Es ist schizophren: Wir kämpfen dafür, dass mehr Frauen an die Spitze kommen, aber unter diesen Chefinnen arbeiten wollen wir dann oft nicht. Warum ist das so?
Schwierig, selbst Chefin zu sein und trotzdem nicht alles gut zu finden, was Chefinnen so tun. Noch schwieriger, ehrlich darüber zu schreiben. Müssen wir Frauen nicht solidarisch sein? Muss ich nicht gerade als EMOTION-Mitarbeiterin Frauen dafür applaudieren, dass sie es auf den Chefsessel geschafft haben? Konnte ich nicht gerade auf unserer ersten Jobkonferenz re:work erleben, wie großartig es ist, wenn Frauen sich in ihren Karrieren unterstützen?
Und trotzdem. Auf der Konferenz irritierte ich andere mit der Frage: "Wie kann es sein, dass Frauen in anonymen Umfragen angeben, lieber einen Mann als Chef haben zu wollen?" Laut einer Forsa-Umfrage unter deutschen Fach- und Führungskräften wünschen sich nur 3 Prozent der Frauen eine weibliche Vorgesetzte, zugleich fordern 55 Prozent eine Frauenquote.
"Unter vier Augen gestehen viele Frauen, dass sie lieber mit Männern arbeiten."
Die meisten Konferenzteilnehmerinnen wollten sich zu diesem heiklen Thema nicht äußern, sagten, sie fühlten sich gefördert vom eigenen Geschlecht, hätten nur gute Erfahrungen gemacht. Nur Wirtschaftscoach Christine Bauer-Jelinek nickte, als ich ihr von der Umfrage erzählte. Sie berät in Top-Etagen und sagt: "Unter vier Augen gestehen viele Frauen, dass sie lieber mit Männern arbeiten. Es ist zwar ganz verboten, aber es sagen viele. Jüngere Männer dagegen sagen, sie arbeiten sehr gern mit Frauen."
Wie eine Nestbeschmutzerin komme ich mir vor, aber mein dringendes Gefühl ist: Es ist verkehrt, wenn wir uns in Lobeshymnen auf weibliche Führungskräfte ergehen, während eine ganze Menge Frauen unter diesen leiden. Ich kann mich nicht anfreunden mit der Ideologie des "Jede Frau da oben gehört unterstützt". Nein, gehört sie nicht.
Auch wenn ich es bei uns im Verlag nicht so erlebe, höre ich von vielen Freundinnen: Es gibt Chefinnen, die deine Ideen ganz ungeniert als ihre verkaufen. Es gibt Chefinnen, die deine Wortbeiträge ignorieren oder belächeln, sobald sie glauben, dass du ihnen gefährlich werden könntest.
Die mit dir lunchen, um dich auszuhorchen, und ihr Wissen hinterher gegen dich einsetzen. Es gibt Chefinnen, die ihr Privatestes vor dir ausbreiten, die schwesterliche Nähe suchen und kiebig werden, wenn du, statt deinerseits Persönliches auszupacken, ganz sachlich mit Projekten kommst, die es zu besprechen gilt. Und es gibt Chefinnen, die sind so maskulinisiert, dass Männer gar nicht merken, dass sich eine Frau in ihre Reihen gemogelt hat.
Die Quote als einzige Chance auf Veränderung?
Vor zwei Jahren bin ich einem Verein beigetreten, der sich zum Ziel gesetzt hat, mit aller Macht dafür zu kämpfen, dass mehr Frauen die viel beschworene Glasdecke durchbrechen. Ich wollte mitmachen, weil ich es satthatte, als Führungskraft Seminare angeboten zu bekommen, in denen ich lernen sollte, immer Richtung Nummer eins zu sprechen, breitbeinig dazustehen, wenn mir
sonst nichts einfällt, um Macht auszustrahlen, und Rangordnung vor Inhalt zu stellen. Mein Glaube war: Wenn mehr von uns da oben sind, dann machen wir selbst die Regeln, statt die der Männer schlecht zu imitieren.
Vielleicht bin ich zu ungeduldig. Aber im Verein lernte ich vornehmlich zwei Typen Frauen kennen: bittere, die von männlichen Seilschaften im Job mürbe geworden waren und die deshalb die Quote als einzige Chance auf Wandel sahen. Und liebe, die glaubten, wenn wir nur eifrig über all die guten Dinge berichten, die Frauen so machen, dann wird das schon was. Die bitteren gaben den Ton an, die lieben folgten ihnen. Ich war mächtig enttäuscht. Solidarität empfand ich mit diesen Frauen nicht. Hatten wir uns wirklich für das gleiche
Ziel zusammengeschlossen?
