Nichts inspiriert unsere Chefredakteurin so sehr wie andere Menschen. Jeden Monat erzählt sie hier von ihren Treffen. Diesmal sprach sie mit der Dressurreiterin Jessica von Bredow Werndl.
Kennengelernt habe ich Jessica im April beim berühmten Turnier "Saut Hermès" in Paris. Durch ihre mitreißende Art hatte sie mich sofort für sich eingenommen. Klar, dass ich sie zum Interview treffen wollte. Auf der familieneigenen Reitanlage in Aubenhausen bei München führt sie mich durch die Stallungen und bringt mir nahe, worauf es im Profi-Reitsport ankommt.
Du musst Höchstleistungen bringen, während dir 40 000 Zuschauer zusehen. Wie schaffst du das?
Man reitet ja zum Glück nicht von heute auf morgen plötzlich vor so vielen Menschen. Die Turniere, die mich so weit gebracht haben, haben mir immer mehr Selbstvertrauen gegeben. Während dem Reiten habe ich auch einen richtigen Tunnelblick. Die vielen Menschen realisiere ich erst, wenn die Dressuraufgabe vorbei ist (und sie applaudieren.) Mentale Stärke kann man trainieren. Im Spitzensport macht die Psyche – sowohl beim Pferd als auch beim Reiter – sehr viel aus, ich würde sogar sagen, etwa 40%. Auf der anderen Seite ist es die Routine, diese kann man eben nicht trainieren. Routine kommt durch Wiederholung, aber sie braucht Zeit. Und ich bin manchmal etwas ungeduldig mit mir.
Wie trainierst du deine mentale Stärke?
Ich stelle mir genau vor, wie ich meine Aufgabe im Optimalfall reite. Die Arena versuche ich mit allen Sinnen wahrzunehmen, die Blumen, die Richter, die ganze Atmosphäre. Immer wieder gehe ich die Aufgabe im Kopf durch, ob in Ruhe im aufrechten Sitz, beim Joggen oder vor dem Einschlafen... Ich denke an jede einzelne Herausforderung, sogar an die Momente, in denen ich auf die Atmung achten möchte.
Und noch ein Tipp für den Notfall?
Atmen. Natürlich habe auch ich Situationen, in den trotz aller Übung die Nervosität da ist. Dann hilft es mir bewusst tief ein- und auszuatmen. So fährt mein Puls runter und ich beruhige mich.
Und wie bereitest du dein Pferd auf die großen Auftritte vor?
Das Pferd ist mein Partner und ich sehe es als meine Aufgabe, meine Pferde auch als Persönlichkeiten zu entwickeln, sie stolz zu machen. Es spürt, was ich von ihm halte. Ich möchte meinen Pferden das Gefühl geben, dass sie etwas Besonderes sind. Sie sollen Spaß daran haben, mit mir zu arbeiten. Die Ausbildung eines Pferdes zur Grand Prix Reife dauert 6-8 Jahre. Da wächst man zu einem echten Team zusammen.
Was trägt zur guten Entwicklung bei?
Das Pferd ist oft der Spiegel meines Charakters. Ich hatte z.B. eine schwierige Phase mit meiner Stute Zaire, als sie eine Übung nicht verstanden hat. Da fragte mich mein Coach Holger Fischer: Fühlst du denn, dass du es kannst? Sich immer wieder selbst den Spiegel vorzuhalten und bei sich selbst nach dem Hacken zu suchen, das habe ich da begriffen. Vielleicht bin ich nicht selbstbewusst genug an die Aufgabe herangegangen, wie soll dann Zaire ein sicheres Gefühl haben?
Bei der Ausbildung ist es aber auch wichtig die individuellen Grenzen eines Pferdes zu erkennen. Denn nicht jedes schafft es, Championate zu gehen. Wie ja auch nicht jedes Kind studieren muss. Es gibt talentierte Pferde, die zum Beispiel nach der S Dressur keine Lust auf mehr haben - die die Extrameile zum Championat nicht mehr gehen möchten. Dann muss ich als Ausbilder lernen, meine Ziele loszulassen.
Wann hast Du den Entschluss gefasst, professionell zu reiten?
