Sabine erlitt 2016 einen Burn-out. Im Interview spricht sie mit uns über ihre Erfahrungen, wie es heute bei ihr aussieht und was sie sich von Arbeitgeber und Kollegen hinsichtlich Prävention wünscht.
Sabine: Wie es zum Burn-out kam
Sabine ist 42 Jahre alt. Die alleinerziehende Mutter arbeitet als Kampagnen-Managerin bei einer internationalen NGO.
Vor einigen Jahren erlitt sie einen Burn-out, der ihren Blick auf die Arbeitswelt stark veränderte. Sie wünscht sich, dass wir alle anfangen, mehr Verantwortung zu übernehmen. Für uns selbst, für unsere Kollegen, und vor allem für unsere Mitarbeiter. Ein Appell.
Sabine, so ein Erschöpfungszustand entsteht nicht plötzlich. Was hatte sich bei Dir alles angestaut?
Die Jahre vor meinem akuten Burn-out waren extrem, nicht nur das Arbeitspensum. Ich habe mich vom Vater meines Sohnes getrennt und bin deshalb zurück nach Berlin gezogen. Bis 2015 hatte ich meine beiden schwerkranken Eltern, so gut es über die Entfernung ging, gepflegt. 2015 starb mein Vater, meine Mutter ist mit stark fortgeschrittener Alzheimer-Erkrankung im Pflegeheim. Im Frühjahr 2016 hatte ich dann einen Unfall. Ich hatte meinen Sohn gerade mit dem Rad aus der Kita abgeholt. Ich wich einem Taxi aus, das in zweiter Reihe geparkt war, als der Fahrer die Tür aufmachte und mich so mitsamt meinem Sohn vom Rad holte. Wir lagen mitten auf der vollbefahrenen Straße – wir hatten Glück im Unglück, aber es war eine fürchterliche Situation.
Warst Du verletzt?
Ich hatte einen Schock, Prellungen, Abschürfungen, aber wir hatten keine offenen Wunden, keine Brüche. Ich habe erst nach drei, vier Tagen gemerkt, dass es mich völlig aus der Bahn geworfen hat. Mein Bruder war entsetzt, dass ich nicht zum Unfallarzt gegangen bin - schon alleine wegen der Versicherung. Also bin ich mit meinem Sohn zur Untersuchung und der Arzt hat gesagt: "Nehmen Sie das ernst. Ich schreibe sie krank, mindestens zwei Wochen. Aber ich kann Ihnen sagen, das wird eine längere Geschichte." Ich konnte das erst nicht einordnen. Ich bin natürlich am Tag nach dem Unfall wieder zur Arbeit gegangen, körperlich war ich ja nicht schwer lädiert. Aber ich habe das dann einfach angenommen. Offenbar brauchte ich jemanden, der mir die Erlaubnis erteilt. Dieses Loslassen hat mir dann restlos den Boden unter den Füßen weggerissen.
Wie äußerte sich das alles?
Ich kam nicht mehr runter. Mein Stresslevel war so hoch, ich konnte nicht mehr schlafen, ich war völlig aufgelöst. Die Krankschreibung verlängerte sich so immer wieder. Nach sieben Wochen riet mir meine Hausärztin: Gehen Sie mal wieder arbeiten, vielleicht hilft Ihnen die Struktur.
Und - hat es funktioniert?
Nein. Ich habe zwar schnell wieder "gut abgeliefert" - Aber die Erschöpfung kam bald zurück wie ein Bumerang und ich habe starke körperliche Symptome entwickelt: ein Infekt nach dem anderen, dann Magen-Darm, dann Schwindel. Ich musste mich immer wieder krankschreiben lassen. Mein Pflichtgefühl hat mich immer wieder dazu gebracht, zu sagen: Nächste Woche komme ich wieder, während ich eigentlich völlig verzweifelt, völlig überfordert war. Als ich Angst bekommen habe, meinen Sohn nicht mehr gut versorgen zu können, habe ich mich in Absprache mit meiner Hausärztin um einen Platz in einer psychosomatischen Klinik bemüht.
Wie hat Dein Arbeitgeber auf das alles reagiert?
Mein einer Chef hat mir während der Krankschreibung nach dem Unfall gesagt, ich solle mir so viel Zeit nehmen, wie ich brauche. Das Signal fand ich gut und wichtig. Als ich dann zurück im Büro war, hieß es dann allerdings von manchen "Schön, dass Du wieder ganz fit bist." Ganz fit – so fühlte sich das nicht an. Dahinter steckte vielleicht der Wunsch sich nicht weiter mit dem Thema befassen zu müssen.
