Immer noch lässt die Pandemie viele von uns auch nachts nicht los: mehr Sorgen, weniger Bewegung, weiterhin im Homeoffice – all das wirkt sich negativ aus. Wie können wir gutes Schlafen wieder neu lernen?
Träumen von Corona
Seit das Virus unseren (All-)Tag bestimmt, schlafen wir auch anders. Eine finnische Studie zeigte, wie die Pandemie unsere Träume und unseren Schlafrhythmus beeinflusst hat. Ein Drittel der 4000 Befragten wachte in der Nacht häufiger auf, mehr als ein Viertel gab an, häufiger Albträume zu haben – über den Tod, verlorene Pässe, geschlossene Grenzen oder (gefährliche) Umarmungen. Wenig überraschend, dass in den sozialen Medien sogar der Hashtag #coronadreams kursiert. Und nicht allein die Angst vor dem Virus, sondern ganz praktisch auch der Mangel an Licht, Bewegung und klarer Tagesstruktur – bedingt durch Ausgangssperren und die Arbeit daheim – führte bei manchen zu Einschlafproblemen und flacherem Schlaf.
Die Pandemie als Träume-Trigger
Auch der stete Griff zum Smartphone, um überhaupt Kontakt mit anderen zu haben, hatte womöglich Auswirkungen. Ebenso sind die Streaming-Zahlen enorm hochgegangen. Beim Gucken wird innere Erregung jedoch nicht reduziert, sondern eher noch gepusht. Weitere Risiken bringt das Homeoffice mit sich. Wer etwa in einer WG lebt, nutzt seinen Schlafraum nun schon seit langem wirklich für alles: Wohnen, Arbeiten, Kommunikation. Damit fehlt aber abends der wichtige Trigger fürs autonome Nervensystem, der da heißt: "Hier komme ich zur Ruhe". Und mangelnde Bewegung sorgt nicht nur für die bereits sprichwörtlichen Coronapfunde, sie wirkt sich auch sonst negativ aus, weil uns eine Quelle der Entspannung fehlt. "Wenn wir beim Spazierengehen oder Laufen unsere Umwelt wahrnehmen, beruhigt das die Amygdala im Gehirn, Angstzustände werden reduziert", erklärt Chris Surel, Schlaftrainer und Autor von "Die Tiefschlaf-Formel" (Herder).
Lockdown: Auch positive Effekte auf das Schlafen?
Forschende stellten allerdings auch fest, dass Lockdown und Homeoffice bei manchen Menschen durchaus positive Auswirkungen auf die Nachtruhe hatten. Wenn wir unsere Tage flexibler und selbstbestimmter organisieren können, nähern wir uns fast automatisch unserem natürlichen Schlafrhythmus an. Der "soziale Jetlag", der in nichtpandemischen Zeiten durch die unterschiedlichen Ansprüche entsteht, die Gesellschaft (Arbeit, Schule) und unser Körper (Lerche oder Nachteule) an uns stellen, wird auf diese Weise reduziert oder sogar aufgelöst. Keine festen Arbeitszeiten und kein Arbeits- oder Schulweg mehr? Viele Menschen konnten deshalb später aufstehen – das zeigten auch die Messdaten von Stadtwerken zum Strom- und Wasserverbrauch in verschiedenen deutschen Städten. Manchen tat das richtig gut. Eine schweizerische Studie ergab, dass Menschen tatsächlich während des Lockdown im Frühjahr 2020 im Schnitt 13 Minuten länger schliefen.
Schlafqualität hat abgenommen
Allerdings: Sorgen, Grübeln und Ängste aufgrund der Pandemie könnten diese positiven Effekte für nicht wenige wieder null und nichtig gemacht haben. Denn auch das ergab die schweizerische Studie: Die Menschen schliefen mehr, aber die Schlafqualität nahm ab. Eine Umfrage der Techniker Krankenkasse zeichnete ein ähnliches Bild: Jede:r Zehnte schlief schlechter. Bei Menschen, die aufgrund der Corona-Pandemie besonders unter Stress stehen, war es sogar jede:r Vierte. "Immer mehr jüngere Menschen leiden derzeit auch unter chronischer Erschöpfung. Das ist auffällig", sagt Schlaftrainer Chris Surel.
Trotzdem: Christian Benedict, Schlafforscher an der Universität Uppsala/Schweden und Autor von "Schlaf ist die beste Medizin" (Eden) betont in seinem Buch, dass wir nicht ständig unseren Schlaf hinterfragen sollten. So notwendig es sei, bei dauerhaften Schlafproblemen auf Spurensuche zu gehen, so wichtig sei ein entspannter Umgang mit unserem guten Freund, dem Schlaf. Sich von furchteinflößenden Studien die Nachtruhe rauben zu lassen? Nicht hilfreich!
