Nach Kolumbien auswandern und ganz neu anfangen? Lisa entschied mit 25, dass Kolumbien ihre neue Heimat werden sollte. So gelingt der Start im Ausland.
Lisa war gerade schwanger, als sie gemeinsam mit ihrem Freund plante, nach Kolumbien auszuwandern. Tobias ist Bauingenieur und hatte bereits für längere Zeit im Ausland gearbeitet. Er sprach fließend Spanisch, Lisa hingegen kannte nur die einfachsten Dinge, wie: "Hola, me llamo Lisa." In Deutschland arbeitete sie als Journalistin und Deutschlehrerin.
Heute leben sie mit ihren zwei kleinen Töchtern auf einer Finka in der Nähe von Buga, Kolumbien und planen, ein Hostel zu eröffnen. Im Interview erklärt Lisa uns, warum sie die Ruhe und Freiheit dort genießt. Sie rät aber Auswanderungswilligen auch, keine zu hohen Ansprüche an die eigene Zufriedenheit zu stellen.
EMOTION: 2014 seid ihr zum ersten Mal zusammen nach Kolumbien geflogen. Hattet ihr da schon mit dem Gedanken gespielt, dorthin auszuwandern?
Lisa: Wir wollten es eher mal ausprobieren, dort zu leben. Ich war damals im sechsten Monat schwanger. Hätte es uns nach vier Wochen überhaupt nicht gefallen, wären wir wieder zurückgeflogen. Aber dann hat sich alles wundersam gefügt und wir sind geblieben.
Warum seid ihr aus Deutschland weg gegangen?
Mein Freund hatte schon seit Kindertagen den Traum, eines Tages auf einer Finka in Südamerika zu leben. 2011 hat er dann ein Jahr lang den ganzen Kontinent bereist. Er wollte auskundschaften, wo er sich vorstellen könnte zu leben. Irgendwann kam er zufällig in die Gegend, in der wir heute leben und hat eine Gruppe lieber Menschen kennengelernt, bei denen er wochenlang gelebt hat. Zurück in Deutschland hat er den Entschluss gefasst, dass er hier leben möchte. Genau an dem Tag haben wir uns kennengelernt. Zufällig im Kino, in einem Film über Kolumbien.
Ich hatte damals gerade das Studium beendet und wollte raus in die Welt. Generell hatte ich in Deutschland das Gefühl, in einer Blase zu leben. Irgendwie war alles da, die Wege bekannt und tausendmal gegangen. Ich brauchte unbedingt etwas Neues und ganz Anderes.
Kolumbien gilt aufgrund seiner hohen Kriminalität als eines der unsichersten Länder der Welt. Wieso habt ihr euch entschieden, doch dort zu bleiben? Du warst ja immerhin hochschwanger.
Natürlich hat Kolumbien zum Beispiel eine hohe Mordrate, aber es kommt - wie in jedem Land - darauf an, wo man sich befindet. Wir leben auf dem Land und hier ist es ziemlich ruhig. Trotzdem ist es wichtig, gut vernetzt zu sein und sich mit den Nachbarn gut zu verstehen. Wir schließen nachts unsere Türen nicht ab, haben dafür aber unsere Hunde, die anschlagen: meistens aber nur, weil ein Pferd den Berg hochtrabt oder Mountainbiker aus der Stadt vorbei radeln.
Wie kann man sich euer Zuhause in Kolumbien vorstellen?
Wir leben im Süden Kolumbiens, 1.5 Stunden von Cali entfernt, einer der größten Städte Kolumbiens. Die nächstgrößere Stadt ist Buga (ca. 120.000 Einwohner). Dort geht unsere große Tochter in den Kindergarten. Von Buga fährt man 15 Minuten mit dem Auto in die Berge zu einem kleinen Dorf, La Magdalena, unsere Finka liegt etwas außerhalb. Sie ist drei Hektar groß: Direkt am Eingang stehen unser Wohnhaus und ein Anbau. Von dort führt der Weg über die Finka hin zu einem weiteren Haus, das bald ein Hostel werden soll. Links und rechts vom Weg gehen Weiden ab. Das Gelände ums Hostel herum ist wild bewachsen mit Bananen und Gemüse und fällt dann zu einem kleinen Bach ab. Mittlerweile leben hier zwei Pferde, zwei Kühe, fünf Hunde, drei Katzen, zwei Schweine, Hühner, Enten und Gänse und bald wird unser erstes Fohlen geboren.
Was macht diesen Ort so besonders für euch, dass es der Ort ist an dem eure Kinder aufwachsen sollen?
Besonders ist für uns vor allem die Natur. Man hat in alle Richtungen unglaubliche Aussichten, morgens fliegen grüne Papageien quer über die Finka und nachmittags wieder zurück. Wenn von fünf bis sechs die Sonne untergeht, taucht sie alles in ein goldenes Licht, abends glitzern am Himmel die Sterne und in den Weiden die Glühwürmchen. Am Horizont erhellt immer wieder gewaltiges Wetterleuchten die gegenüberliegende Bergkette.
Dass unsere Kinder nun tatsächlich hier aufwachsen, hat sich eher so ergeben. Ich hatte nie geplant auf dem Land zu leben, aber mittlerweile kann ich mir nicht vorstellen, woanders zu leben. Die Kinder wachsen hier in Ruhe auf, ohne den Stress, der einen in der Stadt umgibt. Hier ist soviel Platz, jeden Tag können sie entdecken und rumwuseln und abends sind sie immer todmüde von der frischen Luft.
