Als Kind kam ihr Rassismus vor wie etwas, das sie hinnehmen muss. Heute kämpft Aminata Belli gegen den Hass.
Aminata Belli ist im Herbst 2020 unsere EMOTION-Coverfrau. Obwohl Schauer das Shooting schwierig machen, sind wir zwei Stunden schneller fertig als geplant. Als Norddeutsche ist Aminata Belli durchwachsene Sommer gewöhnt, und die energiegeladene 28-Jährige weiß außerdem, wie so was läuft. Denn bevor sie Moderatorin und ZDFinfo-Reporterin bei den "Follow me Reports" wurde, hat sie eine Weile als Moderedakteurin gearbeitet. Gerade ist sie eine der führenden deutschen Stimmen in der Diskussion um Rassismus, die nach dem entsetzlichen Tod George Floyds auch bei uns in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.
EMOTION: Aminata, im Journalismus ist es nicht leicht, aus einem Bereich wie Mode zu gesellschaftspolitischen Themen zu wechseln. Das Schubladendenken ist groß. Wie bist du da rausgekommen?
Aminata Belli: Das war für mich immer fließend. Als ich Modejournalismus studiert habe, hat ein Dozent mal gesagt: 2Aminata, du studierst nicht Sozialarbeit." Aber für mich war das selbstverständlich, auch bei Modethemen sozialkritische Aspekte aufzugreifen. In der Zeit habe ich meinen YouTube-Channel gegründet und darüber erste Reporteraufträge bekommen. Mode ist schon wichtig, als Kulturgut, und man kann sich damit ausdrücken – und gleichzeitig ist sie überhaupt nicht wichtig. Heute reden wir ja über Sachen, die vor vier, fünf Jahren noch kein Thema waren.
An was denkst du?
Damals hatten gefühlt alle noch eine andere Sicht auf Feminismus oder Rassismus. Viele Dinge wurden nicht wirklich hinterfragt. Ich habe mal eine Arbeit von Rupi Kaur auf Instagram geteilt, in der sie menstruierende Frauen zeigt. Viele fanden das eklig und sind mir entfolgt. Vor Kurzem habe ich noch mal die Kommentare gelesen und dachte: Wow, vor fünf Jahren habt ihr so was unter einem Foto gepostet, wo eine Frau menstruiert? Heute können wir Menstruation als das thematisieren, was sie ist: etwas ganz Normales. Ich glaube, das war gar nicht so eine Transformation für mich, sondern eine gesellschaftliche.
Du bist als Schwarzes* Kind in einer weißen* Schaustellerfamilie aufgewachsen und warst oft jede Woche in einer neuen Schule. Wie hast du das erlebt?
Es gibt total die Vorurteile, wenn man vom Jahrmarkt kommt und im Wohnwagen lebt. Die anderen Kinder dachten, wir haben kein Geld, und es kamen so Fragen wie: Wie wascht ihr euch denn? Dass wir ein privilegiertes, gutes Leben führen, konnten die sich nicht vorstellen. Ich bin oft mit dem Z-Wort betitelt worden und als Schwarzes Kind noch viel häufiger mit dem N-Wort. Als Kind kam mir Rassismus wie etwas vor, das ich hinnehmen muss. Ich musste mich doppelt beweisen. Wahrscheinlich habe ich voll viel an Stärke gewonnen.
Wie ging es dir mit dem ständigen Wechsel, nie irgendwo fest zu sein?
Das fand ich super. Ein sesshaftes Leben war mir so fremd, dass ich schon die Vorstellung furchtbar langweilig fand, dass manche Kinder immer in diesem kleinen Raum sind, mit den gleichen Lehrern und der gleichen Klasse. Ich habe nach wie vor keinen festen Alltag, auch wenn ich mir heute manchmal etwas mehr davon wünsche. Ich wäre gern jemand, der jeden Morgen joggen geht und ohne gar nicht leben könnte.
Du hast eben gesagt, du hast Rassismus als Kind nicht infrage gestellt. Heute ist Rassismus neben der Corona-Krise DAS Thema des Jahres. Tupoka Ogettes Buch "Exit Racism" war nach dem Tod von George Floyd ausverkauft. Ändert sich gerade etwas?
Für mich ist spannend, dass Leute auf einmal zuhören. Ich habe zum Beispiel mal etwas über eine rassistische Werbekampagne auf Instagram geteilt, da waren viele der Meinung, ich würde übertreiben, das sei gar nicht rassistisch. Tatsächlich wollen weiße Menschen Schwarzen Menschen oder anderen, die Rassismus erleben, oft erklären, was rassistisch ist und was nicht. Leute, die nicht von Rassismus betroffen sind, reagieren oft mit White Fragility ...
... mit weißer Zerbrechlichkeit.
Ja, weil sie sich angegriffen fühlen und nicht verstehen, dass es um ein System geht und nicht um ein persönliches Problem. Dass mir jetzt Leute schreiben: "Hey, ich war noch nicht so weit, es tut mir leid, dass ich so ignorant war", ist wahnsinnig befreiend, weil man sich denkt: Okay, cool. Ich war nicht "zu radikal" oder "zu emotional" – es ist wirklich so, wie es ist, und die Leute wollten das bisher nicht hören.
Was glaubst du, warum gehen so viele in die Verteidigungshaltung?
