Alle reden drüber, aber was ist New Work überhaupt? Expertin Christiane Brandes-Visbeck klärt uns im Interview auf.
Wir fragen Christiane Brandes-Visbeck zum Thema New Work
EMOTION: Der Begriff „New Work“ ist in aller Munde, aber was ist dieses New Work überhaupt?
Christiane Brandes-Visbeck: New Work ist ein Begriff, den der Philosoph und Anthropologe Frithjof Bergmann in den 1970er Jahren geprägt hat. Damals arbeitete er bei General Motors und die hatten dieselbe Problematik wie heute: Der zunehmende Einsatz von Computern führte zu Massenentlassungen. Als Verhandlungsführer der Arbeiterschaft empfahl er dem Management, die Mitarbeiter nicht zu entlassen. Bergmann erkannte, dass die Leute so sehr in Prozesse eingebunden und so wenig selbstbestimmt in ihrer Arbeitsweise sind, dass sie nicht mehr in der Lage sind, sich frei zu entfalten.
Der EMOTION Women's Day wurde auf den 19. Oktober 2020 verschoben. Die wichtigsten Fragen und Antworten findest du hier.
Er hatte eine Vision, die fast schon eine Utopie war: Menschen sollen nur die Hälfte ihrer Arbeitszeit in der Produktion verbringen und die andere Hälfte, die durch die Digitalisierung nicht mehr benötigt wurde dazu verwenden, sich mit Dingen zu beschäftigen, die ihnen Spaß machen und die bei der Selbstverwirklichung helfen: Sie sollen also mit Unterstützung des Arbeitgebers herausfinden, was sie "wirklich wirklich wollen". Diese rund 40 Jahre alte Idee von New Work ist jetzt im Rahmen unserer Digitalisierungsdebatte wieder aufgegriffen worden. Da wird gesagt: Wir müssen menschenzentriert arbeiten. Bevor wir Software einführen, die uns Arbeit abnehmen sollen, müssen wir prüfen, ob die abzubildenden Prozesse noch zeitgemäß sind und der menschlichen Arbeitsweise und den Kundenwünschen entsprechen. Es macht Sinn, sich mit New-Workern über Social Media austauschen, beispielsweise in Communities zu fragen, wie sie mit ihren Herausforderungen der zunehmenden Digitalisierung umgehen.
Wenn wir unsere Arbeitsweise und Arbeitsergebnisse an den sich ständig verändernden Bedürfnissen der Menschen in dieser schnelllebigen Zeit orientieren, arbeiten wir sinnorientiert. Dann funktionieren auch Geschäftsmodelle wieder.
Christiane Brandes-Visbeck hat eine Agentur zum Thema 'Kommunikation und Leadership im digitalen Zeitalter' und schreibt Bücher über die Zukunft unserer Arbeit.
Warum ist die Digitalisierung der Anstoß, den New Work Begriff nach fast 50 Jahren wiederzubeleben?
Die Digitalisierung der Wirtschaft fing spätestens in den frühen 1990er-Jahren an. Nach und nach erreicht sie unterschiedliche Branchen. Und auf einmal stellt sich heraus: "Oh, die Menschen haben ja gar keine Lust auf dieses Digitale, weil sie die Vorteile für sich persönlich nicht erkennen können. Also wollen sie sich und ihre Arbeitsprozesse nicht verändern." – Das heißt, dass sie möglicherweise unglücklich mit ihrer Arbeitswelt sind, aber keinen Sinn darin sehen, sich zu verändern. Deshalb kam die Idee von New Work als Motivationshilfe zurück. Bei der zunehmenden Digitalisierung und den dadurch notwendig gewordenen digitalen Transformationen geht es nämlich gar nicht nur um Technik und IT, sondern auch und vor allem darum, dass man Arbeit anders denkt – sich Gedanken darum macht, warum man arbeitet und wie die Arbeit aussehen muss, dass man sie gerne erledigt. Wie der britische Autor und New Work-Guru Simon Sinek sagt: "Im Mittelpunkt der Arbeit steht jetzt nicht mehr das Was – also das Produkt – sondern das Warum."
Ist das denn das Grundverständnis von New Work oder gibt es gar keins?
Das ist kompliziert. Wie alles, was neu ist, kann man es als Trend oberflächlich mitmachen oder aber aus Überzeugung leben. Aus meiner persönlichen Sicht ist die Essenz von New Work, dass jeder einzelne Mensch sich im Klaren darüber ist, warum er morgens aufsteht und was ihn antreibt. Deshalb haben Susanne Thielecke und ich im Buch "Fit für New Work" sieben Menschen wie die Karriere-Buchautorin Svenja Hofert, die Kommunikationsexpertin Dr. Kerstin Hoffmann, den Geschäftsführer der Next Media Accelerators Nico Lumma oder Stephan Grabmeier, Chief Innovation Officer bei der Kienbaum Consulting, der vor allem beim Haufe Verlag neue Organisationsformen eingeführt hat, oder Tobias Kremkau, Geschäftsführer des Berliner Coworking Spaces St. Oberholz porträtiert, die aus ihrer Biografie und ihren Interessen heraus sehr unterschiedliche Zugänge zu ihrer selbstbestimmten Arbeitsweise entwickelt haben, die wir heute New Work nennen.
