Carl Achleitner ist ein österreichischer Schauspieler und Trauerredner. Was weiß jemand, der 2.900 Trauerreden gehalten hat, über das Leben und den Tod?
Carl Achleitner – Schauspieler und Trauerredner
Carl Achleitner, gebürtiger Oberösterreicher, lebt und arbeitet in Wien und ist seit den 1980er-Jahren als Theater-, später auch als Filmschauspieler tätig. Man kennt ihn aus dem Tatort, Inga-Lindström-Filmen und der Serie 'Vier Frauen und ein Todesfall'. Von der Süddeutschen Zeitung wurde er als Sympathieträger ersten Ranges bezeichnet – eine Zuschreibung, die auch in seiner zweiten Profession, der als Trauerredner, nur von Vorteil sein kann. Seit 2012 ist Carl Achleitner neben seiner Tätigkeit als Schauspieler auch Trauerredner, hat seither schon fast 2.900 Menschen verabschiedet. Ein Kollege von ihm habe ihm einmal in Bezug auf seine Tätigkeit als Trauerredner gesagt: "Ach ja, für Bezahlung Trauer heucheln", erzählt Carl Achleitner im Gespräch. "Es geht nicht darum, Trauer zu heucheln. Wenn ich auf dem Friedhof stehe, spiele ich nicht. Man kann es eher so bezeichnen: Menschen durch eine schwierige Phase begleiten – für ein bescheidenes Honorar". 2020 erschien Achleitners Buch "Das Geheimnis eines guten Lebens: Erkenntnisse eines Trauerredners". Eine Stunde lang unterhalten wir uns über das, was er als das "vielleicht letzte Tabu, das es noch gibt" bezeichnet: den Tod.
EMOTION: Zu Ihrem Beruf als Trauerredner sind Sie gekommen, weil Ihre Ehefrau Ann-Birgit Höller – zuvor Schauspielerin, seit 2016 wie Sie Schauspielerin und Trauerrednerin – Ihnen das vorgeschlagen hat. Sie haben zuerst Nein gesagt. Was hat Sie umgestimmt?
Carl Achleitner: Meine Frau hat vor fast 10 Jahren auf der Beerdigung eines Nachbarn eine Trauerrednerin erlebt. Daraufhin hat sie mich gefragt, ob das nicht etwas für mich wäre. Ich war total ablehnend, hatte mich zuvor noch nie mit dieser Thematik befasst, wusste gar nicht, dass es das gibt. Heute kann ich sagen: Das war die Angst davor, mich täglich mit dem Tod zu befassen. Nach langen, tiefergehenden Gesprächen mit ihr bin ich dann trotzdem zu einer Art Vorsprechen gegangen. So fing es langsam an. Als ich meine erste Trauerrede gehalten habe – ich werde das nie vergessen, das war der 17. Februar 2012 – habe ich in der Nacht davor kaum geschlafen. Ich wusste: Du darfst das nicht verhauen, das ist das echte Leben, das kann nicht wiederholt werden. Dir werden Menschen anvertraut, denen geht es gerade dreckig, die trauern. Ich war sehr aufgeregt.
Wie kam Ihre Frau zu diesem Beruf?
Sie hat mich anfangs vertreten, als ich vier oder fünf Wochen aufgrund einer Grippe ausgefallen bin. Wir haben zuhause dann gemeinsam geübt: vor den Kuscheltieren unseres Sohnes als fiktiven Trauergästen. Und sie ist eine tolle Rednerin. Ein Bestattungsmitarbeiter hat nach ihrer ersten Rede zu mir gesagt: "Inhaltlich war die Rede deiner Frau ähnlich wie deine. Nur viel, viel schöner". Ich finde sowieso, dass es mehr Trauerrednerinnen geben sollte. Ich denke, dass der Großteil männlich ist, liegt daran, dass viele Menschen Trauerredner:innen immer noch mit Priestern assoziieren, das sind ja leider Gottes nur Männer – zumindest im katholischen Österreich.
Es kann keine leichte Aufgabe sein, das komplexe Leben eines fremden Menschen nach seinem Tod zusammenzufassen. Welche Fragen stellen Sie den Angehörigen in Vorgesprächen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wer dieser Mensch war?
