Anja Reschke weiß, dass Haltung zeigen die einzige Lösung ist! Anonyme Drohungen (selbst gegen ihre Kinder!) kennt sie nur zu gut. Deshalb den Mut verlieren? Nein!
Anja Reschke weiß, was Haltung zeigen ist
"Dagegen halten", forderte die Journalistin Anja Reschke in ihrem berühmt gewordenen Kommentar in den "Tagesthemen" im August 2015, "Mund aufmachen" gegen rechte Hetze und Hass im Netz. Daraufhin wurde sie aufs Übelste beschimpft, belästigt und bedroht – bis heute. Aber sie ist auch zu einer Symbolfigur für Haltung geworden, dafür, an das Gute zu glauben und für seine Werte einzustehen. Nun hat sie ein Buch geschrieben, es heißt "Haltung zeigen". Sie hat uns erzählt, wie das geht, was wir alle dabei gewinnen und wie optimistisch sie selbst gerade ist.
EMOTION: Frau Reschke, Sie schreiben in Ihrem Buch: "Haltung erfordert mehr Stärke, als man annimmt." Was meinen Sie damit?
Anja Reschke: Dieses Wort, Haltung, wirkt immer wie ein Wort für Sonntagsreden oder für pathetische Spielfilme: Da ist jemand aufgestanden, der hat Mut gezeigt, das ist der tolle Held. Und man kann leicht beschließen, dass man das auch will: Haltung zeigen. Aber wie viel Stärke das erfordert, das merkt man erst dann, wenn diese Haltung angegriffen wird oder man selbst überprüfen muss, ob diese Haltung trägt, ob man sie durchhalten kann, im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist viel schwieriger, als ich dachte.
Warum?
Ich glaube, dieses Erspüren, was es bedeutet, für etwas einzustehen, ist etwas, das man am eigenen Leib erfahren muss, um zu kapieren, wie schwer das ist. Ich habe neulich zum Beispiel mit einer Zeugin in der #MeToo-Debatte gesprochen, die lange mit sich gerungen hat, zu sagen, was damals passiert ist, aber fand, man müsste doch Haltung zeigen. Dann wurde sie heftig angefeindet – wie sehr ihre Haltung auf den Prüfstand gestellt wurde, das war ihr vorher nicht klar. Das meine ich damit, wie schwer es ist, Haltung zu zeigen.
Was waren Momente, in denen es Ihnen schwergefallen ist?
Also, angegriffen zu werden für seine Haltung, das ist das eine. Das ging 2015 los, gleich nach diesem "Tagesthemen"-Kommentar. Da haben mir viele Tod, Vergewaltigung und sonst was an den Hals gewünscht. Das war schlimm, hat aber nicht an meiner Haltung gerüttelt. Der Moment, in dem ich in meiner Haltung verunsichert war, das war eher nach der Silvesternacht in Köln.
Was war da anders?
Nach diesem Silvester haben sich alle die bestätigt gesehen, die immer gesagt haben: Mit den Flüchtlingen kommt die Kriminalität. Und wir saßen hier als Redaktion und haben uns gefragt: Waren wir verblendet? Haben wir die Welt schöner malen wollen, als sie ist? Meine Haltung ist ja nicht pro Flüchtlinge, meine Haltung ist gegen Rassismus – aber an dem Punkt habe ich mich gefragt, ob meine Grundhaltung, zunächst einmal in jedem Menschen einen Menschen zu sehen, der die gleichen Rechte und die gleiche Würde hat, ob ich von dieser Haltung so sehr bestimmt war, dass ich die Probleme nicht mehr gesehen habe. Deshalb habe ich gerungen.
Zu welchem Schluss sind Sie gekommen?
Mir ist aufgefallen, dass wir Journalisten begonnen haben, Themen so zu betrachten, wie unsere rechten Kritiker sie betrachten würden. Daran merkst du, deine Haltung fängt an zu wanken, und ich dachte: Nein, das ist nicht richtig. Nur weil die da draußen so laut schreien und dir Angst machen, ist es nicht richtig, da jetzt umzufallen. Das ist das Entscheidende bei der Haltung.
Inwiefern?
Hier zeigt sich der Unterschied zwischen Meinung und Haltung. Ich glaube, dass sich eine Haltung nur dadurch zeigt, dass sie, selbst wenn sie ins Wanken gerät, hinterher wieder da ist. Meine Meinung, ob das für das Land jetzt gut ist, dass so viele Flüchtlinge da sind, kann ich ändern, aber die Grundhaltung dahinter, dass man Menschen würdevoll behandelt, nicht.
All der Hass und die Anfeindungen, die Sie auch schon vor Köln bekamen, haben Ihre Haltung nicht ins Wanken gebracht?
Na ja, die machen Angst. Vor allem, weil es dieser anonyme Hass ist, und du trittst auf die Straße oder sitzt im Bus und guckst dich um und denkst: Hat der Mensch, der neben mir sitzt, mir so etwas geschrieben? Ist der Handwerker, den ich in meine Wohnung lasse, der, der geschrieben hat: Du gehörst vergewaltigt? Ich hatte jetzt keine Angst, dass ich tätlich angegriffen werde, aber das hat dazu geführt, dass mich schon kurz der Mut verlassen hat, zu sagen, jetzt gehe ich da wieder heraus und mache das noch einmal. Das habe ich für mich überprüft.