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... Das sind die Heldengeschichten?
Ja. Sie haben sich ja alle getraut, unkonventionell vorzugehen, sind mutig in Bereiche gegangen, die noch gar nicht entwickelt waren und wo man sich teilweise gar nicht vorstellen konnte, ob sich so Geld verdienen lässt. Nico Lumma hat beispielsweise gesagt hat: "Ich mache etwas mit diesem Internet" und hat dafür sein Studium abgebrochen. Oder Kerstin Hoffmann, die gesagt hat: "Ich war jetzt so oft in Unternehmen – ich kann so nicht arbeiten, weil mir diese Organisationsstrukturen nicht liegen. Dafür bin ich zu frei denkend, zu kreativ." Sie alle haben sich ein neues, für sie passendes Umfeld geschaffen. Oder auch Stephan Grabmeier, der bei Haufe Management neu gedacht hat und dafür zum Geschäftsführer gewählt wurde. Alle diese Menschen haben etwas verändert. Sie sind Vorbilder für alle, die sich auf ihre persönliche Lernreise zu New Work begeben möchten.
Von ihnen können wir lernen, wie man Widerstände und Strukturen überwindet?
Genau. Mir war es wichtig, dass man über Leute spricht, die es geschafft haben. Es gibt so viele Menschen, die mit ihre persönlichen Karriere hadern und darüber stöhnen, wie andere ihnen den Weg verbaut haben: Weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren, zu ungeduldig, oder vielleicht, weil ihre Arbeitgeber noch nicht bereit waren für Diversity, Frauen in Führung, Vertrauensarbeitszeit oder intelligente Teilzeit-Konzepte, die keine Endstationen für Mütter und Väter sind. Manchmal ist es auch schwierig querdenkende Impulsgeber von außen im Management zu installieren, weil Unternehmer über zwanzig, dreißig Jahre hinweg die Karrieren ihrer Nachfolger geplant haben. Wenn dann so ein New Work-Prinzip oder das Gebot zu mehr Diversity das ganze Unternehmen durcheinander wirbelt, weil plötzlich ganze andere Menschen eine Chance haben, die man gar nicht auf dem Sender hatte. Das ist dann für die Organisationen ein echter Stresstest. Also muss erstmal der Druck rausgenommen werden. Das geht, indem man die Angst der Manager vorm Neuen nimmt und gemeinsam neue Wege findet. Oder das Thema Innovationen auslagert. Wenn das alles nicht funktioniert, wird das Unternehmen sicherlich irgendwann sterben – wie ein Dinosaurier. Der Tod der CeBit, der vornehmlich deshalb passiert ist, weil die Verantwortlichen das Geschäftsmodell einer Messe nicht neu denken konnten, hat es uns gerade drastisch vor Augen geführt.
An wen richtet sich das Buch?
Es richtet sich an alle, die entweder mutig werden und etwas verändern wollen. Oder an die Menschen, die in einem New-Work-Kontext arbeiten, weil ihr Arbeitgeber das mal ausprobieren will, und dafür Orientierung suchen.
Ist Ihr Buch eigentlich ein Sachbuch oder eher ein Ratgeber, Impulsgeber?
Es ist eine Mischung aus allem. Wir erzählen die Geschichten der New-Worker. Wir definieren in sogenannten Infoboden weit verbreitete Begriffe aus dem New-Work-Kontext wie "Growth Mindset", "Agilität" oder "Delegation Board" und stellen den Leserinnen und Lesern, die ihre eigene Arbeitsweise reflektieren wollen, Journaling-Fragen. Ich bin der Meinung, dass man diese sehr unterschiedlichen Lesebedürfnisse zusammen denken und auch in einem gedruckten Buch bedienen sollte. "Fit für New Work" ist sowohl, als auch.
Das heißt, dieses Buch ist genau so wenig greifbar, wie der New-Work-Begriff? Einfach dieser Prozess, in dem jeder die Dinge für sich selbst reflektiert...
Es ist eine Art Lernreise. Wir haben verschiedene strukturelle Elemente gewählt, weil wir gesagt haben: Das Buch soll ein Impuls sein zum Umdenken. Und gleichzeitig eine erste Anleitung sein, wie man das machen kann – eine Art Impuls oder Einstiegslektüre. Es gibt ganz viele Fachbücher, die einzelne Themen wie Mindset oder Agilität umfassender beleuchten. Uns geht es hauptsächlich um die Menschen, die das jetzt wollen und müssen – und die so gar keinen Plan haben.