Nachdem ich das mit der Klinik kommuniziert hatte, waren sie sehr verunsichert – aber auch persönlich besorgt. Ich wusste, dass es OK ist, mich auszuklinken. Aber ich wusste auch, dass da die Erwartung drinsteckt, dass, wenn ich wiederkomme, auch alles wieder gut ist. Ich habe gemerkt, dass das Verständnis fehlt. Es wäre angemessen gewesen, sich als Arbeitgeber mit dem Thema mehr und professionell zu befassen und das nicht den Mitarbeitern zuzuschieben. Ich war nicht die Einzige, die wegen Erschöpfung längere Zeit ausgefallen ist und da hätten dann ein paar Glocken klingeln müssen. Es ist vielleicht nicht schön, es anzuerkennen, aber man kann nicht so tun, als gäbe es dieses Thema nicht. Oder als wäre es ein Schnupfen, den man nur mal richtig wegschlafen muss.
Du hast schon angedeutet, Du warst nicht die erste Kollegin, die wegen Überlastung ausgefallen ist?
Genau. Und schon bei den Vorgängern dachte ich mir - das Thema ist im Kollegium ein echtes Tabu. Hier ist es weniger Ignoranz, als Angst. Als wäre es was Ansteckendes. Bei den Vorgesetzten glaube ich, es ist ein gewisse Scheu da, weil eine Anerkennung des Burn-out Problems ja im Umkehrschluss bedeuten könnte, dass man seine Mitarbeiter überbeansprucht.
Zwiespältige Botschaften, also?
Ja, für mich auf jeden Fall. Es war eine Mischung aus aufrichtigem Interesse an meinem Befinden und „bitte bloß nicht vor den anderen benennen“. Depression und Burn-out, ja schon der Begriff Erschöpfung lassen einfach zu viele Rückschlüsse zu.
Haben Dein Fall und Deine Offenheit dazu geführt, dass sich Dein Arbeitgeber näher mit der Problematik befasst hat?
Ja, ich denke schon, wenn auch sehr langsam und schwerfällig. Es ist ein wenig mehr Bewusstsein für das Thema entstanden und wohl auch begriffen worden, dass Arbeitgeber eine Mitverantwortung tragen. Wir haben viele Gespräche geführt, oft initiiert von mir, aber auch andersherum. Ich habe sehr viel Hilflosigkeit beobachtet. Und dass der Ball immer wieder an die Betroffenen zurückgespielt wurde. Genau das ist für mich der Knackpunkt:
Die Frage der Verantwortung. Wer ist wofür verantwortlich? Ja, natürlich muss ich Verantwortung für meine eigene Gesundheit übernehmen. Aber an dem Punkt, an dem der Arbeitgeber merkt, dass mehrere Leute ausfallen, muss er etwas unternehmen. Dann muss er sich fragen: Läuft hier strukturell etwas schief? Es ist einfach, den Leuten nahezulegen, sie seien wohl nicht so belastbar oder hätten privat zu viel Stress. Stattdessen muss er sich fragen: Wo kann ich die Belastung besser verteilen und was muss ich eventuell an den Strukturen ändern? Ein Anfang wäre eine Fortbildung für Führungskräfte.
Kannst Du die strukturellen Probleme konkret benennen?
Ganz oben steht für mich Anerkennung. Du kannst Dir ewig selbst erzählen, dass Du einen guten Job machst, Kollegen können Dir das vermitteln - aber wenn Dein Arbeitgeber das nicht honoriert und anerkennt, dann gerät das alles aus der Balance. Und dabei meine ich kein Schulterklopfen. Sondern das Sehen und Erkennen von Weiterentwicklung, den angemessenen Jobtitel, regelmäßige Gehaltsanpassungen. Zentral ist auch eine klare Prioritätensetzung bei Projekten, so dass man in der Lage ist, Dinge auch zu streichen, wenn die Liste der Arbeitspakete zu lang wird. Auch wichtig: dass allen im Team die gleiche Behandlung zuteil wird.
Du denkst dabei nicht an Sympathie und Antipathie, oder?
Nein. Das ist ganz normal. Ich meine - gibt es ein transparentes Gehaltssystem? Werden alle gefördert? Gibt es Weiterbildungen? Wird Potenzial erkannt, Entwicklung gewürdigt? Spiegelt sich das im Feedback und tragen Vorgesetzte es auch weiter nach oben? Das alles fällt für mich unter Wertschätzung. Die ist so enorm wichtig.
Oh, und nicht zu vergessen: Wie geht ein Arbeitgeber mit Elternzeit um? Es ist nicht richtig, dem Thema nach der Rückkehr mit der Frage zu begegnen: "Was machen wir jetzt mit Dir? Dur arbeitest ja jetzt reduziert…" Da wird wieder suggeriert - der Fehler liegt bei Dir. So was merkt man sich. Das nagt am Selbstwert.
