Kann man Angst bekämpfen, indem man sich ihr ausliefert? Nur wer seine Furcht zulässt, erlebt, dass sie auch wieder weggeht, weiß der Psychotherapeut Fritz Hohagen.
Angst bekämpfen: Sie zeigt viele Gesichter und lauert überall
Coronakrise, Eurokrise, Globalisierung, eine Arbeitswelt, die sich rasant verändert – das weckt bei vielen Menschen das Gefühl: Wir leben in unsicheren Zeiten. In Deutschland leiden 19 Prozent der Frauen und 9 Prozent der Männer an ernsthaften Ängsten. "Angst ist eines der ältesten Gefühle der Welt", sagt Prof. Fritz Hohagen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Lübeck. Sie sei natürlich und schütze. "Problematisch wird es, wenn die innere Alarmanlage auch dann losgeht, wenn keine bedrohliche Situation vorliegt." Was löst Angst aus, wie entsteht sie und am wichtigsten: Was hilft dagegen? Welche Ängste gibt es oft?
Viele plagt die Angst vor Aufmerksamkeit
Häufig ist die Angst vor Aufmerksamkeit: Wie sehe ich aus? Wie komme ich an? Schon diese Gedanken führen bei Menschen mit einer sozialen Phobie dazu, dass sie erröten oder ins Schwitzen geraten. "Sie haben Angst im Mittelpunkt zu stehen, von anderen bewertet zu werden", sagt Hohagen. "Es gibt Patienten, die nicht mehr essen gehen, weil sie fürchten, sich im Restaurant zu verschlucken. Andere haben Panik, in unpassenden Momenten auf die Toilette müssen, und verlassen deshalb das Haus kaum mehr." Das Bedürfnis, sich abzukapseln, kennen auch Menschen, die an Agoraphobie (Agora = Marktplatz) leiden. Bus fahren, einkaufen in vollen Läden oder an einem überfüllten Bahngleis zu warten, ist für sie undenkbar. Sie fürchten, in der Menschenmenge keine Luft mehr zu bekommen, in Ohnmacht zu fallen oder sogar einen Infarkt zu bekommen.
Anders zeigen sich die spezifischen Phobien. Betroffene haben Angst vor konkreten Dingen oder Situationen – zum Beispiel vor Schlangen, Spinnen, Bakterien oder vor so etwas wie einem Flugzeugabsturz. "Wer eine Schlangenphobie hat, fürchtet sich davor, dass er unter seinem Sofa dieses Tier findet. Deshalb muss er immer wieder alles kontrollieren und durchsuchen", sagt Fritz Hohagen. Schwerer fassbar ist die generalisierte Angststörung. Wer darunter leidet, erlebt die Welt als bedrohlich und sorgt sich dauernd, sei es um die Familie oder den Arbeitsplatz. Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Unruhe und Verspannungen sind oft die Folge.
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Die Ursachen für Angst sind vielfältig
Woher kommen sie? Jeder kann eine Angsterkrankung bekommen. "Die Ursachen lassen sich nicht wie in einem Kochrezept aufzählen. Jeder hat Gründe, die sich aus seiner einzigartigen Lebensgeschichte ergeben", sagt der Experte. "Kommen dann bestimmte Belastungsfaktoren zusammen, kann eine Angststörung entstehen." Das kann eine genetische Veranlagung sein oder auch einfach Stress. Selbst ein grippaler Infekt kann eine Rolle spielen. "Wenn du eine Woche im Bett lagst, noch nicht wieder fit in ein überfülltes Geschäft gehst und plötzlich wird dir schwindelig, dann könntest du Panik bekommen. Wenn du das nächste Mal dort bist, erinnerst du dich an die Situation, hast Angst, das Geschäft wieder zu betreten, meidest die Situation – und schon bist du auf dem Weg, eine Agoraphobie zu entwickeln. Dabei hattest du eigentlich nur Kreislaufprobleme."
Wie man die Angst überwinden kann
Die gute Nachricht: In 80 Prozent aller Fälle lässt sich die Angst kurieren. Wie wird man sie los? "Stell dich deiner Angst", rät Fritz Hohagen. Die kognitive Verhaltenstherapie arbeite genau nach diesem Prinzip: "Die Angst therapieren, indem man sich mit ihr konfrontiert." Geschützt durch die Begleitung eines Therapeuten begeben sich Betroffene in die Situation, die ihre Angstattacken auslöst – und lassen die Panik zu. "Die Angst erreicht dann ein Plateau und flacht von allein wieder ab. Ähnlich wie eine Batterie, die sich leert. Dieses Abflachen der Panik kann man aber nur erleben, wenn man nicht aus der Situation aussteigt." Hat man die Angst dann einige Male durchlebt, gewöhnt man sich langsam daran – bis man davon frei ist.