Sie ist seit 24 Jahren die zweite Frau. Es ist keine Affäre. Obwohl sie weiß, dass "ihr" Mann seine Frau nie verlassen wird. Sie war oft genug verzweifelt. Aber gezweifelt hat sie nie.
"Seit 24 Jahren bin ich die Geliebte eines Mannes. Meines Mannes. Nach so vielen Jahren kann man unser Verhältnis schon lange nicht mehr als Affäre bezeichnen. Ich habe eine Beziehung. Mit ihm. Mein Partner hat zwei. Eine zu mir, und eine zu seiner Ehefrau.
Die ersten Jahre in der Rolle der „anderen“ waren sehr aufwühlend. Mal war ich verzweifelt, mal einfach nur glücklich. Aber vor allem schämte ich mich. Heute bin ich zufrieden mit meinem Leben als Geliebte, ich will es nicht mehr anders. Doch bis dahin brauchte es 16 Jahre.
Ich wollte keine Familie zerstören.
Als wir uns kennenlernten, suchte ich alles, nur keine Affäre. Ich bin katholisch erzogen, hatte eine gescheiterte Ehe hinter mir und eine kleine Tochter. Ich suchte etwas mit Perspektive. Doch es kam anders. Dass er eine Familie hat, erzählte er mir gleich an dem Tag, als wir in einem Restaurant miteinander ins Gespräch kamen. Und ich erfuhr auch, dass seine Frau krank ist. Nichts Lebensbedrohliches, sie ist chronisch krank, und ich spürte, er fühlte sich ihr innerlich verpflichtet. Ich wollte keine Familie zerstören. Gleichzeitig war er der erste Mann, der sich wirklich für mich als Mensch interessierte. Er war charmant, ohne aufdringlichzu sein. Das gefiel mir. Er hat sich sehr um mich bemüht, doch ich haderte mit meinem Gewissen. Und ich hatte auch Angst, verletzt zu werden.
Mir war klar, dass ich ihn nie für mich allein haben würde. Doch irgendwann war mir ebenso klar, dass ich ihn liebe. Eine Zeit lang wehrte ich mich noch gegen meine Gefühle – und ließ mich schließlich trotz aller Bedenken auf ihn ein. Er war überglücklich. Wie es weitergehen würde,
darüber haben wir nicht gesprochen. Ohne Worte wussten wir: Wir sind zusammen. Ich habe ihn nie gefragt, ob er seine Frau verlässt. Ich stelle keine Fragen, deren Antwort ich bereits kenne. Ich forderte nicht viel.
Die nächsten Jahre waren ein Versteckspiel
Wir arbeiteten mittlerweile zusammen. Unter der Woche konnten wir uns sehen, ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Aber ins Kino oder in ein Restaurant wollte ich mit ihm nicht gehen. Immer war da die Angst, jemand könnte uns sehen. Ich litt leise. Aus Scham habe ich nicht einmal meinen besten Freunden von unserer Beziehung erzählt.
Die Wochenenden gehörten seiner Familie
Die Abende und Wochenenden gehörten seiner Familie. Auch Weihnachten und Silvester verbrachte er zu Hause. An diesen Tagen fühlte ich mich sehr einsam. Warum konnte der Mann, den ich liebe und der mich liebt, nicht bei mir sein? Manchmal habe ich mich auch gefragt, ob sie jetzt Sex haben, auch wenn ich versucht habe, den Gedanken zu verdrängen. Auch darüber haben wir nie gesprochen. So ging das Jahr für Jahr.
Wenn wir zusammen waren, war ich sehr glücklich. Deshalb blieb ich bei ihm. Um Sex ging es mir nie, sondern um Liebe. Er war der erste Mann, der mich ernst genommen hat. Der mich gut fand, wie ich bin. Ich mag seine Fürsorglichkeit. Wie er sich um mich und meine Familie kümmert – und auch um seine. Es ist paradox: Das, wofür ich ihn am meisten liebe, ist der Grund, warum wir nicht zusammenleben können.