Wie kamen Sie dann zu der Entscheidung, es doch wieder zu machen?
Ein Grund, der dagegen sprach, war, dass ich vor allem meine Familie und die um mich herum schützen wollte. Ich bekam zum Beispiel Mails, in denen stand: "Wenn du morgen moderierst, knall ich deine Kinder ab" mit den Namen und Geburtsdaten meiner Kinder und ich dachte: Woher haben sie das? Das war gruselig. Aber ich habe mich mit dem LKA besprochen und die haben die Bedrohungen als eher niederschwellig eingestuft. Es war mein Mann, der gesagt hat: Das bist du doch gar nicht, dich so zurückzuziehen. Du musst doch dafür einstehen, was du denkst, das ist doch, was in dir steckt!
Bei so vielen, für Sie teilweise heftigen negativen Konsequenzen – wieso lohnt es sich dennoch, Haltung zu zeigen?
Ich glaube, einzustehen für seine Werte, für dieses Grundkorsett, das man in sich hat, das macht auch den Zusammenhalt in der Gesellschaft aus. Halt und Haltung, diese Worte sind ja schon verwandt. Das macht jeder auf seine Weise. Manche sind laut und stellen sich ins Fernsehen, aber man kann das genauso in seinem privaten Umfeld tun oder sich in seinem Betrieb dafür einsetzen, dass da ein besseres Miteinander ist. Ich glaube, wenn man so lebt, hilft es allen. Oder wenn man sich mal vornimmt, eine Woche entspannter zu sein, beim Autofahren vielleicht nicht immer gleich aus der Haut zu fahren, das wirkt auch auf einen selbst zurück.
Die Vorfälle in Chemnitz haben niemanden kaltgelassen. Ja, das, was man da beobachten konnte, macht nicht gerade Mut. Wenn man sieht, wie viel Wut und Hass sich da auf der Straße Bahn bricht. Aber andererseits ist dadurch auch wieder eine Diskussion entbrannt, was wir in unserer Gesellschaft tolerieren wollen und wie wir uns Rassismus entgegenstellen. Und das macht mich optimistisch.
Tatsächlich? Was hilft Ihnen, immer noch optimistisch zu sein?
Es kommt ja nicht auf die Wütenden an, sondern darauf, wie sich die anderen verhalten. Ich glaube, da ist gerade viel in Bewegung. Im Herbst 2015 und Anfang 2016, da hatte ich Angst, nicht nur um mich, sondern um dieses ganze Land, weil plötzlich all das, was scheinbar selbstverständlich war, infrage gestellt wurde. Ich war mir nicht sicher: Schaffen wir das, als Land, diesem Hass zu begegnen? Aber jetzt habe ich den Eindruck, dass nach der Diskussion um die Rettungsboote im Mittelmeer, die nicht anlegen dürfen, und den "Absaufen"-Rufen in Dresden, dass jetzt viele sagen: Das geht zu weit. Ich war zufällig in München, als da 20 000 Leute im strömenden Regen gegen rechte Hetze auf die Straße gegangen sind, und deshalb habe ich gerade das Gefühl, es gibt doch diesen zivilgesellschaftlichen Konsens.
Muss man glauben, dass alles gut wird, um Haltung zeigen zu können?
Ja. Ich glaube, letztlich muss man doch ein bisschen Idealist sein. Wenn ich sagen würde: Bringt ja eh nichts, dann kann ich auch sagen, das war’s. Wenn ich nicht denken würde, dass es etwas bringen kann, für etwas einzustehen, mich dafür starkzumachen und auch Angriffe auszuhalten, dann würde ich es wohl nicht machen.
Und wie kriegen Sie sich dazu? Wie richten Sie sich auf, wenn Sie dabei sind, den Mut zu verlieren?
Ich bin ein ziemlich empathischer und rührseliger Mensch. Ich muss immer weinen, wenn etwas Schönes passiert – ein Brautpaar vor der Kirche, Kinder, die zum ersten Schultag gehen, auch wenn ich die gar nicht kenne. Und genauso rührt es mich, wenn ich sehe, dass jemand etwas geschafft hat. Wenn zum Beispiel Flüchtlinge, die Furchtbares erlebt haben, jetzt einen neuen Anfang hingekriegt haben, dann berührt mich das. Und es bestätigt meine Ursprungshaltung, den Menschen zu sehen und mich deshalb dem Rassismus zu verschließen. Wenn sich jemand pauschal abwertend gegenüber anderen äußert, ist das mit meiner Haltung nicht vereinbar. Das halte ich nicht aus.
Als Kommentatorin zeigen Sie öffentlich Haltung. Wie zeigen Sie sie im Alltag?
Ich glaube, dass man Haltung immer zeigt. Sie ist immer da und misst sich daran, was ich tue. Man kann ja leicht behaupten, man sei tolerant, aber ob man es wirklich ist, zeigt sich, wenn nebenan eine laute Party gefeiert wird. Oder wenn die Nachbarn Stinkstiefel sind, peste ich dann zurück? Wie du mir, so ich dir? Wenn mir einer die Vorfahrt nimmt? Lasse ich mich provozieren oder bleibe ich friedliebend? Ich glaube, das ist das, was die Haltung jedes Einzelnen ausmacht. Da muss sie eigentlich sein. Im Alltag ist sie viel wichtiger als in irgendwelchen "Tagesthemen"-Kommentaren.
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