Unsere Kolumnistin Berit Brockhausen hat ein Buch über Liebe geschrieben. Darin erklärt die Paartherapeutin, warum es so souverän macht, in der Partnerschaft Hoheitsgebiete zu respektieren.
EMOTION: Frau Brockhausen, in Ihrem Buch „Hoheitsgebiete“ (Südwestverlag, 14,99 Euro) schreiben Sie, dass jeder von uns Themen und Bereiche hat, über die er ganz allein bestimmt. Wollen Sie damit sagen, dass wir unseren Partner wie eine Hoheit behandeln müssen, damit’s in der Beziehung läuft?
Berit Brockhausen: Warum nicht? Wenn man dabei auf Augenhöhe bleibt und sich selbst ebenfalls wie eine Hoheit behandelt. Hoheiten verhalten sich souverän. Und Souveränität ist das Wichtigste in einer Beziehung.
Im Streit fällt es aber schwer, ruhig zu bleiben.
Sie haben recht. Leider verhalten wir uns im Eifer des Gefechts nicht wie Könige, sondern eher wie Tiere. Auch Hunde grenzen ihr Revier ab und versuchen, Eindringlinge daraus zu vertreiben. Wir schreien eben, statt zu bellen. Trotzdem sollten wir versuchen, souverän zu bleiben. Und etwa bei einer Meinungsverschiedenheit sagen: „Hier verletzt du meine Grenze, das möchte ich nicht.“ Es geht also darum, eigene Grenzen und die des Partners zu kennen und zu respektieren.
Aus Ihrer Praxis berichten Sie, dass alle Beziehungsprobleme auf Revierkämpfen basieren. Ist es so einfach?
Fragen Sie sich doch mal selbst, mit welchen Dingen Sie Ihren Partner so richtig auf die Palme bringen können. Da geht es immer um Revierübergriffe. Zum Beispiel wenn wir ungefragt über seine Zeit entscheiden. Etwa an seinem TennisAbend ein Treffen mit Freunden ausmachen und verlangen, dass er mitkommt. Klar, dass es dann Krieg gibt.
Welche Arten von Hoheitsgebieten unterscheiden Sie?
Drei. Meine Hoheitsgebiete, die des Partners und die gemeinsamen. Eigene Bereiche, wie der TennisAbend, sollten für den Partner unantastbar sein. Die meisten Übergriffe finden allerdings in den Gebieten statt, in denen die eigenen Wünsche und die des Partners gleichermaßen berücksichtigt werden müssen. Etwa wenn Paare zusammenwohnen. Lofts ohne geschlossene Räume und Rückzugsmöglichkeiten – egal, wie angesagt sie sind – sollte man für Paare verbieten! (lacht) Ich finde, es sollte immer ein Zimmer geben, in dem man allein sein kann, wenn einem danach ist. Und der Partner muss wissen: Die Tür bleibt zu und es wird nur im Notfall geklopft.
Worüber wird am meisten gestritten?
Über Besitz, die Gestaltung der Freizeit, das Liebesleben und natürlich über das größte Thema: die Kindererziehung. Heute war ein Paar bei mir, das sich schrecklich über eine Mütze gestritten hat.
Über so etwas Lapidares? Warum das denn?
Es ging natürlich nicht wirklich um die Mütze. Der Streit war wieder ein Revierkampf. Der Vater sollte an dem Tag die Tochter in den Kindergarten bringen. Er wollte gerade los, als seine Frau ihn fragte, warum die Kleine nichts auf dem Kopf trage, es sei ja schließlich kalt draußen. Sofort fühlte sich der Mann angegriffen und warf seiner Frau vor, dass man es ihr nie recht machen könne. Und überhaupt: Unterstelle sie ihm gerade, dass er sich nicht genug um die Tochter kümmere? Das Problem der beiden war: Sie hatten die Aufteilung des gemeinsamen Gebietes Kindererziehung noch nicht eindeutig besprochen. Er dachte: Wenn ich dran bin, bin ich allein verantwortlich für das Essen, die Kleidung und das Hinbringen. Sie dachte: Solange das Kind zu Hause ist, entscheide ich mit.
Glauben Sie wirklich, eine Mutter würde es ertragen, dass die Mütze fehlt, nur weil vorher ausgemacht wurde, wann wer verantwortlich ist?
Nein. Erstens will die Mutter, dass es der Tochter gut geht. Zweitens, will sie als berufstätige Frau nicht zu Hause bleiben müssen, weil das Kind krank wird. Damit wäre sie in ihrem Hoheitsgebiet „Zeit“ auch betroffen.
"Kompromisse machen unglücklich. Denn so kriegt keiner, was er braucht."
EMOTION: Wie sollen sich Paare in so verzwickten Situationen verhalten?
Berit Brockhausen: Es gilt viele Fragen zu klären, etwa: Wann hat man das Recht, sich einzumischen? Wie verbittet man dem anderen, dass er sich einmischt? Wo liegen die Grenzen? Es geht immer darum: Wie kann man das Gebiet, das für Probleme sorgt, so gestalten, dass beide bekommen, was sie brauchen?
Indem man Kompromisse macht, denken viele. Aber Sie sagen das Gegenteil: Um die Beziehung harmonischer zu gestalten, sollte jeder weniger Abstriche machen. Das klingt paradox.
Ist es aber nicht. Die meisten Paare verstehen unter einem Kompromiss: Ich verzichte hier, du dort, und am Ende treffen wir uns in der Mitte. Wie unsinnig das ist, sieht keiner. Denn so kriegt doch niemand das, was er möchte und was ihm wichtig ist. Durch eine erzwungene Umarmung bekomme ich nicht die Nähe, die ich brauche.