Vermutlich, weil es auch darum geht, sich selbst zu hinterfragen. Viele denken bei Rassismus immer noch an Nazis mit Springerstiefeln. Aber es geht um rassistische Strukturen, die unsere Gesellschaft prägen. Und je dunkler jemand ist, desto schwerer ist es oft. Das Bewusstsein für diesen Colorism wächst auch gerade. Dazu kommen die alltäglichen kleinen Dinge, die rassistisch sind. Da kann jede:r Fehler machen. Es kommt dann darauf an, wie man darauf reagiert, wenn einen jemand darauf hinweist. Am Ende geht es um Verständnis, das ist ein Prozess, ohne Fehler gibt es keine Veränderung.
Was würde helfen, etwas zu ändern?
Es gibt gerade viele, die die Bücher von Tupoka oder Alice (Hasters) lesen. Aber diese Leute sind ja bereits sensibilisiert. Wieso macht man nicht Anti-Rassismus-Workshops in der Schule, so wie es Anti-Drogen-Workshops gibt? Wenn wir Kindern und Jugendlichen das mitgeben würden, wäre da ein Grundstein. Das Gleiche könnte man in Unternehmen machen. Ich glaube, das wäre gut.
Vor Kurzem schrieb eine Schwarze Aktivistin: Rassismus sei ein weißes Problem, es sei Aufgabe der Weißen, es zu lösen. Was stimmt. Es geht ja auch darum, in was für einer Gesellschaft ich leben will. Wie geht es dir damit, dass du immer alles erklären sollst?
Ich finde es schwierig, wenn Leute von mir erwarten, dass ich Rassismusexpertin bin, weil ich das nicht bin, auch wenn ich sehr viel dazu gelesen habe. Nach dem Tod von George Floyd haben alle Schwarzen Journalist*innen genau die gleichen E-Mails bekommen. Wir sollten berichten, wie wir Rassismus erleben. Aber wenn Betroffene immer wieder von diesen kleinen Traumata erzählen – oder auch von größeren –, tut das nicht gut. Und ich denke: Muss ich euch das erzählen, damit ihr mir glaubt, dass es Rassismus gibt? Das ist so, als würde man vergewaltigten Frauen sagen, sie sollen jedes Mal erzählen, wie der Mann das gemacht hat.
Und trotzdem reden auch wir darüber.
Ja, ich bin da auch zwiegespalten. Es gibt Geschichten, die sind so beknackt, die kann man sich gar nicht ausdenken. Das finde ich erzählenswert, weil sich die meisten das nicht vorstellen können. Ich habe zum Beispiel im Zug einen Anruf bekommen und bin rausgegangen, weil es ja die größte Todsünde in deutschen Zügen ist, im Ruheabteil zu telefonieren. Aber was noch viel schlimmer ist, habe ich dann gelernt.
Nämlich?
Als Schwarze Frau, die einen Koffer dabei hat, wegzugehen. Denn als ich wiederkam, hatte eine Frau die Polizei gerufen. Ich habe das erst gar nicht kapiert, weil ich manchmal vergesse, dass ich Schwarz bin und Weiße in mir irgendwas sehen. Der Typ von der DB-Sicherheit meinte, ich solle doch beim nächsten Mal Bescheid sagen. Und ich hab gesagt: Also, wenn ich auf Toilette gehe oder ins Bordbistro, sollte ich Bescheid sagen, weil man mich sonst für eine Terroristin hält? Und dann habe ich ihm gesagt, es gibt auch Terroristen, die Deutsch spre- chen, was soll mir das bringen? Aber ich kann sowieso vieles nicht verstehen.
Was meinst du?
Ich kann nicht verstehen, warum Menschen andere nicht akzeptieren wollen. Ich verstehe den Hass auch nicht. Letztes Jahr beim Christopher Street Day musste ich ganz doll weinen, weil ich gedacht habe: Wir alle werden so gehasst, wegen unserer Hautfarbe oder der sexuellen Orientierung. Leute bringen uns deswegen um. Die gehen in Florida in einen Club oder in Hanau in ein Café und erschießen einfach Menschen. Das ist so krass, wenn man sich vor Augen führt, dass man so gehasst wird. Und ich verstehe nicht, warum.
Das ist auch nicht zu verstehen! Weißt du, was mich auch frustriert hat? Als ich das Buch von Alice gelesen habe, hatte ich das Gefühl, wenn die Erfahrungen so unterschiedlich sind, wird selbst Liebe auf Augenhöhe schwer.
Das kann super funktionieren. Man muss sich aber bewusst machen, dass es keine Farbenblindheit gibt. Jede:r sieht Farben, auch im Partner oder im Kind. Und gerade wenn es um Kinder geht, muss sich die weiße Person damit auseinandersetzen, dass sie Schwarze Kinder bekommt. Viele exotisieren mixed Babys, das ist problematisch. Aber am Ende des Tages geht es auch in interracial Beziehungen um Verständnis und ob man auf dem gleichen Level ist. Dann ist es egal, ob man Schwarz oder weiß ist, dann geht es darum, wie man damit umgeht.
*Um zu verdeutlichen, dass die Kategorien Schwarz und Weiß soziale Konstrukte sind, schreiben Antirassismus-Aktivist:innen „Schwarz“ groß und „weiß“ kursiv. Dem schließen wir uns an.
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