Das Wort kommt von: sein lassen. Wer gelassen ist, will die Dinge nicht mit aller Macht ändern, sondern ändert seinen Blick auf die Dinge, sagt unsere Kolumnistin Ina Schmidt.
Gelassenheit klingt immer gut – irgendwie nach einer Lösung. Und nach jemandem, der lächelnd einen Kindergeburtstag mit acht vierjährigen Piraten bewältigt, obwohl zwischendurch der Versicherungsmakler anruft und am nächsten Morgen ein Seminarkonzept fertig sein muss. Gelassene Menschen lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Davon bin ich leider oft weit entfernt.
Gelassenheit ist nicht immer leicht
Heute Morgen etwa hat mich ein Typ in der Bahn mit seiner Telefoniererei fast in den Wahnsinn getrieben. Genauso wie das Meeting, zu dem ich fuhr, in dem Themen besprochen wurden, die längst hätten entschieden sein können. Und als ich später meinen Sohn von der Kita abholte: nur Hetzerei – wer denkt sich eigentlich solche Busverbindungen aus? Und warum schalten bei Zeitdruck alle Ampeln auf Rot?
Der schleichende Wunschgedanke
Der Wunsch nach mehr Gelassenheit meldet sich meist dann, wenn eine Lücke zwischen dem klafft, was wir für richtig halten, und dem, wie die Dinge tatsächlich sind. Oft glauben wir, die Ärmel hochkrempeln zu müssen, um diese Kluft zu schließen. Dabei geht es eher darum, sie – manchmal wenigstens – zu akzeptieren und die Dinge "sein zu lassen".
Gelassenheit als philosophische Tugend
Schon in der griechischen Antike beschreibt der Begriff der Gelassenheit eine wichtige philosophische Tugend: eine Form der Besonnenheit, die uns dabei hilft, nicht zum Spielball vermeintlicher Anforderungen zu werden – auch nicht unserer eigenen inneren Hektik. Diese Besonnenheit unterstützt uns, in Momenten, in denen alles über uns zusammenzuschlagen droht, die Vernunftbegabung einzuschalten – kurz innezuhalten und zu fragen: Was ist hier eigentlich los?
Das rechte Maß macht's
Um Missverständnisse zu vermeiden: Gelassenheit bedeutet nicht, sich zurückzulehnen und die Dinge los- oder fallenzulassen. Sondern sie macht es möglich, ein anderes Verhältnis zu ihnen zu finden. Das ist der eigentliche Kern der "stoischen Gelassenheit", die in den Schriften des römischen Denkers Seneca eine wichtige Rolle spielt. Das rechte Maß zu entdecken für das, was wir nicht nur wollen, sondern auch können. Damit ist kein langweiliges Mittelmaß gemeint, sondern die für mich "maßgeschneiderte" Sicht auf die Dinge – im Rahmen meiner ganz eigenen Möglichkeiten. Dieses Maß zu kennen und damit umzugehen ist der wichtigste Schritt in Sachen Gelassenheit.
So wird es bei der Geburtstagsparty meines Sohnes sicher auch dieses Jahr wieder hektische Momente geben, in denen alles drunter und drüber geht. Aber an einem normalen Wochentag pünktlich in der Kita zu sein, weil ich anderes rechtzeitig verschiebe, ist durchaus drin. Die wirk- liche Meisterschaft im Leben liegt laut Seneca darin, die Seele in Harmonie mit sich selbst zu bringen. Dann kann ich alles Mögliche schaffen, gerade weil ich weiß, dass dieses Mögliche Grenzen hat.
Sehen Sie mehr grüne Ampeln
Gelassenheit bedeutet, auch das Lassen tun zu können. Tun Sie also in keinem Fall nichts, aber lassen Sie das, was Sie tun, hin und wieder mal sein. Und hören Sie auf, sich über rote Ampeln zu ärgern.
Ina Schmidt, 39, ist Philosophin und Autorin. Sie hat die Initative "denkraeume" gegründet, mit der die die Weisheit großer Denker aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft in den Alltag holt.