Zurück zu Dir - was hat Dir in der Genesungsphase am meisten geholfen?
Ich glaube, das war die Klinik und die Wahrung meiner persönlichen Grenzen, die ich dort gelernt habe. Der Aufenthalt und die Wochen danach waren wohl das Härteste, was ich in meinem Leben gemacht habe. Aber diese Bestätigung meiner Situation und die Erlaubnis, die ich mir damit erteilt habe, mich so intensiv um mich zu kümmern. Das war elementar.
Ist die Erlaubnis auch etwas, das der Arbeitgeber mehr forcieren könnte, oder müsste?
Ich habe nach der Klinik nicht länger auf Erlaubnis gewartet. Ich habe sie eingefordert. Als ich aus der Klinik zurückkam, habe ich angekündigt, dass ich mittwochs wegen Therapie fehlen werde. Ich habe gesagt, ich möchte da hingehen und es war für meine Chefs kein Thema. Ich hatte den Eindruck, sie waren sehr froh darüber, dass ich so klar formulieren konnte, was ich brauche.
Bist Du immer schon so selbstbewusst aufgetreten? Ich stelle mir das nicht leicht vor.
Mein Selbstbewusstsein an diesem Punkt war mitunter meiner Wut geschuldet. Ich war sauer. Ich hatte das Gefühl, ewig auf mein Arbeitskonto eingezahlt zu haben und nicht gehört worden zu sein an den Punkten, wo ich gesagt habe, das Pensum ist so nicht weiter tragbar – ohne gleich eine Lösung mitliefern zu können. Ich war wütend, weil ich mich so runtergewirtschaftet habe und es so hingenommen wurde. Ich hatte das Gefühl, auch verbrannt worden zu sein.
Wie wichtig ist es dabei, dass der Arbeitgeber sich offen für diese Themen zeigt?
Das ist enorm wichtig! Da sind wir wieder bei Verantwortung und bei Offenheit. Aber mir persönlich reicht es nicht, dass ein Arbeitgeber sich offen zeigt, indem er sagt: "Melde Dich, wenn Du was brauchst." Denn dann spielt er den Ball zurück. So liegt die Verantwortung beim Mitarbeiter, sich zu melden, sich abzugrenzen, sich zu schützen. Und das ist nicht genug. Wir kommen als Menschen zur Arbeit. Das lässt sich nicht trennen, auch wenn wir jahrzehntelang so getan haben, als wäre das möglich. Gerade deshalb finde ich es wichtig, dass der Arbeitgeber das zu schätzen weiß, wenn Mitarbeiter sich um ihre Gesundheit - und auch die seelische Gesundheit - kümmern. Lieber früher als später. Denn diese Dinge werden ja immer erst angesprochen, wenn es schon zu spät ist.
Ein wenig mehr Selbstkritik wäre also angebracht?
Genau. Und ein Bewusstsein für das, was die Mitarbeiter leisten. Wie oft habe ich gehört: "sei nicht so emotional". Mein Job ist emotional. Wenn ich jemanden dazu motiviere, eine Unterschrift für eine gute Sache zu leisten, Zeit oder Geld zu spenden, ist das ein hochemotionaler Vorgang. Das tut er nicht, weil er ein tolles Factsheet gelesen hat. Wenn ich Menschen für ein Ehrenamt begeistere und die sich dann mit Freude und aus Überzeugung engagieren, fordert mich das emotional enorm. Ich gehe Beziehungen ein, wenn man so will. Da will ich nicht hören: Du bist zu empfindlich und siehst Deinen Job zu emotional. Denn dann muss ich ganz ehrlich sagen: Ihr habt da was nicht verstanden.
Was wünschst Du Dir nach deinen Erfahrungen mit Burn-out von (d)einem Arbeitgeber?
Einen bewussten Blick nach innen. Ob bei Depression, Burn-out, Genderfragen - diese Themen sind weitestgehend tabu. Dabei gibt es so viel Redebedarf! Und nur weil man nicht darüber spricht, lösen diese Probleme ja nicht auf. Stattdessen wird Leistung nach wie vor so groß geschrieben bei uns - niemand sagt gerne: Ich kann nicht mehr. Ich wünsche mir eine Bekenntnis, eine Anerkennung der Gesamtproblematik. Die fehlt. Und wo kein Problem anerkannt wird, da fühlt sich auch niemand veranlasst, zu handeln.
Unser Artikel Burn-out-Prävention im Unternehmen beschäftigt sich damit, was Chefs im Vorfeld tun können. Plus: 8 Tipps, wie man sich vor Burn-out schützen kann.