Teil drei unserer Interview-Serie zur Bundestagswahl: EMOTION Chefredakteurin Katarzyna Mol-Wolf im Gespräch mit Marcus Weinberg, dem familienpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Gut gelaunt kommt Marcus Weinberg in die Redaktion und möchte erst mal alles über unsere Verlagsgeschichte wissen. Sein Heuschnupfen kann ihn nicht beirren, als er seine Punkte sympathisch und energisch darlegt.
Katarzyna Mol-Wolf: Herr Weinberg, was war der Moment, als Sie wussten, Sie wollen in die Politik?
Marcus Weinberg: Es war kein einmaliger erhellender Moment, sondern die Erkenntnis, dass man selbst etwas tun muss, wenn man möchte, dass es auf unserer Welt etwas freier, gerechter und solidarischer zugeht.
Ihre Schwesterpartei CSU vertritt nach wie vor das Ideal, dass Frauen, sobald sie Mutter werden, zumindest die ersten Jahre zu Hause bleiben sollten. Teilt die CDU dieses Frauenbild?
Das Frauenbild der CSU und in Bayern ist vielleicht traditioneller ausgeprägt als beispielsweise in einem urbanen Milieu hier in Hamburg. Es gibt aber auch bei der CSU sehr progressive Vertreter, und es gibt Konservative bei der CDU, die eine traditionelle Frauenrolle befürworten. Wir haben in der CDU / CSU eine sehr große Bandbreite an Haltungen in allen Politikfeldern, auch in der Gleichstellungs- und Frauenpolitik. Ich vertrete wie die meisten Kollegeninnen und Kollegen die eher progressive Linie.
Welches Frauenbild würde ich denn dann wählen?
Ich würde es als modernes Frauenbild einer doch progressiven fortschrittlichen Union titulieren. Frau Merkel und Frau von der Leyen stehen unter anderem für dieses Frauenbild. Bei Diskussionen über Veränderungen in der Familien- und Frauenpolitik muss sich eine Volkspartei aber immer Zeit nehmen, um nach Möglichkeit alle gesellschaftlichen Positionen mitzunehmen. Das dauert bei der Entscheidungsfindung länger, ist dann aber durchdachter als in anderen Parteien.
Inwiefern?
Wir haben eine differenziertere Position, wenn es um die Umsetzung der Ziele mehr Frauen in Führungspositionen geht oder um Entgeltgleichheit. Denn in der Diskussion darüber berücksichtigen wir die verschiedenen Vorschläge, aber auch Bedenken, die es in der Union gibt. Es ist ein Vorteil der Union, weil wir so von einem eher ideologisch-geprägten einseitigen Frauenbild wegkommen, ob nun konservativ oder progressiv.
Zur Übersichtsseite unserer Aktion #wasfrauenfordern.
Das Betreuungsgeld, die sogenannte Herdprämie, ist nicht durchgekommen. Sind Sie froh darüber?
Ich finde den Begriff Herdprämie genauso unpassend wie Rabenmutter. Nach einer anfangs sehr kritischen Position zum Betreuungsgeld habe ich damals meine Position verändert. Ich habe es als anmaßend empfunden, wenn man Mütter und Väter, die gern in den ersten Jahren für das Kind da sein wollen über den Begriff Herdprämie diffamiert. Das ist deren freie Entscheidung. Die Entscheidungen von Eltern sind zu respektieren und die Betreuungsform der Kinder zu unterstützen.
Wie wird Ihr Sohn betreut?
Er ist seit dem 18. Monat sieben Stunden in der Kita.
Sie sind evangelisch, nicht verheiratet und haben ein Kind. Untypisch für die CDU. Wie fühlen Sie sich in der Partei?
Mein Sohn lebt glücklich mit Mama und Papa und nicht in einer Institution. Uns geht es gut, das ist wichtig. Der eine oder andere guckt vielleicht mal irritiert, wenn man sagt, man ist Vater und nicht verheiratet. Vorgeschrieben hat mir aber noch nie jemand etwas. Gerade weil ich nicht möchte, dass mir jemand vorschreibt, wie ich mein Leben zu führen habe, habe ich eine gewisse Sensibilität für Diffamierungen anderer Lebensmodelle. Ob wir heiraten oder nicht, ist unsere Entscheidung. Ob eine Frau wenige Wochen nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten geht oder ob sie nie wieder arbeiten geht, ist ihre freie Entscheidung. Es ist das Grundverständnis einer christdemokratischen Politik, dass jeder selbstbestimmt leben kann. Und das kann heißen: Ich lebe in einer Großfamilie, ich lebe alleine oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft.
Christdemokratisch gesehen wäre meine Freiheit aber eingeschränkt, wenn ich eine Frau lieben würde.
