Mütter haben echt genug zu tun! Aber wenn niemand für sie einsteht, werden ihre Rechte weiterhin ignoriert. Deshalb will die Journalistin und zweifache Mutter Sarah Zöllner sie ermutigen mitzugestalten – auch mit Mini-Zeit-Budget.
45 Minuten – mehr kann Sarah Zöllner mir nicht geben. Sie hat nach unserem Zoomcall einen anderen Termin. Außerdem ist eines ihrer Kinder krank. Weshalb sie heute früh noch mal ihren Ex-Partner einspannen musste. "Da muss er jetzt durch", sagt sie und zuckt die Schultern. Ganz schön viel Zeitmanagement am frühen Morgen. Und auch darüber wollen wir heute sprechen. Denn die Journalistin hat mit ihrer Co-Autorin Aura-Shirin Riedel ein Sachbuch geschrieben, das nach Arbeit klingt: "Mütter. Macht. Politik. – Ein Aufruf!" Ihr Versprechen: Politische Teilhabe geht auch zwischen Baby wickeln und Kinderturnen. Und sie ist unvermeidlich, wenn wir dauerhaft raus wollen aus der Erschöpfung.
Sarah, Ihr schreibt in eurem Buch, Kinder und Menschen, die für sie sorgen, würden in unserer Gesellschaft als lästiges Extra betrachtet, das störungsfrei zu funktionieren hat. Wo kriegt man das als Mutter zu spüren?
Die klassische Situation ist, wenn das Kind krank ist und nicht in die Betreuung kann. Dann ist die Organisation an uns Müttern, wir müssen es selbst irgendwie möglich machen, trotzdem zu arbeiten. Unsere Arbeitswelt berücksichtigt einfach nicht, dass viele zusätzlich noch für Kinder sorgen. Aber auch im Alltag werden Kinder oft durch ihre reine Anwesenheit als Störfaktor betrachtet. Wobei sich da gerade ein Wandel vollzieht. Einfach weil Mütter heute selbstbewusst sagen: Ich möchte mein Kind auch in der Öffentlichkeit stillen. Oder ich bringe es, wenn nötig, auch mal zu einem beruflichen Treffen mit. Aber natürlich ist das eine kontinuierliche Kraftanstrengung, einfach immer zu merken, dass Kinder als lästig wahrgenommen werden.
Aber so ein Kind hat ja meistens zwei Elternteile. Wieso landet denn der ganze Stress bei den Müttern? Oder ziehen die sich den einfach selbst an?
Das ist ja oft das Argument: Wenn du loslassen würdest, würdest du auch Unterstützung bekommen. Das spielt sicher mit hinein. Aber das ist nicht fair. Es gibt einfach Rahmenbedingungen, die uns dabei im Weg sind. Wir haben erstens eine Kultur, die Frauen in der Verantwortung sieht. Etwa wenn der Kindergarten selbstverständlich bei der Mutter anruft, wenn es dem Kind schlecht geht. Oder wie schwer es Vätern in vielen Unternehmen gemacht wird, Elternzeit zu nehmen. Dann gibt es aber auch noch Rahmenbedingungen, die Gleichberechtigung und finanzielle Unabhängigkeit verhindern.
Das Ehegattensplitting etwa?
Genau. Oder die Tatsache, dass das Elterngeld 16 Jahre lang nicht erhöht worden ist und selbst im Höchstsatz recht gering ist. Das trägt dann dazu bei, dass es – scheinbar wie selbstverständlich – die Frau ist, die zeitweise aus dem Beruf aussteigt und dauerhaft weniger arbeitet, was sich oft in lebenslangen Gehaltseinbußen fortsetzt. Die Frauen verlieren dadurch aber nicht nur finanzielle Unabhängigkeit, sondern auch gesellschaftliche Entscheidungsmöglichkeiten.
Das musst du erklären!
Auf einmal sind sie nicht mehr in den Entscheidungspositionen im Unternehmen vertreten. Auch das ist Teilhabe. Auch das ist Politik. Oder in politischen Gremien. Da geht es manchmal um ganz konkrete Sachen, wie: Wird hier im Ort eine Schule gebaut oder nicht, gibt es ausreichend Kita-Plätze ... Und oft fehlt eben genau an diesen entscheidenden Stellen die Stimme der Mütter. Es geht in unserem Buch nicht nur darum, dass sich finanziell was verändert, oder um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern es geht um einen viel größeren Rahmen, darum, dass Mütter ein Mitspracherecht haben. Und das ist essenziell, denn wir brauchen unsere Kinder – und es ist ein echtes Problem, dass Menschen, die für andere sorgen, oft total erschöpft sind.
