Instagram, Twitter, LinkedIn – wer sich beruflich positionieren will, kommt um Social Media meist nicht mehr herum. Aber muss man wirklich überall ein Profil mit Reichweite haben? Und wie schafft man sich digitales Kapital, ohne offline durchzudrehen?
Digitale Identität als Währung in der Jobwelt
Schon vor Jahren prägte der britische Autor David Birch den Satz: „Identity is the new money.“ Er hatte recht: Digitale Identitäten lassen sich heutzutage tatsächlich als symbolische Währung messen. Sie schaffen Vertrauen, offenbaren Netzwerke, sozialen Status und Expertisen. Und können sogar in echtes Geld umgewandelt werden. Wer viele Follower*innen auf Social-Media-Kanälen hat, bekommt zum Beispiel leichter einen Buchvertrag, weil Verlage sich eine große Reichweite versprechen. Wer bei LinkedIn durch einen schlauen Beitrag Aufmerksamkeit erreicht, wird wahrgenommen, vergrößert sein Netzwerk, bekommt eventuell Jobs oder kann auf seine Angebote aufmerksam machen. Und wer bei YouTube mit seinen Videos ordentlich Klicks sammelt, verdient entsprechend an den eingespielten Werbeclips.
Um im Internet und auf Social Media präsent zu sein – und das auch noch gleichzeitig auf mehreren Kanälen – braucht man vor allem eine Menge Zeit und die Bereitschaft, gerne und oft auf einen Bildschirm zu starren. Im Grunde ist das Pflegen der Online-Persönlichkeit wie ein Job neben dem Job. Zumal jede Plattform eine andere Sprache spricht, die man sich erst mehr oder weniger mühsam aneignen muss. Es kann also ganz schön schlauchen, ständig an seinem digitalen Auftritt zu schleifen.
Das Pflegen der eigenen Online-Persönlichkeit kann schlauchen. Wichtig ist, sich nicht zu überfordern. Und in Ruhe zu schauen, was sinnvoll ist.
Wer jetzt erschöpft denkt: „Kann ich nicht weiter Facebook einfach nur als Adressbuch nutzen und Instagram als Album für Urlaubsfotos?“, der darf aufatmen: na klar. „Bei Unternehmen ist eine ansprechende digitale Präsenz auf allen Netzwerken sicher wichtiger. Bei Angestellten bleiben Instagram oder Facebook eher Spaßportale“, sagt Evgenia Ortmann, die mit ihrer Agentur Charlev Strategien für Marken, Solo-Selbstständige und Unternehmen entwickelt.
TikTok, Pinterest oder Linkedin? Das passende Medium finden
Es kommt eben darauf an, was man beruflich macht und wo man hinmöchte. Sich bei TikTok mit albernen Tanzchoreos zum Affen zu machen, wenn man gar keine Teenies erreichen möchte, ist eher sinnlos. Als Yogalehrerin oder Coach seine Peer-Group in einer Facebook-Gruppe zu versammeln, um dort zum Beispiel Events zu teilen, dagegen sehr sinnvoll. Da zählt dann auch nicht die reine Mitgliedermasse, es reicht, ein paar treue Klient*innen eng an sich zu binden. Überhaupt geht es meist weniger darum, ständig hinterherzuhecheln, wie viele Menschen einen wahrnehmen, sondern eher zu schauen, welche Menschen das eigentlich sind. Wer etwa als Designerin auf Pinterest eine ansprechende Pinnwand hat, kann davon ausgehen, dass er denen auffällt, die sich für den gleichen Stil interessieren.
Im Hochgeschwindigkeitsrausch des Internets kann man allerdings sowieso nicht auf alle Züge aufspringen. Evgenia Ortmann hat zu Beginn ihrer Selbstständigkeit auf Xing und Facebook Vollgas gegeben und sich um Kontakte sowie Interaktionen bemüht. Nun haben LinkedIn und Instagram den beiden Plattformen mit besseren Funktionen bzw. einer positiveren Grundstimmung den Rang abgelaufen – das hat gerade mal ein paar Jahre gedauert.
Social-Media-Trends kommen und gehen. Das macht abhängig. Wenn sich ein Netzwerk durchsetzt, ist es immer gut, früh dabei sein zu sein, bevor es Geld verdienen will und man nur noch über Anzeigen sichtbar wird oder alle schon längst woanders sind.
Evgenia OrtmannTweet
Was sich für sie wirklich gelohnt habe, sagt Ortmann, sei der Aufbau ihrer eigenen digitalen DIY-Plattform „Hand im Glück“ gewesen, die sie durch eine lebendige Community und SEO-Optimierung im Google-Ranking so gut nach vorne gebracht habe, dass sie nun mit Affiliate Marketing, gesponserten Blog-Beiträgen und Do-it-yourself-Anleitungen konstant ein passives Einkommen erhalte. Dadurch ist sie unabhängig von den meist US-amerikanischen Social-Media-Plattformen. Denn was, wenn einer der Kanäle plötzlich dichtmacht? All die Arbeit, die in die Videos und das mühsame Sammeln oder Kaufen von Follower*innen geflossen ist, wäre so schlagartig umsonst gewesen.
