Was bewegt eine Frau, neidisch auf das zu schielen, was andere Frauen haben, statt sich mit ihnen zu verbünden - und welche Konsequenzen hat das für den Job? Coach Caroline Krüll gewährt Einsichten.
Wenn ich mit einem gut aussehenden Mann durch die Stadt gehe, treffe ich immer wieder auf ein erstaunliches Phänomen. Wenn uns ein anderes Paar entgegenkommt, mustert mich der andere Mann von oben bis unten und bekommt dabei meist einen erfreuten Gesichtsausdruck. Das ist noch nicht weiter erstaunlich, sondern lässt sich durch die Biologie leicht erklären. Das erstaunliche daran ist vielmehr, dass die meisten Frauen nicht meinen Partner mustern, wie das vielleicht zu erwarten wäre, sondern ebenfalls mich. Der Blick ist jedoch dabei keinesfalls erfreut, sondern oft irgendwo zwischen kritisch und missmutig angesiedelt. Er scheint zu fragen: "Was hat die, was ich nicht habe?"
Über dieses Phänomen denke ich schon sehr lange nach. Was bewegt eine andere Frau, nicht meinen Partner zu mustern und dabei zu denken "Der wäre auch nett" oder "Muss ich nicht haben", so wie es die meisten Männer mit einer unbekannten Frau tun, sondern mich als offensichtliche Konkurrenz wahrzunehmen. Dahinter scheint ein feststehendes Verhaltensmuster zu stehen, welches Frauen offensichtlich in diese Rolle zwingt.
Karrierefaktor Netzwerk
Doch was hat dieses Verhalten mit Frauen im Job zu tun? Seit Jahren wird bemängelt, dass zu wenige Frauen in Führungspositionen gelangen. Ursachen dafür werden viele genannt. Zwei finde ich in diesem Zusammenhang besonders spannend. "Männernetzwerke verhindern, dass Frauen nach oben kommen" und "Frauen können keine eigenen Netzwerke bilden". Beides erscheint mir plausibel. Der berufliche Aufstieg hängt von vielen Dingen ab. Neben einer guten Qualifikation und einem starken Auftritt wird er sehr erleichtert durch ein funktionierendes Netzwerk aus Kollegen, Vorgesetzten und anderen Führungskräften, die einem wichtige Türen öffnen und für den notwenigen Karriereschub sorgen.
Männer können sehr gut Netzwerken. Sie schieben persönliche Rivalitäten schnell zur Seite, wenn sie dadurch jemanden fördern können, von dem sie sich beispielsweise einen langfristigen Nutzen versprechen. Doch leider fördern Männer in vielen Fällen erst einmal andere Männer. Frauen bleiben meist außen vor. Was läge daher näher, wenn beruflich erfolgreiche Frauen diese Strategie kopieren und damit mehr Geschlechtsgenossinnen in den Unternehmen nach vorne zu bringen.
Funktioniert das? Leider funktioniert es viel zu selten. Natürlich gibt es Frauennetzwerke. Doch aus vielen Gesprächen mit Frauen im Job habe ich den Eindruck gewonnen, dass wirkliches Netzwerken unter Frauen ganz häufig nicht klappt. Es klappt nicht, weil Frauen in anderen Frauen zu oft eine Konkurrenz sehen. Anstelle sich mit einer anderen Frau zu verbünden, beschäftigt sich eine Frau schnell mit dem Gedanken "Was hat die, was ich nicht habe?" und "Stellt diese Frau eine Konkurrenz für mich dar?"
Die Folgen des falschen Denkens
Das hat mehrere Konsequenzen. Zum Ersten raubt dieses Denken viel Energie. Wer sich ständig mit den Stärken einer vermeintlichen Konkurrentin beschäftigt, fokussiert in Wirklichkeit auf die eigenen Schwächen. Doch das bringt niemanden weiter, sondern behindert ganz im Gegenteil den eigenen Erfolg.
Zum Zweiten verstellt dieses Denken den Blick auf Lösungen. Der Gedanke "Was hat die, was ich nicht habe" ist schon richtig. Er muss nur konsequent zu Ende gedacht werden. Denn die zweite Frage muss lauten: "Wie bekomme ich das, was ich nicht habe". Denn wenn mir bestimmte Eigenschaften zum beruflichen Erfolg fehlen, muss ich schnellstmöglich dafür sorgen, mir diese anzueignen. Eine bessere Präsentationstechnik, ein besserer persönlicher Auftritt, durchschlagendere Argumente für das nächste Kundengespräch. All das ist erlernbar. Aber zuerst muss sie wissen, was sie genau braucht. Noch besser wäre natürlich die Frage "Was kann ich, was andere nicht können", um daraus ein persönliches Stärkenprofil aufzubauen.
Und zum dritten verhindert der kritische Gedanke "Was hat die, was ich nicht habe" ein erfolgreiches netzwerken. Denn Frauen müssen lernen, erfolgreichere Frauen als Vorbild und als Netzwerkpartnerin zu sehen. "Kooperation anstelle von Konkurrenz" lautet das richtige Denken und würde ungeahnte Wege zur beruflichen Karriere eröffnen.
Caroline Krüll, 39, ist "Marke: Ich"-Coach und Speakerin, außerdem Marketing-Kommunikationswirtin mit Masterabschluss. Mit 27 gründete sie eine Werbeagentur, nach mehreren Coaching-Ausbildungen arbeitet sie heute als Kommunikationstrainerin und Manager-Beraterin.