Es war im Sommer 2011. Ich war unsicher, ob ich mit dem Reiten auf dem richtigen Weg war. Ob ich es zum großen Erfolg schaffen würde. Bis dahin war das Reiten für mich immer das zweite Standbein, da ich mich nach meinem Bachelor entschlossen hatte zu arbeiten. Ich wollte damals alles erreichen: Perfekt Reiten, Pferde-Ausbilden, ein Gestüt aufbauen, das Fitnessstudio meines Vaters leiten und zum Erfolg führen. Da traf ich den Biathlet Tobias Angerer, der mir den Tipp gab, mich einmal mit seinem Coach Holger Fischer auszutauschen. Das Gespräch mit ihm hat mir Klarheit gebracht. Mir wurde bewusst, dass das Reiten meine ganze Leidenschaft war. Ich fasste den Entschluss, mich bis zum 30. Lebensjahr ganz darauf zu fokussieren. Mir wurde bewusst, dass ich mit meinem fertigen Studium – sollte mein Traum platzen – später immer noch jung genug für einen neuen Weg sein würde. Dieser Gedanke hat mich beruhigt und ermutigt, mich mit ganzer Leidenschaft dem Reitsport zu widmen. Dabei aber auch – gemeinsam mit meinem Bruder – unseren Betrieb wirtschaftlich erfolgreich führen zu wollen. Seit dieser Entscheidung sind sehr viele, sehr positive Dinge geschehen. Ich habe mich in der Weltrangliste von Platz 300 bis zum 4. Rang vorgearbeitet. Ich darf großartige, talentierte Pferde reiten und ausbilden. Dazu starte ich gerade meine Partnerschaft mit HERMÈS.
Dazu hätte es in Aachen ja auch noch fast zu Einzel-Bronze gereicht ...
Ja! Da war ich natürlich zunächst enttäuscht. Aber ich bin auch dankbar, wie weit ich schon gekommen bin und sehe, dass in jeder Niederlage auch eine Botschaft steckt: Natürlich habe ich mich in Aachen zunächst sehr geärgert, denn mein Pferd Unee und ich waren im Ritt unseres bisherigen Lebens. Und dann hatten wir plötzlich in den fliegenden Wechseln Kommunikationsprobleme und sind in der Punktwertung von Platz 3 auf 7 abgestürzt. Es war komisch, als ich dann das Raunen der 40.000 Zuschauer hörte!
Aber vielleicht war diese Erfahrung für uns sehr wichtig. Denn ich habe danach viel analysiert, warum wir uns im entscheidenden Moment missverstanden hatten.
Und ich weiß, dass es ok ist, wenn ich Fehler mache, vorausgesetzt, ich lerne aus ihnen. Ein weiser Spruch besagt: "There are no mistakes, only lessons." Jeder macht Fehler. Misserfolg gehört zum Leben genauso dazu wie Erfolg. Wenn wir uns das bewusst machen, kommt die Selbstsicherheit, die wir zum Erreichen unserer Ziele brauchen.
Und die Erfahrung in Aachen hat mich auch angespornt: denn ich weiß nun, wie viel Potenzial noch in uns, also in Unee und mir steckt.
Was ist Dein langfristiges, nächstes Ziel?
Ich möchte mich langfristig mit mehreren Pferden in der Weltspitze etablieren, mehrere Pferde nach ganz oben bringen. Und das große nächste Ziel ist es, mich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren. Denn bei Olympia dabei zu sein, mit all den anderen Sportlern, ist etwas ganz Besonderes. Es hat so etwas Universelles, etwas Großartiges.
Also hast Du nun Olympia vor Deinem inneren Auge?
Ja! Ich visualisiere immer wieder mein Ziel. Aber ich weiß auch, dass der Weg dahin immer auch Tiefen und Regengüsse bereit hält und nicht immer nur bergauf geht. Umso mehr koste ich immer das tolle Gefühl aus, wenn ich spüre, dass ich im Training wieder einen Graben überwunden und weitergekommen bin.
Und welches Lebensmotto trägt Dich auf Deinem Weg?
Es ist wichtig, wenn man eine Leidenschaft in sich spürt, diese auch zu leben. Tue was du tust und das mit ganzem Herzen!
Am 16.08.86 in Rosenheim geboren, saß Jessica von Bredow-Werndl das erste Mal mit Vier auf einem Pferd. Ihr erstes eigenes Pony bekam sie mit sieben Jahren, mit 16 Jahren feierte sie als Dressurreiterin bei den Junioren bereits die ersten Goldmedaillen bei Europameisterschaften. Seit 2012 reitet die studierte Marketing- und Kommunikationsmanagerin mit dem Rapphengst Unee erfolgreich im internationalen Sport mit und hat es mittlerweile auf Platz 4 der Weltrangliste geschafft. Von Bredow-Werndl ist seit 1.9. Partnerreiterin der Firma HERMÈS und dabei nicht nur Testimonial, sondern auch als Produktentwicklerin für die Reitsportsparte des Lederwarenherstellers aktiv.