Sie sind einander nie begegnet, und dennoch sagen sie Ja. In einer neuen TV-Show feiern Menschen Hochzeit, die nach Expertenmeinung ideal zueinander passen. Die ernste Frage hinter dem Spiel: Kommt die Liebe mit der Ehe?
Stell Dir vor, jemand hätte den perfekten Partner für Dich gefunden. Du müsstest ihn sofort heiraten und mindestens vier Wochen lang als Ehefrau mit ihm leben – Flitterwochen, Sex und Zusammenziehen inklusive. Würdest Du einwilligen?
Ich heirate einen Fremden
In Dänemark haben Singles an genau diesem Experiment teilgenommen. Für die Show "Married at First Sight" wurde für sie von einer Psychologin, einer Anthropologin und einer Pastorin der ideale Partner gesucht. Sie sahen einander, heirateten, lebten einen Monat lang als Ehepaar, stets begleitet von Kameras und einem Therapeuten. "Wir wollten eine Diskussion provozieren. Was ist Liebe überhaupt? Und wie findet man sie?", erklärt Michael Schmidt, Miterfinder der TV-Show, die ab 16. November auch im deutschen Fernsehen läuft (ab 16.November auf Sat.1). Alle Kandidaten hatten schon eine längere Partnersuche hinter sich. In Dänemark sorgte die Show für Rekordquoten und eine Debatte über das Comeback der Vernunftehe. Eine absurde Idee? Vielleicht. Doch fest steht: Die Zahl der Singles ist auch in Deutschland so hoch wie nie, jeder Fünfte lebt bei uns allein. Eigentlich ist das verrückt. Denn war es je leichter, jemanden kennenzulernen und sich zu verlieben?
Bei wem schlägt das Herz schneller?
Soziologen nennen dies das Paradox der Multioptionsgesellschaft: Wir stehen ratlos vor einer Liste mit 40 Kaffeesorten – und bestellen erschöpft ein stilles Wasser. Umgekehrt suchen wir im Web gezielt nach einem 1,87 Meter großen Surfer ("lateinamerikanischer Typ") mit abbezahlter Altbauwohnung in der Kölner Südstadt. Er sollte Salsa tanzen und mit dem Gesamtwerk von Ernest Hemingway vertraut sein. Unsere Wünsche sind so individualisiert wie unsere Biografien. Anything goes statt sozialer Kontrolle: Nach einem Monat "Kloster auf Probe" folgt vielleicht die offene Beziehung mit einer bisexuellen Controllerin – und keinen juckt’s. Die neuen Medien machen uns zu Architekten eines Lebens, in dem alles geht und nichts dem Zufall überlassen bleibt. Allerdings: Bei wem unser Herz am Ende schneller schlägt, das ist schwer planbar. Noch weniger im Griff haben wir den zweiten Teil der Geschichte: Neben wem werden wir da eigentlich erwachen, wenn der rauschhafte Traum der Verliebtheit endet? Ist das ein Mensch, bei dem wir bleiben wollen? Und der umgekehrt auch uns liebt?
Wir verwechseln Lust mit Liebe
Für Robert Epstein, Professor für Psychologie aus Kalifornien, steht fest: "Unsere Beziehungen scheitern, weil wir Lust mit Liebe verwechseln. Wir sehen im Kino, dass sich zwei Menschen treffen, von ihren Gefühlen überwältigt werden, wilden Sex haben und dann heiraten. Das ist naiv, und dennoch suchen wir alle danach." Der Kalifornier rät Singles zu einer anderen Strategie: Sie sollten sich in ihrem erweiterten Freundes- und Bekanntenkreis umschauen, wer charakterlich und vom Lebensstil zu einem passen könnte. Und dann? "Am besten direkt fragen, ob man gemeinsam in eine Beziehung starten möchte!" Kein Zweifel: Epstein ist ein eifriger Verfechter der Vernunftehe. Dass so eine Idee tatsächlich funktionieren kann, zeigt die Geschichte von Susanne Wendel und Frank-Thomas Heidrich. Sie waren locker befreundet und beide auf der Suche. Eines Tages sah man sich in die Augen und bemerkte, dass der andere vielleicht die Antwort auf alle offenen Fragen sein könnte. Sie beschlossen zu heiraten. Nicht aus Liebe, nicht aus körperlicher Anziehung oder tiefen freundschaftlichen Gefühlen – sondern aus purer Vernunft. Noch am selben Abend zogen die beiden zusammen, fünf Tage später verlobten sie sich, 14 Monate später kam Sohn Amadeus zur Welt.
