Claire Hajaj sieht die Welt durch zwei Paar Augen: Ihre Mutter ist Jüdin, ihr Vater Palästinenser – das hat ihr mitreißendes Romandebüt inspiriert
Sie ist gerade aus Beirut eingeflogen, wo sie als UN-Beraterin arbeitet und mit ihrem Mann, einem Neuseeländer, und der 5-jährigen Tochter lebt. Claire Hajaj kennt das Jonglieren mit verschiedenen Kulturen von klein auf. Sie kam 1973 in London zur Welt und wuchs in England und dem Nahen Osten auf. Wir sprechen darüber, wie der Nahostkonflikt das Leben ihrer Familie geprägt hat – und wieso sie auf beiden Seiten steht.
Frau Hajaj, welche Rolle hat Religion in Ihrer Erziehung gespielt?
Meine Eltern sind eigentlich beide nicht religiös. Die ethnische Zugehörigkeit spielt eine viel größere Rolle: Mein Vater ging nicht in die Moschee, aber Palästinenser zu sein ist wie eine Religion. Es ist eine Gemeinschaft mit eigenen Überzeugungen und Werten. Und das Judentum ist da nicht anders.
War Politik zu Hause ein Thema?
Jeden Tag! Wenn wir Nachrichten sahen, gab es neue Berichte über Gewalt. Also gab es ständig einen Anlass zu streiten. Mit der Zeit beharrten meine Eltern immer mehr auf ihrem eigenen kulturellen Erbe, was sicherlich ein Grund für ihre Scheidung nach 25 Jahren war.
Hatten Sie je das Bedürfnis, sich für eine Seite zu entscheiden?
Ich hatte immer das Gefühl, durch zwei verschiedene Paar Augen zu sehen. Das ist sicherlich eine seltene Erfahrung: einerseits schön, andererseits sehr verwirrend. In einem Raum voller Palästinenser fühle ich mich sehr jüdisch – und umgekehrt. Ich gehe automatisch in Verteidigungsposition für die jeweils andere Seite. Und weil ich oft "aber" sage, bin ich immer die Verräterin. Trotzdem kann ich nicht anders, weil die Engstirnigkeit beider Seiten offensichtlich ist.
Hatte es auch etwas Positives, mit zwei Kulturen aufzuwachsen?
Natürlich. Manchmal hatte ich das Gefühl, aus einem sehr großen Meer schöpfen zu können. Beide Kulturen sind einzigartig und auf ihre Weise wunderschön. Und besonders als Kind war es natürlich toll, alle Feste feiern zu können.
Gibt es etwas am Nahostkonflikt, das sie bis heute nicht verstehen?
Israel als sicherer Ort, der unantastbar ist, die uneingeschränkte Rückkehr der vertriebenen Palästinenser – das sind Träume, die nie wahr werden können. Trotzdem hört das Kämpfen nicht auf. Ich verstehe das, aber ich kann es nicht akzeptieren. Deshalb habe ich "Ismaels Orangen" geschrieben: Ich wollte Empathie wecken – weil das mehr als alles andere in diesem Konflikt fehlt.
Eine Liebe, zwei verfeindete Kulturen
London in den 60er-Jahren. Salim und Judith verlieben sich. Er ist Palästinenser, sie die Tochter von Holocaust-Überlebenden. Was kann Liebe aushalten? Autorin Claire Hajaj (Foto) hat erlebt, was passiert, wenn Weltpolitik ins Wohnzimmer zieht.