Sie sind ein freier Christenmensch, das wäre nur ihre Entscheidung. Ich gestehe ein, Teile der CDU könnten gewissen Entwicklungen noch etwas offener gegenüberstehen. (Anm.d.Red.: Dieses Interview ist vor der historischen Entscheidung für die "Ehe für alle" geführt worden. Marcus Weinberg gehörte zu den 75 Abgeordneten der Union, die mit Ja gestimmt haben.) Die Familienbilder haben sich in Deutschland geändert. Wie und mit wem man lebt müssen die Menschen entscheiden, das hat der Staat nicht zu bewerten. Was ich bewerten und unterstützen muss, sind Bindung und Verantwortung. Gestärkt werden muss, wer für einander Verantwortung übernimmt oder dort wo Bindungen bestehen – so zwischen Eltern und Kindern.
Was sind die drei wichtigsten Punkte, die Sie für uns Frauen ändern wollen?
Mehr Selbstbestimmtheit und Freiheit im täglichen Leben, den Abbau struktureller Benachteiligung in der Arbeitswelt und mehr Schutz vor Gewalt. Wenn wir Selbstbestimmtheit stärken wollen, kann der Staat das zum Beispiel durch die Schaffung von Angeboten in der Infrastruktur. Das zweite ist das Thema Abbau von struktureller Diskriminierung von Frauen. Das betrifft den ganzen Bereich Lohn und Frauen in Führungspositionen. Da haben wir jetzt das Entgelttransparenzgesetz und das Gesetz zu Frauen in Führungspositionen …
… das zur gleichberechtigten Teilhabe?
Ja. Und der dritte Punkt ist das besonders schlimme Thema Gewalt gegen Frauen. Wir haben gerade das Sexualstrafrecht geändert und das Prostituiertenschutzgesetz umgesetzt. Ganz aktuell ist auch Gewalt gegen Frauen mit Flüchtlingshintergrund ein Thema.
Das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit ist gerade an der CDU gescheitert.
In einer Volkspartei hat man nicht nur Frauenpolitik als Thema, sondern unter anderem auch Wirtschafts- und Mittelstandspolitik. Ich rate, dass man gerade bei diesen Fragen, immer versucht gemeinsam mit dem Mittelstand praktikable Lösungen zu entwickeln. Viele Arbeitgeber wollen Frauen wieder Vollzeit im Job sehen. Wegen des Fachkräftemangels gibt es inzwischen auch Bewegung im Mittelstand, viel dafür zu tun, dass die Frauen Vollzeit zurückkommen. Das ist schon mal gut. Jetzt aber gesetzlich dieses über zu reglementieren schreckt möglicherweise mittelständische Unternehmer ab, überhaupt jüngere Frauen einzustellen.
Und der Rechtsanspruch?
Ich bin für das Rückkehrrecht in Vollzeit ab einer verträglichen Unternehmensgröße mit Rechtsanspruch. Das müssen wir aber so hinbekommen, dass die Wirtschaft nicht überfordert wird. Jetzt werden viele sagen: "Ah, wieder das Gerede von der Überforderung der Wirtschaft". Aber genau daran ist zwischen SPD und Union das Rückkehrrecht gescheitert. Ich würde mir ganz genau darüber Gedanken machen, bei welcher Größe der Unternehmen das uneingeschränkt machbar ist. Wir haben in den letzten Jahren zu Recht und völlig notwendig viele Gesetze mit Rechtsansprüchen verankert: Elterngeld, Familienpflegezeit, Mutterschutz und mehr – das ist alles familienpolitisch wichtig. Ich werbe aber auch dafür, auch zu sehen, dass es gerade für kleinere Unternehmen nicht einfach ist, das alles umzusetzen. Wir müssen einen Ausgleich schaffen zwischen dem berechtigten Interesse an einem Rückkehrrecht und dem, was zum Beispiel für einen Betrieb mit sechs Mitarbeitern zumutbar ist.
Beim W20-Gipfel hat Frau Merkel gesagt: "Unternehmen haben sich durchs Nichtstun die Frauenquote erarbeitet." Sie haben Ihre Meinung zur Quote geändert, wie stehen Sie jetzt dazu?
Der Sinn der Frauenquote ist eigentlich, sie überflüssig zu machen. Das Thema Beteiligung an Führungspositionen muss so selbstverständlich sein, dass man gar nicht mehr über eine Quote nachdenken muss. Mit Blick auf die Beteiligung von Frauen an Führungspositionen hat man jetzt gesagt: "Liebe Unternehmer, tut was!" Und ich denke, Sie wären klug, wenn sie das machten, denn wir wissen aus allen Untersuchungen, es macht Unternehmen leistungsstärker, effizienter und konfliktfreier, wenn es gemischte Teams gibt und Frauen in Führungspositionen vertreten sind.
Warum dauert es dann so lange?