Hochwertiger Content gewinnt an Bedeutung
Es ist also besser, in Qualität zu investieren. „Noch will die Gesellschaft viele Follower sehen, aber immer mehr setzt sich hochwertiger Inhalt durch“, sagt Ortmann. Besonders LinkedIn hat sich zu einem Netzwerk entwickelt, bei dem fachlich überzeugende Inhalte vom Algorithmus und der Community belohnt wird. Dort präsent zu sein, sei sehr interessant für Selbstständige, Leute in der Wissenschaft und Branchen, die auf berufliche Vernetzung angewiesen sind, erklärt Kixka Nebraska, die als Agentin für digitale Sichtbarkeit Internetpräsenzen checkt und poliert. Wenn es um digitales Kapital geht, ist für sie übrigens ein eigener Wikipedia-Eintrag der wertvollste Ritterschlag – ein Status, den man sich nicht selbst anlegen kann, weil dort nur auftauchen darf, wer u. a. durch Auszeichnungen oder Medienpräsenz aufgefallen ist.
Digitale Sichtbarkeit im Job: Bloß nicht selbst überfordern
Kixka Nebraskas Dienste in Anspruch nehmen meist Kreative oder Menschen, die den nächsten Karriereschritt gehen wollen. Sie rät als Erstes, sich nicht selbst zu überfordern. Man könne sich der digitalen Welt zwar nicht ganz entziehen, aber entspannt den eigenen Weg finden. „Es kommt auf den professionellen Gesamteindruck an und nicht darauf, überall präsent zu sein“, sagt sie. Ein digitaler Ort sei aber grundlegend wichtig, um überhaupt gefunden zu werden. „Dazu empfehle ich je nach Zielgruppe individuell etwa zwei weitere Profile in sozialen Netzwerken.“ Ganz wichtig bei der Auswahl ist, dass einem die Plattform Spaß macht und zu einem passt – schließlich sollte man seinen Account oder Blog dauerhaft mit Inhalten bestücken. Wer zum Beispiel gern Basteltipps teilt, aber ungern Videos produziert, ist bei Youtube eindeutig fehl am Platz – könnte aber stattdessen die eigene Homepage mit einem Blog aufwerten (siehe auch Kasten).
Der digitale Business-Auftritt
- Das Must: Wichtig ist eine digitale Fundstelle im Netz, die man selbst steuert: z. B. eine Homepage oder einen Blog mit Foto, den wichtigsten Informationen und einer personalisierten Mailadresse. Gut ist ein eigener einheitlicher Stil (eventuell auch ein Logo). Pluspunkt: Blog- und Fachartikel auf der Homepage sorgen für ein besseres Ranking bei Google und können auch geteilt werden.
- Je nach Berufssparte: Interaktion und Vernetzung sorgen für Sichtbarkeit und Follower*innen. Gut ist also ein Profil mit aussagekräftigen Fotos und relevanten Textbeiträgen in ca. zwei Social-Media-Plattformen anzulegen. Instagram und Pinterest sind z. B. für Kreative, Food- und Fitnessexpert*innen interessant. Twitter und Facebook sind eher meinungsmachende Platt- formen. Auf Facebook kann man zudem eigene Gruppen verwalten.
- Gerade angesagt: Ein öffentlicher LinkedIn-Account mit Kontaktdaten und Angaben zur Berufserfahrung. Ab ca. 150 Kontakten wird man wahrgenommen. Aufmerksamkeit bringt auch, Fachartikel zu verfassen und auf andere zu reagieren.
Die andere Klientel, um die sich die Profilexpertin kümmert, sind interessanterweise Menschen, die auf keinen Fall digital auffindbar sein wollen, und ihre Netzwerke nur privat pflegen. Meist sind sie jedoch schon bekannt, adelig oder vermögend, auf digitales Kapital also nicht angewiesen. Das zeigt allerdings auch: Was ein Netzwerk verbindlich, authentisch und transparent hält, sind am Ende die Treffen im realen Leben. Ob nun Digital-Kapitalistin oder Analog-Heldin: Wir alle haben wertvolle Kontakte, die wir wie Schmuggelware untereinander austauschen – vom Coach, dem Personal Trainer, der Designerin oder der Steuerberaterin. Dafür braucht es nicht mehr als eine gute alte Telefonnummer. Diese Profis sind im Internet oft nicht sichtbar, weil sie gar keine Zeit haben, ihre Präsenz dort zu pimpen. Sie machen eben einen verdammt guten Offline-Job. Und das spricht sich immer noch rum.
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