Die neue Vernunftehe
"Anfangs war es absurd", erinnert sich Susanne Wendel ("Wie wär’s mit uns beiden?", Horizon Verlag). "Aber ich hatte es satt, auf den richtigen Mann zu warten." Verständlich bei ihrer Vorgeschichte: Susanne Wendel ist sechs Jahre lang Single, datet in dieser Zeit mehr als 50 Männer. Sie erlebt sexuelle Abenteuer und Affären, wird aber letztlich immer wieder enttäuscht und verlassen. Ganz anders der eher introvertierte Frank-Thomas: Als er Susanne kennenlernt, ist er 40, hat den ersten Sex kaum hinter sich und lebte noch nie in einer festen Beziehung. Die Kraft der Vernunft scheint völlig andere Paare zu einen als die Göttin namens Liebe. Was weiß die Wissenschaft über die Vor- und Nachteile einer Vernunftehe? Ein Blick nach Indien hilft. Dort heiratet man traditionell, wen die Eltern für einen aussuchen – und die psychologischen Daten von dort zeigen Erstaunliches: In Liebesheiraten wird die Liebe mit den Jahren immer kleiner. In den arrangierten Ehen wächst sie dagegen kontinuierlich. Zugegeben: Bei uns tut man sich schwer mit der Vorstellung, einen gut situierten Unbekannten zu ehelichen, nur weil die Eltern ihn aus Finanznot für uns erwählt haben. Unser Herz schlägt für den Mann, der uns wirklich liebt.
Are we good together?
"Ich würde niemals eine arrangierte Ehe propagieren", sagt auch Professor Epstein. "Aber wir können dennoch eine Menge von diesen Beziehungen lernen. Die Menschen sehen hier nichts durch die rosarote Brille. Bei der Liebesheirat verklärt man den anderen, und wenn die Leidenschaft vergeht, sagt man: ‚Du hast dich verändert!‘ Dabei ist der andere schon immer so gewesen." In der Vernunftehe, wie sie Epstein vorschwebt, geht es um andere Dinge: Man sucht sich jemanden mit möglichst gleichen Wertvorstellungen. Man verpflichtet sich dazu, keine anderen Dates zu haben. Man geht gemeinsam zum Paartherapeuten – und zwar nicht, um etwas zu reparieren, sondern um etwas aufzubauen, als eine Art Führerscheinprüfung für die glückliche Ehe. Immerhin: Professor Epstein lebt, was er predigt. Er heiratete seine Frau, ohne sie anfangs zu lieben. Er wusste nur: Sie würde zu ihm passen. Wie er das herausgefunden hat? Ganz einfach: Er hat dafür einen eigenen Test entwickelt. Die Ergebnisse sagen nicht voraus, ob man sich ineinander verlieben kann – aber sie geben Auskunft darüber, ob mit dem anderen eine glückliche Ehe bis ans Lebensende möglich ist. Wenn man den Worten des Psychologen glauben darf, läuft seine Ehe ganz wunderbar. Glücklich scheinen auch Susanne Wendel und Frank-Thomas Heidrich zu sein. Nach zweieinhalb Jahren Ehe spüren beide, dass sie mehr sind als eine Zweckgemeinschaft. Sie haben sich tatsächlich ineinander verliebt. Heute, sagen sie, wird ihre Beziehung jeden Tag besser und ihre Liebe stärker. Etwas weniger märchenhaft lief die Sache allerdings für die Kandidaten im dänischen Fernsehen. Keine der Ehen hielt nach Show, auch wenn zwei von drei Paaren vorerst verheiratet blieben. Die Sendung sei für die Kandidaten dennoch ein Erfolg gewesen, versichern die Macher. "Sie hatten einen Crashkurs in den Fragen: Wer bin ich? Und wer will ich sein?", erzählt Michael von Würden, Produzent der Show. "Und sie befreiten sich aus dem Korsett der Vorstellung, wie Liebe zu funktionieren hat." Übrigens: Den von Professor Epstein entwickelten Test gibt’s kostenlos unter arewegoodtogether.com.