Das andere am anderen gut zu finden, sagt unsere Kolumnistin. Altmodisch sei an diesem Wert gar nichts. Im Gegenteil: Respektvoller Umgang schafft eine Gemeinschaft mit Zukunft
Respekt – einerseits klingt das Wort cool, nach gerapptem Ehrenkodex. Andererseits aber auch nach hochgezogenen Augenbrauen und verärgertem Kopfschütteln, weil der Junge in Jeans nicht aufsteht, wenn eine alte Dame in den Bus steigt. Schon der antike Philosoph Sokrates hat sich über den mangelnden Respekt von Schülern gegenüber Lehrern beklagt. Das Problem ist also nicht neu – aber deshalb vielleicht umso interessanter. Denn die Frage ist doch: Lässt sich Respekt überhaupt einfordern? Und: Wovor sollten wir Respekt haben?
Eine Form der Wertschätzung
Das Wort leitet sich von dem lateinischen Verb "respicere" ab, was zunächst bedeutet: zurückblicken. Gemeint ist aber vielmehr: Rücksicht zu nehmen. Ein Gefühl dafür zu haben, dass wir nicht allein auf der Welt sind. Es geht um eine Form der Wertschätzung dafür, dass der andere anders ist und dass ich bereit bin, dieses andere nicht nur hinzunehmen, sondern es als Wert anzuerkennen. Deshalb respektiere ich auch die Entscheidung meiner Kollegin, den Job zu kündigen, auch wenn sich daraus für mich Nachteile ergeben. Aber das kann ich hinnehmen, weil ich mir sicher bin, dass sie gute Gründe für ihre Entscheidung hat.
Wenn ich etwas respektiere, akzeptiere ich es nicht nur
Woher ich diese Sicherheit nehme? Weil ich meine Kollegin in den letzten Jahren als ebensolchen Menschen erlebt habe. Man könnte auch sagen, dass sie sich meinen Respekt verdient hat – und dabei spielt es keine Rolle, ob ich sie mag, mit ihr befreundet bin oder ob ich mich genauso entschieden hätte wie sie oder eben nicht. Wenn ich etwas respektiere, akzeptiere ich es nicht nur, sondern halte es für gut, vielleicht sogar für bewundernswert, ohne es selbst in Anspruch zu nehmen.
Respekt im heutigen Zeitalter
Der US-Soziologe Richard Sennett geht in seinem Buch "Respekt im Zeitalter der Ungleichheit" sogar noch weiter. Er schreibt ein Plädoyer dafür, dass wir all das Unterschiedliche, was jeden von uns ausmacht, in einen Topf werfen sollten. Denn dann würden wir feststellen, dass daraus mehr wird als bloß die Summe der einzelnen Teile, sondern etwas, das sich im Guten zu einer Gemeinschaft verbindet. Ein großer Gedanke und nicht einfach zu leben. Manchmal hilft es aber, sich zu fragen, wann und wo wir gern selbst für das respektiert würden, was wir sind. Und das kann sogar zwischen Lehrern und Schülern gelingen – wenn nicht nur eine Seite glaubt, den Respekt für sich beanspruchen zu dürfen.
Was ich zurzeit lese:
"Die Geschichte der Frauenbewegung" von Manuela Karl (Reclam). Ein handlicher Band, der den wirklich wichtigen Dingen nachgeht, die
die Frauen in den vergangenen Jahrhunderten zu bewältigen hatten. Damit wir uns nun um unsere Selbstverwirklichung kümmern können.
Wer mich vor kurzem besonders beeindruckt:
Die öffentliche Stellungnahme Thomas Hitzlspergers zu seiner Homosexualität. Und sein Wunsch, damit ein Zeichen zu setzen, in der Hoffnung, dass andere seinem Beispiel folgen – Fans ein geschlossen. Ein Schritt, der Respekt verdient.
Ina Schmidt, 39, ist Philosophin und Autorin. Sie hat die Initiative „denkraeume“ gegründet, mit der sie die Weisheit großer Denker aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft in den Alltag holt.