstufe für mich ansteht. Aus der Erfahrung weiß ich nämlich: Jedes Mal, wenn ich voller Selbstzweifel war, bin ich danach gewachsen. Es war immer die Quelle für Weiterentwicklung.
Dr. Maria Bergler ist Führungskräfte-Coachin (https://maria-bergler.com/) und wird auf dem EWD eine Masterclass geben, wie weibliche Führungskräfte ihre mentale Gesundheit zur Priorität machen können, um langfristig so arbeiten zu können, wie sie wollen.
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