Die Abwesenheit von Müttern in Entscheidungsrunden bewirkt also, dass ihre Probleme zunehmen. Aber wie finden wir raus aus diesem Teufelskreis? Angenommen, ich habe eine Stunde Freizeit zur Verfügung. Wie nutze ich die am besten, wenn nicht mit ... schlafen?
Ich glaube, genau dieses Gefühl haben viele Mütter: Wie soll ich denn jetzt noch politisch werden? Aber ich finde, es ist im weiteren Sinn eine politische Handlung, sich selbst so wichtig zu nehmen, dass man gut für sich sorgt. Das ist das allererste. Sonst kann man keinen klaren Gedanken fassen.
Mondays for Mothers!
Mütter brauchen Zeit und Raum für Diskussionen und Lösungsansätze. So wollen Sarah Zöllner und Aura-Shirin Riedel ihn schaffen
Ob im Unterhalts- und Umgangsrecht nach einer Trennung, beim Schutz vor häuslicher Gewalt oder in der Geburtshilfe: Die Interessen und Bedürfnisse von Müttern werden oft übergangen. Wie wir das ändern können,
diskutieren die Buchautorinnen einen Montag im Monat mit Expert:innen, Aktivist:innen und natürlich Müttern auf www.muetter-macht-politik.de. Die Plattform soll außerdem dabei helfen, sich zu vernetzen und Initiativen zu finden, die Unterstützung verdienen.
Also sollte ich doch schlafen?
(lacht) Ja, aber vorher zwei Stunden freie Zeit aushandeln, sodass du dann noch eine Stunde Raum hast. In dieser einen Stunde kannst du vielleicht einen Spaziergang machen, zur nächsten Kinderarztpraxis gehen und dort einen Flyer von einem Projekt auslegen, das Mütter unterstützt. Dann hast du ein bisschen was für dich getan, hattest Bewegung und hast gleichzeitig etwas für die Gesellschaft gemacht. Oder du suchst das Gespräch mit deinem Partner und handelst aus, dass du zum Beispiel jeden Mittwochnachmittag Zeit für eigenes Engagement bekommst. Vielleicht gibt es eine Initiative, an der du dich beteiligen kannst, um dir dann wieder Räume zu schaffen? Mütter haben das Plus, sehr pragmatisch zu denken, sich auf das Konkrete zu fokussieren ... einfach weil es nötig ist.
Wird das politische Potenzial von Müttern unterschätzt?
Ja, auf ganz vielen Ebenen. Viele Mütter sind bereits politisch aktiv: Was leisten sie oft neben der Fürsorge für die Kinder auf sozialen Posten, etwa als Elternsprecherinnen, Kita-Vertreterinnen oder im Ehrenamt. Das wird aber, auch von ihnen selbst, häufig zur Seite gewischt. Zu Unrecht! Wer ein Schulfest organisieren kann, hat nicht nur Kompetenzen, die mit denen einer Projektleitung in einem Unternehmen vergleichbar sind, sondern auch eine spürbare Wirkung auf die Gesellschaft, die gerade dadurch, dass sie oft nicht bezahlt wird,
eben auch kleingeredet wird. Da brauchen wir ein Umdenken, weil ganz vieles ohne dieses Engagement schlicht nicht funktionieren würde. Auch Erwerbstätigkeit in der Form, wie sie
heute organisiert ist, mit der 40-Stunden-Woche als Normalarbeitszeit. Das funktioniert nur, wenn andere alles drum herum machen. Und diese anderen sind oft eben die Mütter.
Die Herabsetzung der Normarbeitszeit ist eine der Ideen, die ihr unterstützt.
Viele Verbände setzen sich dafür ein, unter anderem der DGB. Das ist also nicht auf unserem Mist gewachsen. Es geht dabei darum, Raum und Zeit zu schaffen für Verantwortung außerhalb der Erwerbstätigkeit. Und das ist eben wieder nicht nur auf Mütter beschränkt, sondern einfach enorm wichtig auch für Menschen, die in dieser Zeit ein Ehrenamt ausüben können, Angehörige pflegen ... Viele der Themen, die Mütter betreffen – auch darum geht es uns mit dem Buch – sind einfach gesellschaftliche Themen. Die betreffen auch Väter, die betreffen sogar Kinderlose, die kommen der Gesellschaft im Ganzen zugute. Dieses Bewusstsein muss entstehen.
Mehr Ideen für eine mütterfreundliche Welt in "Mütter. Macht. Politik. – Ein Aufruf!" von Sarah Zöllner und Aura-Shirin Riedel (Magas Verlag, 18 €)
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