In ihrem Buch "Wir müssen über Geld sprechen" beschreibt Otegha Uwagba, wie abhängig Wohlstand und Chancen von der Herkunft und Identität einer Person sind – und wie wenig darüber gesprochen wird. Eine Stimme, der wir unbedingt zuhören sollten...
Geld regiert die Welt
Geld beeinflusst so gut wie jeden Bereich unseres Lebens: Wo und wie wir wohnen, mit welchen Menschen wir zusammen sind, was wir essen, wie wir unsere Freizeit verbringen, welche Chancen wir im Job haben – und gleichzeitig redet fast niemand darüber.
Die Journalistin, Autorin und Rednerin Otegha Uwagba sagt: Wir müssen das ändern! Wir müssen über Geld sprechen, über Privilegien und Möglichkeiten und darüber, dass nicht alle die gleichen Startbedingungen haben. Uwagba selbst zog im Alter von fünf Jahren mit ihren Eltern und zwei älteren Schwestern von Nigeria nach Großbritannien. Dort wuchs sie in London auf. Finanziell kam die Familie in den ersten Jahren über die Runden – viel mehr aber auch nicht. In ihrem neuen Buch "Wir müssen über Geld sprechen. Frauen, Finanzen und Freiheit" beschreibt Uwagba, wie sehr sie das prägte:
[...] so sehr meine Eltern auch versuchten, das Thema Geld in unserem Leben nicht zu einem Thema werden zu lassen, so sehr spürte ich von klein auf, dass es eines war. [...] Wenn es um Geld ging, entging mir nicht, unter welchem Druck meine Eltern standen.
Otegha UwagbaTweet
"Du musst nur hart genug arbeiten, dann kannst du alles schaffen..."
Durch ihre guten Leistungen erhielt Uwagba ein Stipendium für eine Privatschule und studierte schließlich in Oxford. Sie war gut, richtig gut. Und sich sicher: Ich habe hart gearbeitet, also stehen mir jetzt alle Türen offen. Bei den EMOTION Women's Days 2021 erzählt Uwagba wie sie realisierte, dass dem nicht so war. Zuhause mit zwei Schwestern und auf der Mädchenschule, die sie besuchte, stand es nie zur Diskussion, dass Frauen etwas nicht schaffen könnten. Auch in ihrem eher weißen Umfeld auf der Schule und Uni, hing der Erfolg von Noten ab und davon, wie hart man arbeitete. Doch mit dem Start ins Arbeitsleben merkte Uwagba, dass es ab jetzt anders lief. Sie realisierte, wie klassistisch, rassistisch und sexistisch die Arbeitswelt sein kann.
Hier siehst du Otegha Uwagba im Interview bei den EMOTION Women's Days 2021
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In einem ihrer ersten Jobs wurde Uwagba deutlich schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Sie ahnte es bereits, später kam heraus, dass es vielen Frauen in der Firma so ging, die daraufhin eine Sammelklage einreichten. Im Interview sagt sie, sie schäme sich bis heute dafür, dass sie so "blöd" gewesen sei, ihr geringes Gehalt zu akzeptieren – dabei sollten sich doch eigentlich die Arbeitgeber:innen schämen, Menschen so unterzubezahlen. Die Erkenntnis, dass die schlechte Bezahlung und die insgesamt sexistische Unternehmenskultur nichts mit ihr als Person zu tun hatte, beschreibt Uwagba als befreiend – weil es ihre Erfahrungen legitimiert. Letztendlich ändere es nichts, doch es nehme den Druck, Fehler bei sich selbst zu suchen, und beantworte die Frage "Hätte ich etwas ändern können?" mit "Nein". Und zwar, weil darüber gesprochen wurde und jeder Einzelnen klar wurde: Ich habe nicht persönlich versagt und ich hätte meine Erfahrungen dort nicht ändern können.
Wir schämen uns, über Geld zu sprechen
Um dort hinzukommen, mussten viele Betroffene eine unsichtbare Hürde überwinden – ihre Scham. Betroffene schämen sich für ihre Erfahrungen ("Wie konnte mir das passieren?"), ihre Wahrnehmung ("Vielleicht übertreibe ich ja auch"), und häufig auch dafür, dass sie das mit sich machen lassen ("Ich bin ja auch selbst schuld"). Doch je mehr Personen sich bezüglich eines solchen Themas äußern, desto niedriger wird die Hemmschwelle für andere, es ihnen gleichzutun.
Beim Thema Geld ist die Scham besonders groß und verhindert häufig, dass wir darüber sprechen – egal, ob wir das Gefühl haben, viel oder wenig Geld zu besitzen. Uwagba sagt, wir seien daran gewöhnt, dass sich Menschen mit wenig Geld schämen. Denn unsere Gesellschaft urteile über sie, und kein Geld zu haben gelte als Zeichen von Faulheit, Dummheit oder fehlender Ambition. Dabei lassen wir strukturelle Faktoren gern außer Acht. Was uns dagegen überrasche, sind Menschen, die sich dafür schämen, viel Geld zu haben. Das seien häufig Menschen, die sich der Ungerechtigkeit unseres Systems bewusst sind und deren Status nicht mit ihrer politischen Einstellung zusammenpasst. Sie haben das Gefühl, "Teil des Problems" zu sein und schämen sich, darüber zu sprechen. Uwagba schreibt in ihrem Buch:
"Im Kreis meiner Freunde, von denen ich wusste, dass sie mehr verdienten als ich (Banker, Juristen, Unternehmensberater), war mir mein vergleichsweise niedriges Gehalt etwas peinlich; im Kreis derer, die entweder arbeitslos waren oder kellnerten, während sie Jura studierten oder ihren Master machten, war mir mein relativer Wohlstand unangenehm – also erzählte ich auch ihnen nichts von meinem Gehalt."