Mein Ziel mag naiv klingen, aber ich weiß, dass viele Frauen es teilen: Ich will Verantwortung tragen, will ein Team führen und dabei weiterhin ich selbst sein. Chefin sein – ohne Rolle, ohne Kostüm, ohne strategische Allianzen. Weder möchte ich toughe Businesslady sein noch Mutter der Abteilung, die mit der gesamten Kolleginnenschaft befreundet ist.
Chefinnen wollen oft auf Augenhöhe sein
Was Vorbilder angeht, hatte ich es in dieser Hinsicht gut. Meine erste Chefin erlebte ich als Auszubildende am Theater. Sie war die Leiterin des Malsaals, auch ihre Stellvertreterin war eine Frau. Ich kam als Dritte dazu. Heute weiß ich, dass das gründlich hätte schiefgehen können. Stattdessen war es ein malerischer Start ins Berufsleben. Meine Chefin sorgte dafür, dass ich schon früh ein eigenes kleines Bühnenbild anfertigen konnte. Auf der Premiere wurde das Stück beklatscht, und ich fühlte mich gesehen. Dass ich ansonsten vor allem Farben anmischte, war mir egal. Mir wurde noch deutlich mehr zugetraut, das befeuerte mich.
Meine nächste Chefin hätte ihrem Namen nach eine "Der Teufel trägt Prada"-Frau sein können. Sie kam aus einer einflussreichen Familie, hatte einen Doktortitel und noch einen Adelstitel dazu. Doch sie unterschlug den Dr. im Namen, und wenn sie mit Mitarbeitern sprach, ging sie an deren Schreibtisch und hockte sich neben sie. Sie konnte gar nicht anders.
Sie wollte auf Augenhöhe sein. Ihre männlichen Kollegen zitierten einen gern mal zu sich ins Büro oder verteilten sich mit voller Breitseite auf dem Tisch des Mitarbeiters, wenn sie einen Text kritisieren wollten. Sie dagegen sagte: "Das verstehe ich noch nicht ganz, wie hast du es gemeint?" und führte einen so zu einer bildhafteren Sprache. Als ich schwanger war, wurde ich nicht etwa degradiert, sondern dank ihrer Fürsprache befördert, zu ihrer Stellvertreterin.
"Reise nach Jerusalem" in die oberen Etagen?
Ja, ich hatte Glück gehabt. So richtig merkte ich es erst danach. Je mehr ich durch meine berufliche Entwicklung in die oberen Etagen kam, desto häufiger kam ich mir vor wie bei der "Reise nach Jerusalem". Die Stühle werden weniger. Das Spiel wird härter. Besonders dann, wenn ein Mann zu entscheiden hat, wer den letzten Stuhl einnimmt. Dann haben manche Frauen keine Hemmungen, sich bei Präsentationen mit spitzen Ellenbogen vor die anderen zu boxen, sich für Dinge zu begeistern, die sie eben noch blöd fanden.
Sehr viele Männer machen natürlich den gleichen Quatsch. Aber von meinem eigenen Geschlecht hätte ich mehr erwartet. Mehr Solidarität, mehr Lust, voneinander zu lernen, mehr Spaß, sich die Bälle zuzuspielen. Als Führungskraft, die die meiste Zeit ihres Joblebens eine Chefin über sich hatte, sage ich ganz offen: Ich will mitgestalten und mich einbringen. Was ich nicht will: anderen den Platz streitig machen. Es ist genug Raum für alle da. Und wir können nur gewinnen, wenn wir Frauen ihn endlich zusammen bespielen.
Schreiben Sie uns! "Der Moment mit meiner Chefin, den ich nie vergessen werde."
Wir sind gespannt auf Ihre Geschichten auf text@emotion.de.
Interview: „Geben Sie weiter, was Sie erreicht haben“
40 Jahre ist es her, dass Solange Dessimoulie ihre Firma Decléor gründete – fast ohne Startkapital, dafür aber mit starken Vorbildern an ihrer Seite. Heute ist ihre Marke in 70 Ländern vertreten und sie selbst ein Vorbild.
Interview: Andrea Huss
emotion: Früher haben Sie als Chefin alles kontrolliert. Seit Mai 2014 gehört Decléor zu einem internationalen Konzern. Nun bestimmen andere mit. Fällt das schwer?
Solange Dessimoulie: Nein, ich bin neugierig darauf, wie sich die Marke weiterentwickeln wird. Ich bin überzeugt davon, dass man das, was man erreicht hat, weitergeben soll. Und dass wir hier auf Erden sind, um etwas zu lernen. Denn im Leben geht es mal nach oben, mal nach unten: Für jeden von uns ist das die Chance, größer zu werden.