In manchen Branchen und Unternehmen gibt es noch Vorbehalte. Manchmal müssen da auch erst junge weibliche Führungskräfte nachwachsen. Deswegen bin ich inzwischen dafür, dass wir die Frauenquote implementieren. Doch wir sollten auch darauf achten, dass es für Unternehmen verträglich ist. Und da muss man gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen genau hinschauen.
Wo ist sie denn nicht verträglich? In den MINT-Branchen?
Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Ich finde es gut, dass man jetzt sagt, auf der Führungsebene gibt es eine Quote. Es fehlten ungefähr 178 Frauen in Aufsichtsräten. Diese Republik wird doch 178 gut ausgebildete Frauen haben, die diese Positionen besetzen können. So eine Quote ist aber weniger verträglich im operativen Bereich von Unternehmen. Eine sehr gute Rechtsanwältin findet man für jeden Aufsichtsrat, auch für solche von technischen Firmen. Aber in Unternehmen im Bereich MINT gibt es nun immer noch deutlich mehr Männer im operativen Management, weil sich Frauen früher weniger für technische Berufe interessiert haben. Wir haben uns daher für eine Flexi-Quote eingesetzt, bei der die Unternehmen ihre Ziele entsprechend ihres Frauenanteils selbst bestimmen können. Also, ich glaube, das war jetzt der richtige Schritt. Frau Merkel hat also Recht...
Womit?
Wenn die Unternehmen sich nicht bewegen, dann schauen wir uns das eine Zeit lang an. Und wir stellen die Frage, wie und wo man nacharbeiten kann. Ich warne aber jetzt gleich davor, nach einem Jahr oder nach zwei Jahren schon zu sagen, das bringt alles nichts. Ein Kulturwandel braucht Zeit. Kluge Unternehmen machen das schon seit Jahren, weniger kluge Unternehmen werden dann jetzt etwas stärker in die Pflicht genommen. Das finde ich auch gut so.
Das Ehegattensplitting wird heiß diskutiert. Wie steht die CDU dazu? Wir würden das Ehegattensplitting nicht abschaffen, sondern zum Familiensplitting weiterentwickeln. Viele Menschen haben sich mit ihrem Lebens- und Familienmodell darauf festgelegt, dass es die Möglichkeit gibt, sich Beruf und Familie untereinander aufzuteilen und dieses steuerlich berücksichtigt wird. Die Weiterentwicklung muss sein, dass wir in den nächsten Jahren insbesondere Familien mit Kindern entlasten. Das heißt, dass wir möglicherweise einen eigenen Faktor fürs Kind im Steuerrecht schaffen, oder dass wir den Kinderfreibetrag deutlich erhöhen. Wir wollen besonders darauf achten, dass wir Alleinerziehende und Mehrkindfamilien besonders stärken, weil bei diesen Familien das Armutsrisiko besonders hoch ist.
Sie werben stark mit dem Thema Baukindergeld. Hilft das Familien, die sich kaum die Miete leisten können? Mit 10 000 Euro kann man ja nicht gleich einen Kredit fürs Eigentum aufnehmen.
Familien im mittleren oder unteren Einkommensbereich haben heute null Chancen, Eigentum zu erwerben, wenn sie über kein Eigenkapital verfügen. Die Idee ist nicht nur ein Baukindergeld zuzuschießen, sondern es diesen Familien mit einer Bürgschaft zu ermöglichen, Eigentum zu erwerben.
Der Staat bürgt dann für die Familien?
Ich glaube, wir können mehr machen, um mehr Familien zu motivieren, Eigentum zu erwerben, gerade jetzt, wo wir niedrige Zinsen haben. Das wäre dann auch eine wichtige Säule der Alterssicherung.
Interview-Serie zur Bundestagswahl
Am 9. August gibt Katja Kipping, die Vorsitzende der Partei Die Linke, hier Auskunft, was sie für die Frauen tun will.
Was frauen fordern
Wir wollen, dass am Morgen der Bundestagswahl eines sicher ist: Frauen sind gehört worden! Unsere Leben, unsere Wünsche, unsere Ideen sind nicht "Frauen, Familie und Gedöns", wie Gerhard Schröder einmal sagte, sondern entscheidend für die Zukunft dieses Landes. Deshalb starten wir die Aktion: #wasfrauenfordern.
In einer großen, bundesweiten, altersübergreifenden Umfrage werden wir nach Ihren Forderungen fragen. Konkret und direkt. Denn das ist der EMOTION-Weg: nichts vorsetzen, sondern hinhören. Klicken sie auf wasfrauenfordern.de und werden sie Teil der größten Aktion, die EMOTION je umgesetzt hat. Ihre Meinung ist uns wichtig! Wir sind viele! Begleitet wird unsere Aktion von einer Interviewreihe mit Politikerinnen.
Hier geht es zurück zur Übersichtsseite von #wasfrauenfordern