Arianna Huffington ist überzeugt davon, dass Intuition uns für die richtig großen Lebensfragen wappnet: Warum unser Inneres mehr weiß als Google.
Es war der 6. April 2007, der das Leben von Arianna Huffington veränderte. An diesem Morgen lag sie bewusstlos in ihrem Homeoffice, sie hatte den Kopf an der Tischplatte aufgeschlagen. Mit der Gründung der "Huffington Post" war der Amerikanerin zwei Jahre zuvor eine Internet-Sensation gelungen. Nach ihrem Wirtschaftsstudium in London war die gebürtige Griechin in die USA gezogen, heiratete den Kongressabgeordneten Michael Huffington, schrieb Bücher und konkurrierte 2003 mit Arnold Schwarzenegger um den Gouverneursposten in Kalifornien. Als sie an diesem Aprilmorgen zu sich kam, wusste sie: Der Preis für ihren Erfolg war zu hoch. Doch Arianna Huffigton wäre nicht sie selbst, wenn daraus nicht etwas Neues entstünde. Immer wieder hat sie mit Frauen bei der Konferenz "Thrive" darüber diskutiert, was Erfolg jenseits von Geld und Macht bedeutet. Und jetzt erscheint ihr neues Buch "Die Neuerfindung des Erfolgs".
EMOTION: Frau Huffington, wann sind Sie zum letzten Mal Ihrer Intuition gefolgt und nicht der vermeintlichen Vernunft?
Arianna Huffington: Als Chefredakteurin der "Huffington Post" treffe ich täglich Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Wenn es darum geht, die Nachrichtenlage abzudecken und Geschichten zu erzählen, kann man sich nicht nur auf Logik und Rationalität verlassen.
Ich hatte eine falsche Vorstellung von Erfolg
Als Sie 2007 vor Überarbeitung erschöpft zusammengebrochen sind, hatte Ihre innere Stimme da Sendepause?
Meine innere Stimme war gar nicht so still, aber sie hat mich in eine gefährliche Richtung gedrängt. Ich habe nach einer falschen Vorstellung von Erfolg gelebt und überhaupt nicht mehr darauf geachtet, wie es mir ging.
Sie hatten 2005 die "Huffington Post" gegründet ...
... und wir sind in einem unglaublichen Tempo gewachsen. Ich habe jeden Tag 18 Stunden gearbeitet, sieben Tage die Woche, war auf dem Cover von Magazinen und das "Time Magazine" wählte mich zu den hundert einflussreichsten Menschen der Welt.
Ist das das Leben, das ich will?
Sehr schmeichelhaft. Gleichzeitig muss ich an ein Phänomen denken, das der Philosoph Byung-Chul Han beschrieben hat: Menschen erlebten ihr eigenes Können heute als so positiv, dass sie sich selbst ausbeuteten.
Nach meinem Zusammenbruch musste ich mich einfach fragen: Ist das das Leben, das ich will? Ich war sehr erfolgreich, aber mein Leben war völlig außer Kontrolle.
In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie den Weg zurück zu sich selbst. Warum war die Intuition dabei so wichtig?
Bei Intuition geht es um Verbindungen. Verbindungen, die nicht offensichtlich sind und die nicht durchs Sein begründet werden können. Unsere Intuition verbindet uns mit unserem inneren Selbst und mit etwas, das größer ist als wir und unser Leben.
Werden Entscheidungen besser, wenn man sie intuitiv trifft?
Ja, sie sind viel präziser als der Versuch, einem Problem nur mit Logik begegnen zu wollen. Das bestätigt übrigens auch die Wissenschaft. Die Psychologen Martin Seligman und Michael Kahana sagen, es sei schon lange bekannt, dass viele große und weitreichende Entscheidungen nicht auf Basis stringenter Argumentation getroffen werden, sondern intuitiv.
Wir müssen lernen, wieder zuzuhören
Wie fühlt sich Intuition an?
Das hat doch jeder schon mal erlebt. Es ist eine Ahnung, eine Andeutung, unser inneres Wissen, das sagt, ob wir etwas tun oder lassen sollen. Man hört die Botschaft und sie fühlt sich richtig an, ohne dass man erklären kann, woher das kommt. Es ist wie ein Aufflackern, das aber schnell erlischt, wenn man nicht gelernt hat, ihm genug Aufmerksamkeit zu geben.
Intuition ist also immer da?
Ja. Selbst wenn wir gerade nicht an einer Weggabelung stehen und über eine Entscheidung nachdenken, liest unsere Intuition jede Situation und versucht, uns in die richtige Richtung zu lenken.
Fangen Sie mit kleinen Veränderungen an!