Sprecht ihr mit den Kindern Spanisch oder Deutsch? Welche Rolle spielt Deutschland überhaupt noch für die Kinder?
Wir sprechen ausschließlich Deutsch mit den beiden. Unsere Vierjährige spricht mittlerweile fast genauso gut Spanisch wie Deutsch. Wir sind mindestens einmal im Jahr in Deutschland. Letztes Jahr waren wir für die Geburt unserer zweiten Tochter sogar vier Monate lang dort. Deutschland ist total präsent, denn dort machen wir Urlaub und es ist immer viel los, wenn wir Freunde und Familie treffen. Aber natürlich ist es auch ein Prozess für die Große, die Distanz zu verstehen und zu lernen, dass man nicht einfach kurz hinfliegen kann, um Oma und Opa zu besuchen.
Meine Eltern kommen zum Glück ein- bis zweimal im Jahr hierher. Sie haben von Anfang an alles miterlebt und auch meine Schwiegereltern sind total interessiert und haben uns dieses Jahr zum ersten Mal besucht.
Was ist am Leben in Kolumbien anders als in Deutschland?
Was unser persönliches Leben betrifft, ist es auf jeden Fall die große Freiheit, die wir hier verspüren. Dass wir zum Beispiel Kühe haben können, ohne ein Zertifikat vorweisen zu müssen oder einen Pferdestall bauen können, ohne einen Antrag zu stellen. Auch, weil wir auf dem Land, bzw. in einer Kleinstadt unterwegs sind, herrscht keine große Hektik. Im Supermarkt läuft immer Salsa-Musik, an der Kasse wird ganz entspannt Small Talk gehalten und meistens trifft man im Dorf oder in der Stadt Bekannte. Von der Mentalität her sind die Kolumbianer viel flexibler, spontaner und offener als Deutsche. Eine andere Facette ist natürlich der größere Unterschied zwischen Arm und Reich. Wenn wir die fünf Minuten mit dem Auto ins Dorf fahren, stehen da Wellblechhütten, die aussehen, als könnten sie jeden Moment in sich zusammenfallen und einige hundert Meter weiter hat sich jemand gerade seine Wochenendfinka mit Swimmingpool gebaut.
Du planst ein Hostel zu eröffnen. Kannst du uns dazu noch etwas erzählen?
Das Haus, was ein Hostel werden soll, hat eine typisch kolumbianische antike Architektur. Deshalb stellten wir uns dort von Anfang an ein Hostel vor: Von einer langen Veranda gehen die einzelnen Zimmer ab, in der Mitte gibt es eine große Küche. Allerdings muss das Haus erst einmal renoviert werden. Bis nächsten Sommer werde ich die Planungen fertig stellen und dann hoffentlich mit den Bauarbeiten anfangen, um in zwei Jahren zu eröffnen.
Das Hostel wird sechs Zimmer haben, die meisten davon mit eigenem Bad, ein Mehrbettzimmer, eine große Küche und einen Gemeinschaftsraum. Man kann morgens Kaffee trinken und dabei Kolibris beobachten, sich ein Auto von uns leihen und die Gegend erkunden, zu Wasserfällen oder zu einem guten Freund von uns auf seine Finka im Dschungel wandern und frische Lachsforelle aus seiner Zucht essen. Das Hostel soll für mich eine Begegnungsstätte werden, die man auch für Workshops, Events oder Kindergeburtstage mieten kann.
Vor allem möchte ich aber den Gästen die kolumbianische Geschichte und Kultur näherbringen, zum Beispiel durch Ausstellungen oder Filmabende, bei denen sich hoffentlich Ausländer und Kolumbianer begegnen und austauschen können. Ich will diesen besonderen Ort mit so vielen Menschen wie möglich teilen, sie inspirieren und mich inspirieren lassen.
Ist es schwierig, sich in Kolumbien selbständig zu machen ? Was empfiehlst du anderen, die sich im Ausland beruflich neu orientieren wollen?
Konkrete Tipps zu geben ist schwierig, da jeder unter anderen Umständen und mit anderen Voraussetzungen herkommt. Natürlich hilft es ungemein, ein finanzielles Polster zu haben, denn hier in Kolumbien Geld zu verdienen, ist nicht so einfach. Man bekommt bei der Einreise ein dreimonatiges Touristenvisum, das man für weitere drei Monate verlängern kann, danach muss man ein Visum beantragen. Das ging bei uns immer mit viel Papierkram und hohen Kosten einher.
Ich glaube allerdings, dass die mentale Stärke das Wichtigste ist beim Auswandern. Man sollte keine zu hohen Erwartungen an die eigene Zufriedenheit stellen oder sich erhoffen, dass man woanders glücklicher wäre. Denn meiner Erfahrung nach, erlebt man im Ausland alles intensiver, das heißt die Höhen sind höher und die Tiefen tiefer. Manchmal fragt man sich, was man bloß am anderen Ende der Welt macht, und sieht denn Sinn nicht, manchmal fühlt man sich großartig und stark und ist stolz, wie weit man schon gekommen ist.