Checkt eure Privilegien – und redet darüber
Doch nicht nur über das Geld, das wir selbst verdienen, sprechen wir nicht gern. Auch über das, was uns durch äußere Umstände, zum Beispiel unsere Familien, zur Verfügung steht. Uwagba schreibt darüber, wie sich ihre Freundin Amy mit 24 Jahren eine Wohnung in London kaufte. Und wer sich den Wohnungsmarkt in London schon einmal angeschaut hat weiß, da geht es noch schlimmer zu als in den beliebtesten deutschen Großstädten. Angeblich nahm sie dafür eine Hypothek auf. Als Uwagba einige Jahre später selbst ihre Chancen auf Eigentum durchrechnete und ziemlich resigniert feststellen musste, dass das mit einem Londoner Durchschnittseinkommen kaum zu stemmen ist, fragte sie noch einmal genauer nach, in der Hoffnung, Amy hätte einen Geheimtipp parat. Diese gestand jedoch, dass sie gar keinen Kredit aufgenommen, sondern ihre Eltern die Wohnung bezahlt hatten. Sie hatte nichts gesagt, weil es ihr peinlich war.
Das mag nachvollziehbar sein, niemand möchte als "verwöhnt" abgestempelt werden und seine Privilegien nicht in die Welt hinaus zu posaunen, mag ehrenwerte Absichten haben. Aber:
Wenn Menschen ihre enormen Privilegien verheimlichen – sei es die Erbschaft, die einen Hauskauf ermöglicht, oder der berufliche Aufstieg, der durch finanzielle Unterstützung ermöglicht wird – , führt das dazu, dass die weniger Bevorteilten und Glücklichen sich selbst zerfleischen und ungenügend fühlen, wenn sie nicht dieselben Meilensteine erreichen. Denn sie wissen nicht, dass es einen geheimen Schummelcode gibt, zu dem sie keinen Zugang haben.
Otegha Uwagba in "Wir müssen über Geld sprechen"Tweet
Wie gerne wird uns suggeriert, jede:r hätte die gleichen Chancen im Leben und "du kannst alles schaffen, wenn du nur hart genug dafür arbeitest". Das ist, wie auch Uwagba feststellen musste, schlichtweg nicht wahr.
Intersektionale Diskriminierung
Als Schwarze Frau erlebt Uwagba nicht nur sexistische, sondern gleichzeitig rassistische Diskriminierung. Dass viele Jobs und Förderungen durch persönliche Beziehungen vergeben werden und dass Menschen das größte Vertrauen zu solchen haben, die ihnen ähnlich sind, ist kein Geheimnis. Seit Jahrzehnten zeigen Studien, wie homogen die Vorstände großer Unternehmen sind – und, dass sie zum Großteil aus weißen Männern bestehen. Uwagba beschreibt in ihrem Buch ein gemeinsames Abendessen mit dem Vorstand ihres Arbeitgebers. Sie war wenig in das Gespräch involviert, da es hauptsächlich um Cricket ging, was Uwagba nicht sonderlich interessiert. Der Vorstand, Robert, nahm später einen der anwesenden weißen cricket-begeisterten Männer als Mentee unter seine Fittiche. Uwagba schämte sich und hatte das Gefühl, ihre Chance auf einen guten Eindruck vermasselt zu haben. "Erst viele Jahre später wurde mir klar, wie gering meine Chancen waren, mit Robert in irgendeiner Weise in Verbindung zu treten, und zwar nicht nur, weil ich keine Ahnung von Cricket habe. [...] Männer wie Robert erkennen sich in mir nicht wieder, denn meine Hautfarbe macht mich für ihn unsichtbar [...].", schreibt sie in ihrem Buch.
Warum dieses Buch so wichtig ist
Otegha Uwagbas Buch macht uns klar: Sowohl die Eigentumswohnung als auch der Fuß in der Tür des Vorstandes ist keineswegs (nur) der Verdienst eigener Leistungen und harter Arbeit. Viel mehr ist es eine Frage von sozialem Status, Geschlecht und Hautfarbe. Das zu wissen ändert zwar im ersten Moment nichts an der bestehenden Ungerechtigkeit. Wenn wir aber weiterhin nicht darüber sprechen, wenn wir weiterhin so tun, als sei es einzig und allein die harte Arbeit jeder und jedes Einzelnen, die darüber entscheidet, wie viel Geld eine Person zur Verfügung hat und wie sie ihr Leben gestalten kann, dann werden sich weiterhin Menschen innerlich auffressen bei der Frage, was sie falsch machen. Warum sie zu wenig verdienen, um sich eine Wohnung leisten zu können, während es doch alle anderen auch schaffen. Warum sie trotz harter Arbeit nicht gesehen werden, während der dritte weiße Mann namens Thomas im Vorstand landet. Wenn wir uns der Privilegien bewusst sind, die wir und andere haben, dann können wir unsere Energie dafür nutzen, das System zu verändern, anstatt uns an ihm die Zähne auszubeißen. Aber das können wir nur gemeinsam schaffen und nur, wenn wir darüber sprechen.
"Wir müssen über Geld sprechen. Frauen Finanzen und Freiheit" von Otegha Uwagba. Deutsche Version erhältlich ab 02. März 2022 im Atlantik Verlag.
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