Hört auf Warnsignale
Zudem: Schlaf ist etwas Hochindividuelles. Die Forschung hat zwar gut belegt, wie sich der Schlaf pandemiebedingt verändert hat – dabei handelt es sich aber um Durchschnittswerte. Für einen selbst zählt: Wie schlafe ich tatsächlich, jenseits aller Statistik? Ein Schlaftagebuch hilft, sich ein realistisches Bild zu verschaffen. Behandlungsbedürftig werden Schlafstörungen erst, wenn man mindestens dreimal pro Woche über einen Zeitraum von drei Monaten Schlafprobleme hat. Weitere Warnsignale sind Sekundenschlaf und verstärkter Konzentrationsmangel. In diesem Fall sollte man die Schlafprobleme unbedingt ärztlich abklären lassen. Chronische Insomnie kann durch Depressionen oder Stress entstehen, aber etwa auch durch eine Schilddrüsenüberfunktion.
Lesetipps:
- Chris Surel: "Die Tiefschlaf-Formel", Herder, 22 Euro
- Infos und Übungen auch auf tiefschlaf-formel.de
Das neue Normal?
Wie wird es sein, wenn wir die Pandemie überwunden haben? Schlafen wir dann alle wieder wie die Murmeltiere? Der Neurowissenschaftler Benedict rechnet eher mit dem Gegenteil, mit einem "großen Schlaflosigkeits-Tsunami", wenn Menschen nach der Pandemie zum frühen Aufstehen und zu ihren Pre-Corona-Routinen zurückkehren. Wie wir dem entgegenwirken können? Indem wir Körper und Psyche zunächst einmal Schritt für Schritt auf die kommenden Anforderungen einstimmen. Konkret: die Aufstehzeit wieder den alten Arbeitszeiten anpassen (genau, auch am Wochenende), jeden Morgen einmal an die frische Luft – selbst, wenn der Arbeitsweg immer noch nur die sieben Meter von der Küche bis zum Schreibtisch beträgt. Das ist wichtig, weil wir für den Schlaf in der Nacht das Licht am Morgen brauchen. "Man kann sich die morgendlichen Sonnenstrahlen wie eine Art Zeitstempel vorstellen. Der Körper weiß dann: Jetzt ist Tag – und 12 bis 14 Stunden später ist es wieder Zeit, das Schlafhormon Melatonin auszuschütten", erklärt Surel.
Corona Nights und Racing Minds
Aufschlussreiche Antworten könnte aber auch diese Frage bringen: Was hat während der Pandemie meinen Schlaf verbessert? Vielleicht habe ich festgestellt, dass mein Ruhebedürfnis größer ist, als ich all die Jahre dachte, es mir also durchaus guttut, nicht jeden zweiten Abend bis nach Mitternacht unterwegs zu sein? Und der halbstündige Spaziergang im Abendlicht (super Trigger für unser Nervensystem), hatte womöglich auch wundersame Wirkung aufs Einschlafen. Was uns die "Corona Nights" auch gelehrt haben könnten: einen besseren Umgang mit dem "racing mind", der uns so oft wach hält. Grübeln und Katastrophisieren haben die allermeisten von uns irgendwann in den vergangenen 18 Monaten beim Einschlafen behindert. Surel ist der Überzeugung, dass gerade diejenigen dazu neigen, die beruflich viel planen, organisieren und analytisch denken. Um den Geist zu beruhigen, könnten wir uns jedoch eine Eigenschaft unseres Gehirns zunutze machen: Es kann nur einen Gedanken zurzeit denken. Statt uns mit Sorgen und Befürchtungen die Nacht um die Ohren zu schlagen, sollten wir uns angewöhnen, bewusst zu entscheiden, welcher Gedanke uns beim Einschlafen durch den Kopf geht – und uns an schöne Momente, Erfolge oder Dinge, für die wir dankbar sind, erinnern.
Wir können sofort etwas verändern!
Ansonsten empfiehlt Chris Surel seinen Klient:innen, nicht auf das Ende der Pandemie zu warten, sondern schon jetzt damit zu beginnen, die eigene Schlafqualität zu verbessern. "Dafür muss niemand gleich radikal auf Smartphone oder Streaming verzichten – aber schon zehn Prozent der Zeit für Mikropausen und Atemübungen zu nutzen, bringt enorm viel!"
Also kurz einatmen und dann: ganz tief ausatmen. Und noch einmal.
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