Welchen Einfluss hat unsere Ernährung auf die Welt – und was hat das mit Geld zu tun? Mayssa Al Midani verwaltet den Pictet-Nutrition Fonds bei Pictet Asset Management und ist überzeugt, dass die Ernährung der stärkste Hebel ist, um die Gesundheit von Mensch und Planet zu verbessern. Im Interview erklärt sie, wie das funktionieren kann, wie wir mit entsprechenden Geldanlagen dabei helfen und gleichzeitig Rendite erzielen.
EMOTION: Ernährung und Geld – das gehört für viele Menschen vielleicht nicht auf den ersten Blick zusammen. Warum steht es trotzdem in einem direkten Verhältnis?
Mayssa Al Midani: Lebensmittel stehen im Mittelpunkt einiger unserer größten sozialen und ökologischen Herausforderungen. Aus sozialer Sicht ist Unterernährung die Hauptursache für zahlreiche Todesfälle und Krankheiten weltweit. Jeder fünfte Todesfall ist auf ungesunde Ernährung zurückzuführen, mehr als durch Rauchen und bewaffnete Konflikte zusammen. Aus ökologischer Sicht ist die Nahrungsmittelproduktion für ein Viertel der Treibhausgasemissionen, 70% des Süßwasserverbrauchs, 40% der Landnutzung und 46% des Drucks auf die Artenvielfalt verantwortlich.
Die Welt steht heute vor der dringenden Notwendigkeit, diese immensen Herausforderungen zu bewältigen und das Finanzkapital ist ein klarer Wegbereiter, da umfangreiche Investitionen und Engagement-Programme erforderlich sind, um den Übergang zu nachhaltigeren Lebensmittelsystemen zu erleichtern, die sowohl für die Menschen als auch für den Planeten von Vorteil sind. Daraus ergeben sich auch potenziell lukrative Möglichkeiten für Unternehmen in der gesamten Wertschöpfungskette, von der/dem Erzeuger:in bis zur/zum Verbraucher:in, diese Herausforderungen mit innovativen Lösungen und Technologien anzugehen. Das Thema Ernährung bietet somit Potenzial für attraktive langfristige Renditen und eine positive Wirkung.
Was macht Investments im Ernährungs-Bereich so spannend bzw. wichtig?
Wir befinden uns heute an einem Wendepunkt, an dem die Herausforderungen unserer Lebensmittelsysteme durch die unterschiedlichen Akteure in den Mittelpunkt rücken: Erstens die Regierungen, was zu neuen Vorschriften und staatlicher Unterstützung führt, zweitens die Verbraucher, die immer gesundheits- und umweltbewusster werden und ihre Kaufentscheidungen dementsprechend treffen, und drittens die Unternehmen, welche die Chance erkennen, Lösungen für diese Probleme zu finden und Innovationen und neue Technologien entwickeln – diese müssen jedoch finanziert werden. Das Kapital dafür kann in Form von Börsengängen bereitgestellt werden, was zu einem wachsenden investierbaren Universum führt. Die Möglichkeiten, in Lösungen für unsere angeschlagenen Lebensmittelsysteme zu investieren, um eine nachhaltigere Zukunft der Ernährung zu schaffen, sind zahlreich und wachsen – von Präzisionslandwirtschaft, vertikalen Farmen und nachhaltiger Landwirtschaft bis hin zu Lösungen für Lebensmittelabfälle und Lebensmittel der neuen Generation wie Fleisch- und Milchprodukte auf Pflanzenbasis.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Ernährung der stärkste Hebel ist, um die Gesundheit der Menschen und des Planeten zu optimieren.
Mayssa Al Midani, Senior Investment ManagerinTweet
Wie denken Sie, sieht die Ernährung der Zukunft aus?