Und wie wird man größer?
Indem man Hindernisse überwindet. Dabei muss man aber auch die eigenen Grenzen kennen. Manchmal ist es besser, etwas zurückzutretenund sich nicht noch mehr abzufordern. Danach kann man wieder einen Schritt weitergehen.
Klingt nach eigener Lebenserfahrung.
Ja, ich habe gemerkt, wie wichtig es ist, regelmäßig innezuhalten und das eigene Tun zu reflektieren, damit es aufwärtsgehen kann. Ich lasse deshalb regelmäßig die Decléor-Kunden befragen, ob sie noch zufrieden sind.
Was war eigentlich Ihre Vision, als Sie Ihre Marke gründeten?
Ich wollte Frauen helfen, den Schlüssel zu ihrer individuellen Schönheit zu finden. So kam ich
auch auf den Namen: Clé – der Schlüssel, Or – Gold, also der goldene Schlüssel. Mitte der 70er, als ich startete, waren die Frauen sehr kopfgesteuert. Ich wollte sie wieder mit ihrem Körper,
ihren Gefühlen verbinden. Mit meinen Produkten und meiner Massagetechnik wollte ich helfen, den Tempel der Schönheit zu öffnen, den jeder Mensch besitzt. Doch den Schlüssel dazu kann nur
jeder in sich selbst finden.
Wie kamen Sie überhaupt ins Schönheitsgeschäft?
Nach meiner Ausbildung zur Kosmetikerin Mitte der 60er-Jahre habe ich in Paris beim großen Phytotherapeuten Maurice Mességué gelernt. Er hat mir viel über die Heilkraft der Pflanzen beigebracht. Er entwickelte auch Tees und Rezepte für eine gesunde Ernährung.
Erst durch ihn habe ich den ganzheitlichen Ansatz kennengelernt.
Und wie kamen Sie dann auf die Idee, selbst eine Firma zu gründen?
Ich hatte damals viel Stress und bekam am ganzen Körper einen schlimmen Ausschlag. In dieser
Zeit verstand ich, wie wichtig es ist, sich in seiner Haut wohlzufühlen. Ich wollte mehr über dieses Wunderwerk wissen und studierte Pflanzentherapie und Akupunktur an der Uni.
"Das Wort Erfolg habe ich aus meinem Wortschatz verbannt."
In dieser Zeit entwickelte ich meinen eigenen Ansatz, der da heißt: Der Mensch besteht aus dem, was er erlebt, was er empfindet, wie er sich bewegt, was er isst und trinkt. Damals lernte ich auch
meine spätere Geschäftspartnerin Caroline Colliard kennen. Sie war es, die mich für die Aromatherapie begeisterte. All diese Gedanken kamen von ihr. Als ich sie traf, war sie bereits 60,
ich 30. Sie hatte eine Vitalität, die mich schwer beeindruckte. Bis zur ihrem Tod 30 Jahre später arbeiteten wir zusammen.
Was raten Sie jungen Frauen, die wie Sie Erfolg haben wollen?
Das Wort Erfolg habe ich aus meinem Wortschatz verbannt. Erfolg ist etwas Flüchtiges, er kann kommen, aber auch schnell wieder gehen. Ich rate jungen Menschen deshalb: Vergiss dein Umfeld nicht. Pflege die Beziehungen zu deinen Freunden. Sie sind es, die bleiben – Ruhm nicht.
Dann anders ausgedrückt: Was braucht es, um im Job zu wachsen?
Man muss bereit sein, von anderen zu lernen, denn etwas wirklich Großes kann nur mit mehreren entstehen. Ihnen zuzuhören und ihre Ideen aufzunehmen ist entscheidend.
Und wie wird man eine gute Chefin?
Das Wichtigste ist, Menschen zu holen und an seiner Seite zuzulassen, die in bestimmten Bereichen mehr können als man selbst. An ihnen kann man wachsen. Und vergessen Sie an der Spitze und im Stress nicht, immer wieder loszulassen, sich Verschnaufpausen zu verschaffen. Nur
durch Zeiten, in denen nichts passiert, bleibt man nah an seiner Intuition. Und die ist für das berufliche Vorankommen wesentlich wichtiger als Ehrgeiz.
Verlassen Sie sich auch bei Ihren Entscheidungen auf Ihre Intuition?
Die allergrößte Aufgabe für Chefs ist es, im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und das heißt für mich: Habe ich die richtigen Mitarbeiter? Sitzt jeder auf dem richtigen Platz? Was wollen meine Kunden? Habe ich die richtigen Produkte? Wenn ich all diese Punkte beachte, dann werde ich auch richtig entscheiden.