Manche sind in der Situation sehr redebedürftig, dann höre ich nur zu. Andere sind verschlossener. Es geht eher darum, zu spüren, was die Menschen in dieser Situation brauchen. Und Sie haben recht, es ist jedes Mal heikel. Eine Frage, die ich immer stelle, ist, ob die Person eine guter Mutter, ein guter Vater oder ein:e gute Ehepartner:in war. Das ist eine schwierige Frage, aber das muss ich wissen. Beim Verabschieden geht es immer um Liebe – ob sie da war oder nicht, ob sie gegeben und empfangen werden konnte. Albert Schweitzer hat in einem Interview auf die Frage, was das Wichtigste im Leben ist, gesagt, dass das einzig Wichtige die Spuren der Liebe sind, die wir hinterlassen, wenn wir gehen. Auch deshalb frage ich in solchen Vorgesprächen immer, ob ich sagen darf und kann, dass der- oder diejenige Spuren der Liebe hinterlassen hat. Auf diese Frage kommt natürlich nicht immer ein 'Ja'. Oder manche sagen: "Das klingt kitschig, aber doch stimmt es". Das sind Fragen, die ich immer stelle, der Rest ergibt sich im Gespräch.
Jeden Tag kann man sich fragen: Ist mein Leben, subjektiv empfunden von mir, ein gutes?
Carl AchleitnerTweet
In Ihrem Buch beschäftigen Sie sich mit Ihren Erkenntnissen aus der Arbeit als Trauerredner. Da werfen Sie die Frage auf, wie man ein gutes Leben lebt. Wie lebt man denn ein gutes Leben?
Ich bin bald bei 2900 Lebenswegen, die ein Ende gefunden haben und in die ich Einblick bekommen habe. Die Haupterkenntnis kann man vielleicht anhand dieser Geschichte mit den zwei Wölfen schildern, die mir von einem Trauergast geschildert wurde. In ihrer Schlichtheit spricht sie die allermeisten Menschen an, denn wir alle kennen diese beiden Seiten an uns. Einen guten Wolf, der für Lebensfreude und Liebe steht, und auch einen bösen Wolf, der für Neid, Gewalt, Narzissmus steht. Gelingt es uns, den guten Wolf zu füttern – wenn wir gute Entscheidungen treffen wollen und kein Arschloch sein wollen – und den Waffen des schlechten Wolfes entsagen, ist die Chance, ein gutes Leben gelebt zu haben, sehr hoch.
Kann man erst am Ende seines Lebens beurteilen, ob man ein gutes Leben gelebt hat?
Jeden Tag kann man sich fragen: Ist mein Leben, subjektiv empfunden von mir, ein gutes? Natürlich muss jeder Mensch das für sich definieren und entscheiden. Was heißt das, ein gutes Leben? Ich bin der festen Überzeugung, dass man versuchen sollte, ein von der Liebe getragenes Leben zu leben, gut zu sich und seinen Mitmenschen ist. Das klingt kitschig und banal, aber wir vergessen es oft. Schließlich kann unser Leben jeden Tag zu Ende sein. Darum sollte man Wünsche und Träume, die man hat, umsetzen – am besten heute und nicht morgen. Und auch Baustellen oder Konflikte, die man hat, sollte man beseitigen und klären.
Der Tod sollte kein Tabuthema sein
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Machen Sie sich mehr Gedanken über das Leben, seit Sie Ihren Beruf als Trauerredner ausüben? Sie sind ja beruflich mit dem Tod konfrontiert, aber andererseits auch mit dem Leben, indem Sie so viele verschiedene Menschen treffen. Man könnte fast sagen, Ihr Beruf hat mehr mit dem Leben zu tun als mit dem Tod.
Das ist ganz richtig. Es ist ein Blick mitten ins Leben, alle sozialen Schichten, alle möglichen Menschen, mit denen man – für kurze Zeit, aber doch intensiven – Kontakt hat. Natürlich macht man sich über das eigene Leben andere Gedanken. Einerseits hat die Tatsache unserer Sterblichkeit für mich ihren Schrecken verloren. Damit hadere ich schon lange nicht mehr. Es hilft, sich ab und zu mit dem Gedanken zu befassen, dass unser Leben endlich ist.
Schließlich ist vom bloßen Sprechen über den Tod noch niemand gestorben. Das sollte kein Tabuthema sein.
Schön gesagt. Sie haben gerade das Wort ausgesprochen: Tabu. Der Tod ist vielleicht das letzte Tabu, das es noch gibt. Eines der letzten zumindest. Und Sie haben völlig recht, es sollte kein Tabuthema sein. In den 10 Jahren, in denen ich bereits dabei bin, sind meine beiden Eltern verstorben. Ich bin sicher, dass es mir viel leichter gefallen ist, damit umzugehen, als wenn ich kein Trauerredner wäre. Man muss nicht wie ich jeden Tag über den Tod sprechen. Aber es schadet nicht, sich dessen bewusst zu sein. Im Jahr 2005 hatte ich einen schweren Autounfall. Als ich aus dem Krankenhaus nach Hause kam, habe ich mich in unserem Garten auf den Boden gesetzt, an den Blumen gerochen und war so froh, leben zu dürfen. Das Leben ist etwas Kostbares, Einzigartiges.
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