Wir schauen bei Frauen vorbei, die Deutschland zu ihrer Heimat gemacht haben. Interior-Designerin Stefania Andorlini lässt in ihrer Stuttgarter Wohnung Erinnerungen an ihr florentinisches Elternhaus aufleben.
Die Idee kam ihr frühmorgens im Bett. Da gab es doch diesen italienischen 60er-Jahre-Schlager: "Vengo anch’io. No, tu no", was so viel heißt wie: "Ich komme auch mit. Nein, du nicht." Plötzlich wusste Stefania Andorlini: Aus der Not muss man eine Tugend machen!
Sieben Deckenstürze hatte es in der Wohnung gegeben. Sie waren der Italienerin bereits bei der ersten Kaufbesichtigung ein Dorn im Auge. Sechs davon konnte man entfernen, doch ausgerechnet der prominenteste, zwischen Eingangsbereich und Wohnzimmer, durfte aus statischen Gründen nicht weichen. "Ich habe den Liedtext in einer Art Strichcode darauf pinseln lassen", erzählt Andorlini. "Jetzt wirkt der Störenfried wie ein Kunstwerk und bietet sofort Gesprächsstoff für jeden Besucher."
Man muss dazu sagen, dass Stefania Andorlini ein Profi in Sachen Interior- und Möbeldesign ist. Jeden Normalsterblichen hätten Deckenstürze vermutlich nicht geärgert. Doch Andorlini liebt nun einmal Großzügigkeit, Klasse, Originalität – all das, was so treffend mit dem italienischen Begriff "Grandezza" beschrieben werden kann. Andorlini stammt aus Florenz und ist mit Kunst, Kultur und großer Architektur aufgewachsen. Ihre Leidenschaft fürs Gestalten von Räumen und Möbeln ist die späte Verwirklichung eines Kindheitstraums. Dass sie zunächst Psychotherapeutin wurde und nicht Architektin, war ein Zugeständnis an die Eltern. Eine Vernunftentscheidung.
"Nach dem Studium hatte ich mich eigentlich in New York gesehen statt in Stuttgart", erzählt sie und lacht. Doch dann tauchte da dieser Sprachschüler aus Deutschland auf und sie verschwand mit ihm, ohne ihren Beruf auch nur ein einziges Mal auszuüben. Das war dann eine Herzensentscheidung. Aus Liebe. Die pure Unvernunft.
Zum Nachwohnen
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In jeder Ecke ein Wow-Effekt
#image5923left 25 Jahre später musste Stefania Andorlini noch einmal an ihre Florentiner Studentenwohnung denken: "Fünf Meter Deckenhöhe. Das war mal ein Raumgefühl!" Was war dagegen der Stuttgarter Neubau, mit seinen 2,60-Meter-Räumen? Dass sie die Wohnung im Frühjahr vergangenen Jahres dennoch kaufte, mag die romantische Hanglage am Killesberg begüns tigt haben. Vor allem aber stellte die Neugestaltung der 160 Quadratmeter Wohnfläche eine besondere berufliche Herausforderung für sie dar, genau wie für Ihren heutigen Lebens- und Arbeitspartner, den Architekten Christoph Mende. "Die Wohnung schrie förmlich nach einer neuen Farb- und Raumdynamik", erzählt Andorlini. "Deshalb habe ich meinem italienischen Temperament freien Lauf gelassen und die ganz große, dramatische Inszenierung gewählt."
Wenn Stefania Andorlini heute die Tür öffnet, fühlt man sich, als würde man eine Bühne betreten. Die Wand, die den Hauptraum vom Eingangsbereich abtrennt, ist tiefschwarz gestrichen, einzig ein roter Samtvorhang im Flur bildet eine farbige Kulisse. Dahinter verschwindet auf elegante Weise die Garderobe – ein Prinzip, das sich auch im Schlafzimmer wiederfindet. Dort trennt ein heller Samtvorhang einen Raumteil für Andorlinis Kleidung ab ("ich bin eigentlich kein so ordentlicher Mensch"), ein anderer das Badezimmer. Hinter der offenen Küche mit Kochinsel gibt es noch einen weiteren Raum, den sie "meine Schmutzküche" nennt. "Ich bin auch nach 20 Jahren in Stuttgart noch immer mit Leib und Seele Italienerin", sagt Andorlini, "ich koche jeden Tag." Ein Gurgeln auf dem Gasherd verrät, dass der Espresso fertig ist.#image5922left
Alles hat eine Geschichte, einen Sinn
Die Wohnung steckt voller Überraschungen, voller Perspektiven. In jeder Ecke ein Wow-Effekt. Ein Kunstwerk des Stuttgarters Georg Frey hängt nicht einfach an der Wand, sondern bedeckt ein Holzpaneel, das gleichzeitig einen verborgenen Raumeingang darstellt. Stefania Andorlini sagt, sie sei bei den Dingen, die sie umgeben, immer auf der Suche nach dem "Revolutionären und dem Poetischen". Mal findet sie etwas in Galerien, mal auf Flohmärkten, vieles stammt aus ihrem eigenen Elternhaus, manches hat sie selbst entworfen.
Nichts ist zufällig hier, alles hat eine Geschichte, einen Sinn. Auch die Wahl der Beleuchtung: Zur Terrassenfront löst sich die theatralische Dramaturgie des Eingangsbereiches in helle Leichtigkeit auf. Filigrane Regale, ein rundes, nestartiges Loungemöbel und ein Fifties-Sitzensemble spielen entspannt zusammen. Man sieht: ein konzeptionelles Gesamtkunstwerk. Und spürt: Das ist auch ein echtes Zuhause, das Wärme und Fröhlichkeit ausstrahlt.
Drama und Romanze, Vergangenheit und Gegenwart
Wie hat sie das geschafft? "In dieser Wohnung steckt vieles, was mich ausmacht. Sie ist zugleich Drama und Romanze, Vergangenheit und Gegenwart. Mit Möbeln und Materialien aus meiner Kindheit habe ich mir ein Stück davon zurückgeholt." Aber auch die Zukunft ist mit den Prototypen ihrer ersten selbst entworfenen Möbeln im Raum. Sie werden bleiben. Denn: "Bei Möbeln geht es mir wie mit Freunden: Ich mag mich nicht trennen. Sie begleiten mich ein Leben lang."