Verbraucher:innen und Regierungen sind sich zum ersten Mal einig in der Forderung nach nachhaltigeren, qualitativ besseren Nahrungsmitteln und Anbaumethoden. Ebenfalls zum ersten Mal verfügen die Unternehmen der gesamten Lebensmittelwertschöpfungskette über ausgereifte Innovationen und Technologien, um diese Anforderungen zu erfüllen. Wir erleben das Aufkommen einer neuen Generation von Lebensmitteln – Produkte auf pflanzlicher Basis, die ökologisch nachhaltiger und besser für unsere Gesundheit sind, abgestimmt auf die so genannte "planetarische Gesundheitsdiät", welche die Gesundheit von Mensch und Planet im Auge hat. Im Fokus stehen auch neue Unternehmen im Lebensmittelbereich, die eine bessere Lebensmittelsicherheit bieten, indem sie unsere langen, komplexen globalen Lebensmittelversorgungsketten verkürzen, um den Verbraucher:innen über das ganze Jahr hinweg einen besseren Zugang zu lokalen Produkten zu ermöglichen und die ökologischen und wirtschaftlichen Kosten der Logistik zu reduzieren (z. B. vertikale Landwirtschaft, Direktverkauf an den Verbraucher). Aber wir erleben auch eine umfassendere Digitalisierung der Lebensmittelbranche, sei es durch eine bessere Nutzung von Technologien in den landwirtschaftlichen Betrieben oder durch die Verbraucher:innen bei der Art und Weise, wie sie ihre Lebensmittel beziehen.
Was hat Covid19 im Bereich Ernährung und Lebensmittelproduktion verändert?
Die Covid-Pandemie sehen wir als Katalysator für eine bessere Ernährung und nachhaltigere Lebensmittel. Sie hat uns konkrete Beweise für den Zusammenhang zwischen Ernährung und Gesundheit geliefert und gezeigt, dass wir durch ernährungsbedingte Komorbiditäten wie Fettleibigkeit, Diabetes und Herzkrankheiten weitaus anfälliger für Infektionskrankheiten sind. Die Pandemie hat Regierungen zudem zum Handeln angespornt, um die Lebensmittelsicherheit zu verbessern und die Belastung des Gesundheitssystems zu mindern, welches durch ernährungsbedingte Komorbiditäten mit Kosten von etwa 1,2 Billionen US-Dollar pro Jahr belastet wird. Darüber hinaus haben sich die Verbraucher:innen auf qualitativ hochwertigere, funktionelle und erstklassige Produkte verlegt, von Nahrungsergänzungsmitteln und Probiotika bis hin zu pflanzlichen Produkten. Aber auch die Gewohnheiten in Bezug auf die Art und Weise, wie wir auf unsere Lebensmittel zugreifen, haben sich geändert – sie sind zunehmend digitaler geworden.
Angenommen, ich möchte als Anleger:in in den Bereich Ernährung investieren: Worauf sollte ich unbedingt achten?
Was sind die Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens, aber auch was treibt seine Einnahmen, seine Strategie und seine Forschung und Entwicklung voran. Viele große etablierte Lebensmittelunternehmen stehen an der Spitze der Innovation in diesem Bereich, brauchen aber Zeit, um ihre alten (Produkt-)Portfolios fest in den Ernährungsbereich zu verlagern. Dennoch treiben sie den Fortschritt voran. Man sollte nicht nur darauf achten, was das Unternehmen tut, sondern auch darauf, wie es das tut; der Ansatz und das Verantwortungsbewusstsein des Managements sind ebenfalls entscheidend.
Außerdem sollte man darauf achten, wie das Gleichgewicht zwischen Umwelt und sozialem Beitrag eines Produkts oder einer Dienstleistung aussieht. Hier gilt es immer Abwägungen zu treffen, z. B. zwischen der Ernährungssicherheit und der Abschwächung der externen Umweltauswirkungen, vor allem wenn es darum geht, die wachsende Weltbevölkerung angemessen mit Nährstoffen zu versorgen, die wir für unsere Gesundheit und Entwicklung brauchen, und nicht nur mit leeren Kalorien.
Nach welchen Kriterien wird der Fonds zum Thema Ernährung bei Pictet AM zusammengestellt?
Wir versuchen, unser Kapital in Unternehmen zu investieren, welche die Nachhaltigkeit, den Zugang zu und die Qualität von Nahrungsmitteln verbessern, die wir für unsere Gesundheit und unser Wachstum benötigen. Wir versuchen, Unternehmen zu identifizieren, die entweder einen positiven Beitrag für unsere Gesundheit und/oder für unseren Planeten leisten. Um dies festzustellen stützen wir uns auf wissenschaftliche Erkenntnisse aus der akademischen Forschung und von Nichtregierungsorganisationen (NGOs).
Wie kann das ESG-Engagement im Ernährungssektor unsere Welt nachhaltig verbessern?
Anm. der Redaktion: ESG steht für Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (gute Unternehmensführung).