Ich fühlte mich sehr einsam
Irgendwann hat sie von uns gewusst. Frauen spüren so etwas. Bald wussten es auch seine Kinder und Freunde. Es gab unschöne Situationen. Einmal liefen wir Freunden der Familie über den Weg. Alle Frauen drehten mir den Rücken zu – und ich dachte damals: zu Recht! Wie sehr ich unter dem Versteckspiel litt, war ihm klar, und er hatte sich entschieden, unsere Liebe mit allen Konsequenzen öffentlich zu machen. Doch das fiel mir schwer, weil ich niemanden provozieren wollte. So sahen wir uns bei mir. Jahr für Jahr.
Dann kam mein 50. Geburtstag, und ich fragte mich, was ich mir eigentlich vom Leben wünschte. Sollte es 16 Jahre so weitergehen? Sollte ich mich doch trennen? Nein. Aber ich wollte endlich wirklich glücklich sein dürfen. All die Jahre hatte ich mich zurückgenommen. Es reichte. Gleichzeitig wusste ich, ich würde die Rahmenbedingungen nie ändern können. Das Einzige, was ich ändern konnte, war meine Einstellung. Es gibt einfach gute und weniger gute Dinge im Leben.
Und man sollte in jeder Situation versuchen, glücklich zu werden.
Heute bin ich glücklich
Ich gestand mir ein, dass vieles, was ich als Beschränkung empfand, etwas war, wofür ich mich selbst entschieden hatte. Ob wir geheim zusammen waren oder öffentlich, machte keinen Unterschied, denn alle wussten Bescheid. Also habe ich mich endlich entschieden, zu meiner Rolle zu stehen. Ich bin die Geliebte. In dem Moment löste sich etwas in mir. Ich hatte das Gefühl, mich noch einmal ganz neu auf uns einzulassen.
Heute fühle ich mich frei, das Versteckspiel ist endlich vorbei. Wir können händchenhaltend spazieren gehen. Auch seine Kinder habe ich kennengelernt. Sie haben es verstanden. Auf seine Frau nehmen wir beide Rücksicht. Natürlich rufe ich nicht einfach an, wenn mir danach ist.
Doch ich verlange heute auch Dinge. Etwa, dass er seinen Geburtstag zur Hälfte mit mir feiert. Und in der Zeit, in der ich allein bin, leide ich nicht mehr, sondern genieße den Freiraum. Ich bin glücklich. Ohne schlechtes Gewissen.
Ich weiß, dass er mich liebt. Das genügt mir
Dem Mann geht es gut, könnte man denken. Doch für ihn war es auch hart. Die Lügen, später die Vorwürfe seiner Frau. Dass er den Streit, den Stress und das Getuschel hinter seinem Rücken ausgehalten hat, nur um bei mir zu sein – das zeigt mir, dass er mich liebt. Weil wir immer um unsere Beziehung kämpfen mussten, wissen wir sie sehr zu schätzen. Er fragt jeden Tag, ob ich gut geschlafen habe, ob ich schon was gegessen habe. Wenn ich möchte, dass meine Mutter zu Besuch kommt, fährt er mit mir acht Stunden mit dem Auto nach Italien, um sie abzuholen. Wenn sie hier ist und Geschichten aus ihrer Kindheit erzählt, die ich schon nicht mehr hören kann, fragt er immer noch interessiert nach. Obwohl er weiche Nudeln hasst, lässt er sie lange kochen,
damit Mama sie besser kauen kann. Ich habe keinen schriftlichen Beweis für seine Liebe. Keinen Ring, kein gemeinsames Kind, kein Haus. Aber durch all die anderen Dinge sagt er mir: "Du bist
mir wichtig." Ich weiß, dass er mich liebt. Und ich ihn. Das genügt mir."