Was ist also die Lösung für das Dilemma?
Einen Weg zu finden, der möglichst viele Wünsche erfüllt. Wenn mein Partner oder ich etwas nur dem anderen zuliebe machen und uns unwohl dabei fühlen, hat keiner was davon. Es muss beiden klar sein: Das, was wir uns wünschen, betrifft einen Bereich im dritten Hoheitsgebiet: das Wir. Die große Herausforderung ist, dieses Gebiet so zu gestalten, dass es für beide stimmt. Da müssen Paare erfinderisch sein. Und viel miteinander reden.
#image10315left Gibt es Paare, die es instinktiv richtig machen?
Nein. Irgendwo stoßen alle an ihre Grenzen. Die meisten Paare, die zu mir kommen, wissen ja gar nicht, dass sie ein Problem mit ihren Verhandlungsbereichen haben. Das wäre ja super! Nein, sie sagen: Meine Frau schätzt mich nicht. Mein Mann respektiert mich nicht. Sie ist eine alte Rechthaberin, er dominant. Es geht um Machtkämpfe. Und ich denke mir: Leute, so schlimm ist es doch gar nicht (lacht).
Haben Sie denn in Ihrer Beziehung auch manchmal Probleme beim Grenzenziehen – obwohl Sie genau wissen, dass das der Knackpunkt ist?
Ja. Zum Beispiel lege ich Wert auf gesunde Ernährung. Mein Mann hingegen ist leidenschaftlicher Fleischfresser und Weißmehlvertilger. Das sorgt vor allem in der Kinderziehung für Sprengstoff. Wenn er unserem Sohn früher Frühstück gemacht hat, gab es Brötchen mit Nutella. Mir hat jedes Mal das Herz geblutet! Trotzdem sagte ich mir: Das ist auch sein Sohn. Ich kann meinem Mann zwar mitteilen, wie ich es besser fände – aber auf seinem Hoheitsgebiet, in diesem Fall ist das seine Ernährung, kann ich ihn nicht ändern. Also habe ich mich gefragt, ob ich damit leben kann. Und entschieden: Wenn mein Mann dran ist, gibt’s eben weiße Brötchen. Man muss für sich selbst herausfinden: Wo sind wirklich meine Grenzen? Und wo kann ich den Partner lassen? Auch aus Respekt vor ihm.
"Man muss ernst nehmen, was man braucht. Auch beim Sex."
EMOTION: Sie sagen, der Partner kann sich Dinge zwar wünschen – ob ich diese erfülle, entscheide aber ich. Ist das nicht egoistisch?
Berit Brockhausen: Nein. Ich muss mich fragen, ob ich seinen Wunsch mit gutem Gefühl erfüllen kann. Für viele ist es schwer, diesen positiven Egoismus zu pflegen. Negativer Egoismus wäre, seine Wünsche durchzusetzen, ohne den anderen zu fragen. Wer das macht, verliert – nämlich den Partner. Es geht eher darum, sich ernst zu nehmen. Vor allem das, was man braucht.
Auch beim Sex?
Ja. Nehmen wir das Beispiel: Er will, sie nicht. Dann argumentiert er vielleicht, dass es doch völlig normal sei, auch mal Sex zu haben in einer Beziehung. Sie hingegen findet, dass es doch völlig normal sei, bei Stress keinen Kopf dafür zu haben. Eigentlich sagen beide dasselbe: Wenn ich dir zeige, dass mein Bedürfnis berechtigt ist, wirst du doch hoffentlich auf dein unberechtigtes Bedürfnis verzichten. Diese Diskussion ist vollkommen nutzlos. Denn beide haben ihr Bedürfnis. Egal, wie berechtigt es ist. Man kann es dem anderen also nicht ausreden. Auch wenn es Paare stundenlang versuchen.
Wie kriegen beide, was sie wollen?
Nur indem der eine sich nichts abzwingen und der andere auf nichts verzichten muss. Wenn einer Sex will oder eine Umarmung, dann mit Herz. Er braucht in dem Moment das Gefühl, dass der andere ihn will. Das Paar muss herausfinden, wie beide Partner gemeinsam Lust empfinden können. Es ist nicht schlimm, dass er schon will und sie noch nicht. Warum der Stress? Wenn sie müde ist, geht ja vielleicht noch Kuschelsex mit wenig Bewegung.
#image10314right Viele Paare machen sich Druck, wenn’s im Bett nicht läuft.
Ja, dabei ist es ganz normal, dass es uns in einer langen Beziehung nicht mehr aus heiterem Himmel überkommt. Das passiert ausgesprochen selten. Ich finde es sogar eine große Leistung, dass man abends mit genau der Person Sex haben möchte, über die man sich morgens geärgert hat, weil mal wieder der Müll nicht rausgebracht wurde.
Was machen diese Paare richtig?
Sie schaffen es, Alltag und Sexualität zu trennen. Sie sehen auch mal darüber hinweg, dass sie sich über den anderen geärgert haben und sagen: „Jetzt will ich es mit dir schön
haben. Ich finde dich gleichzeitig toll und furchtbar, du faule Socke. Und jetzt komm her.“
Ihr Glücksrezept für eine Liebe in wenigen Worten?
Ich finde folgenden Satz super: "Ich will, dass es funktioniert, aber ich weiß nicht wie!" Meistens geht’s dem anderen genauso. Es ist nicht schlimm, dass die Lösung noch nicht da ist. Ab dem Moment, in dem ein Paar gemeinsam auf die Suche geht, sind beide innerlich wieder zusammen.
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