Unsere Lebensmittelsysteme sind der größte Hebel, der uns zur Verfügung steht, um gleichzeitig einige unserer dringendsten ökologischen und sozialen Herausforderungen anzugehen. Es wird unmöglich sein, die Art von Klimazielen zu erreichen, die sich die internationale Gemeinschaft setzt, ohne sich mit unseren Lebensmittelsystemen zu befassen. Engagement bedeutet, mit Unternehmen zu interagieren, die vielleicht schon auf dem Weg sind, das globale Lebensmittelsystem in gewissem Maße zu verbessern, die aber vielleicht von ihren Investor:innen ermutigt werden müssen, noch einen Schritt weiter zu gehen, Prioritäten zu setzen und sicherzustellen, dass sie diese in ihrer längerfristigen Strategie verfolgen. Ziel ist es also, die Standards in allen Bereichen anzuheben, indem wir mit den Unternehmen entweder direkt, über NGOs oder gemeinsam mit anderen Vermögensverwalter:innen zusammenarbeiten, um eine Änderung der Aktivitäten zu erreichen, die mit der Philosophie der Ernährungsstrategie für eine bessere Qualität und eine nachhaltigere Zukunft der Lebensmittel vereinbar sind.
Wie sieht Ihre Arbeit als Fondsmanagerin aus?
Es ist faszinierend, sich auf ein Anlagethema zu spezialisieren und Expertin in einem Bereich zu werden, der von langfristigen Wachstumstrends angetrieben wird. Im Fall der Ernährung erleben wir alle als Verbraucher:innen, wie dringend notwendig es ist, unsere Ernährung und unser Lebensmittelsystem im Interesse der menschlichen und der planetarischen Gesundheit zu verändern. Unsere Arbeit besteht darin, innovative, bahnbrechende Lösungen für diese Herausforderungen zu erforschen und in geniale Unternehmen zu investieren, die zudem über solide Fundamentaldaten und eine starke Nachhaltigkeitsbilanz verfügen und attraktiv bewertet sind. Für mich ist das Thema Ernährung besonders spannend, da es auf einzigartige Weise sowohl einen sozialen Aspekt – die Verbesserung unserer Ernährung, um die doppelte Last der Unterernährung zu bekämpfen – als auch einen Umweltaspekt – die Eindämmung der durch unsere Lebensmittelsysteme verursachten Umweltzerstörung – vereint. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Ernährung der stärkste Hebel ist, um die Gesundheit der Menschen und des Planeten zu optimieren. Die Möglichkeit, in die Zukunft zu investieren, ist äußerst lohnenswert.
Nahrungsmittelspekulationen führten in der Vergangenheit bereits dazu, dass sich in Armut lebende Menschen Grundnahrungsmittel nicht mehr oder nur noch schwer leisten konnten. Wie ethisch vertretbar sind Investitionen im Bereich Ernährung?
Ganz wichtig ist, dass wir mit unserer Strategie nicht auf Knappheiten spekulieren, sondern nach Lösungsanbieter:innen suchen. Wir können nur in Aktien börsennotierter Unternehmen investieren, die zwar eine große globale Reichweite haben, aber auf lokaler Ebene vielleicht nicht so helfen, wie wir es uns wünschen. Aus diesem Grund konzentriert sich die Pictet-Stiftung, die ebenfalls auf Ernährung spezialisiert ist, auf Probleme auf dieser Bedürfnisebene der Gesellschaft. Diese Art von Herausforderungen – die Gewährleistung eines besseren Zugangs zur Ernährung, die Ermöglichung einer besseren Nachhaltigkeit und die Vermeidung der schockierenden Lebensmittelverschwendung (etwa ein Drittel aller produzierten Lebensmittel wird weggeworfen), während so viele Menschen unter einem Mangel an Nahrung leiden – ist etwas, das wir bei der Auswahl unserer Investitionen ganz oben auf der Agenda haben.
Mayssa Al Midani kam im Oktober 2018 zu Pictet Asset Management und ist Senior Investment Manager im Thematic Equities Team.
Zuvor war sie Credit Portfolio Manager im Pictet Investment Office (PIO). Bevor sie zu PIO kam, war sie Equity Buy-Side Analyst im Pictet Wealth Management und spezialisierte sich auf globale Konsumaktien. Sie begann ihre Karriere 2010 als Analystin bei der Credit Suisse Investment Bank.
Mayssa hat einen MSc in Rechnungswesen und Finanzen von der London School of Economics (LSE) und ein Diplom als Certified International Investment Analyst (CIIA) von der Swiss Financial Analysts Association.
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