Wie haben Sie das für Ihre innere Neuaufstellung genutzt?
Ich habe mit ganz kleinen Veränderungen angefangen, um die ich mich jeden Tag bemüht habe. Man kann damit beginnen, in sich hineinzuhorchen und etwas loszulassen, das man nicht mehr benötigt. Etwas, das einem Energie raubt, ohne dass man selbst oder jemand, den man liebt, etwas davon hätte. Das können Ärger oder negative Glaubenssätze sein oder ein Projekt, von dem man weiß, dass man es sowieso nie beenden wird.
Was raten Sie sonst noch?
Fangen Sie an, eine Liste zu schreiben mit Dingen, für die Sie dankbar sind, und tauschen Sie sich mit ein oder zwei engen Freunden darüber aus. Und legen Sie abends unbedingt eine Uhrzeit fest, zu der Sie alle mobilen Geräte ausschalten und aus dem Schlafzimmer verbannen. Sich von der digitalen Welt abzugrenzen, hilft dabei, sich wieder mit unserer Weisheit, Intuition und Kreativität zu verbinden. Schauen Sie morgens nicht als Erstes auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie sich eine Minute, atmen Sie tief ein, seien Sie dankbar und konzentrieren Sie sich auf den Tag, der vor Ihnen liegt. So in den Tag zu starten, hat in meinem Leben viel bewirkt.
Wir ignorieren viel zu oft das leise Wispern
Wie klappt das, dass die Achtsamkeit gerade in Stressphasen nicht verloren geht?
Wir alle müssen lernen, wieder zuzuhören. Wir ignorieren viel zu oft das leise Wispern, mir geht es da nicht anders. Weil es so leicht ist, es abzutun, gerade wenn man unter Stress ist und sich nicht die Zeit nimmt, hinzuhören. Meine Erfahrung ist, dass Meditation, Yoga und ausreichend Schlaf helfen können, die Störgeräusche, die die Welt um uns herum macht, leiser zu drehen.
Wie lässt sich die Intuition stärken?
Durch Üben! Man kann es trainieren, sich mental an einen Ort der Stille, Gelassenheit und Liebe zu versetzen – und irgendwann wird es einem in Fleisch und Blut übergehen, sich dort aufzuhalten. Dieses stille Zentrum hat der Philosoph Marc Aurel unsere "innere Zitadelle" genannt. Wir verbringen die meiste Zeit außerhalb dieser Zitadelle. Kein Zweifel. Und genau deshalb ist ein radikaler Kurswechsel in der Gesellschaft dringend nötig.
Intuition hilft, Niederlagen in einem anderen Licht zu sehen
Schützt Intuition vor Misserfolgen und vor Menschen, die einem nicht guttun?
Intuition hilft, Niederlagen in einem anderen Licht zu sehen. Wenn wir gelernt haben, immer wieder zu unserem inneren Zentrum zurückzukehren, verändert sich das Gefühl des Kampfs in ein Gefühl der Anmut. Das erfüllt uns augenblicklich mit Vertrauen, egal wie groß die Hindernisse, Herausforderungen oder Enttäuschungen sein mögen.
Man muss an etwas glauben! Egal ob Intuition, Schicksal, Leben oder Karma
In Ihrem Buch erzählen Sie von traumatischen Erlebnissen: vom Verlust Ihres ersten Kindes und über die Zeit, als Ihre Tochter Christina gegen ihre Drogensucht kämpfte.
Das waren schwere Zeiten. Wenn ich mich in meiner "Seifenblase der Gnade" befinde, wie ich das nenne, heißt das ja nicht, dass die Dinge verschwinden, die mich im Alltag beschäftigen, irritieren oder traurig machen. Aber sie verlieren an Kraft. Steve Jobs hat in seiner legendären Rede vor Absolventen der Stanford-Universität gesagt, man könne die Punkte seines Lebens nicht verknüpfen, wenn man in die Zukunft schaut. Die Verknüpfungen ergäben sich im Rückblick. Dass das passiert, darauf müsse man vertrauen – und dafür müsse man an etwas glauben, egal ob Intuition, Schicksal, Leben oder Karma.
Intuition wappnet für die richtig großen Brocken im Leben
Und was ist das für Sie?
Meine Erfahrung ist, dass Intuition einen für die richtig großen Brocken wappnet, die einem das Leben in den Weg werfen kann. Sie hilft, mit ihnen klarzukommen, anstatt von ihnen überwältigt zu werden.
Was ist Ihr Ziel, wenn Sie sich von der Intuition leiten lassen?
Ich glaube, sie führt zu mehr Weisheit, mehr Dankbarkeit und einer tieferen Verbindung mit uns selbst und den Menschen, die uns nahestehen.