Es gibt Erfahrungen die eine neue Tür im Leben öffnen. Für Barbara Kündig war das Yoga Nidra. Eine Methode der Tiefenentspannung, die sie bereits beim ersten Mal so sehr überzeugte, dass sie schnell spürte: Dieses Wow-Gefühl
sollte man nicht für sich behalten.
Das ist eine Geschichte über die Begegnung mit einem starken Gefühl. Und darüber, was passiert, wenn man diesem Gefühl über den Weg traut. Es ist jetzt acht Jahre her. Die Bernerin Barbara Kündig war einen Monat lang in Nashik, einer indischen Stadt in der Nähe von Mumbai, um eine Yogaausbildung an der Bihar School zu machen. Am ersten Morgen lag sie nach dem frühen Unterricht auf ihrer Matte und lauschte mit geschlossenen Augen den Anweisungen der Lehrerin. Diese führte ihre ermatteten Schüler durch eine ganz spezielle Entspannungsübung. Danach dachte Barbara Kündig: Wow, so gut habe ich mich ja in meinem Leben noch nicht gefühlt. Dabei ging es ihr eigentlich sowieso blendend. Ihr Job als Wirtschaftslehrerin machte ihr Spass und gerade hatte sie ihren Traummann kennengelernt.
Schlaf der Yogis
Später erfuhr sie, dass diese knapp halbstündige Entspannungstechnik Yoga Nidra heisst. Man nennt sie auch den "Schlaf der Yogis". Dabei pendeln Körper und Geist zwischen Entspannung und Dämmerschlaf hin und her. Und das bewirkt, dass körperliche, mentale und seelische Verspannungen und Blockaden abgebaut werden. Man fühlt sich danach, als hätte man drei bis vier Stunden gut geschlafen. Die Methode hat der berühmte Yogi Swami Satyananda Saraswati entwickelt, der 1968 die Bihar School eröffnete.
Er hat ein umfangreiches Werk über diese Methode geschrieben und konnte sie dennoch in fünf Sätzen auf den Punkt bringen: "Die meisten Menschen legen sich schlafen, ohne ihre Verspannungen vorher aufzulösen. Das nennt man Nidra. Nidra bedeutet Schlaf, egal wie. Yoga Nidra aber ist der Schlaf, nach dem alle Lasten entfernt sind. Das ist eine völlig andere und höhere Qualität."
Yoga Nidra wird zur Routine
Auf diese Qualität will Barbara Kündig auch nach ihrer Rückkehr aus Indien nicht verzichten. Yoga Nidra wird für sie zur Routine. Jeden Tag hört sie die Aufnahme ihrer indischen Lehrerin. Auch ihr Mann, der noch nie zuvor Yoga praktiziert hat, macht jeden Tag mit – von sich aus. Die prompte Wirkung begeistert ihn. Diese neue Art von Ruhe und geistiger Frische fühlt sich einfach gut an. Und wie Barbara Kündig eines Tages friedlich auf der Matte liegt, spürt sie mit einem Mal klar: Das darf ich nicht für mich behalten! Die eher nüchterne Pragmatikerin zweifelt keine Sekunde an ihrem Gefühl. "Ich wusste, daran komme ich nicht vorbei."
Die Ökonomin, die nach ihrem Studienabschluss an der Uni St. Gallen noch ein Psychologiestudium anhängte, unterrichtete zu der Zeit an der Berufsschule Wirtschaft. Sie rief eine Freundin an, die eine Yogaschule führte, und schlug einen gemeinsamen Workshop vor. Der wurde ein voller Erfolg. Und damit die Teilnehmer Yoga Nidra gleich zu Hause weiterpraktizieren konnten, gab es auch sofort eine richtige CD dazu, die Barbara Kündig mithilfe ihres Nachbarn, eines Tonhallenmusikers, vorbereitet hatte. Dem ersten Workshop folgten schnell weitere. Den noch dauerte es ein paar Jahre, bis Barbara Kündig sich entschied, beruflich ganz auf ihre Entdeckung zu setzen.
Das hört sich an wie das Geschäftskonzept einer besonnenen Ökonomin. Aber in Wirklichkeit gab es weder eine konkrete Absicht noch einen Plan. "Ich unterrichtete Yoga Nidra, weil ich das Bedürfnis danach hatte und weil es so toll war, die Erfahrung weiterzugeben." Genau wie die Rückmeldungen der Teilnehmer über die positiven Veränderungen in ihrem Leben.
Acht Jahre, zwei Geburten, ein beruflicher Richtungswechsel und ein Buch später. Auf die Frage, was Yoga Nidra ihrem Leben gebracht hat, nennt Barbara Kündig zuerst "den gemeinsamen Boden der Ruhe" daheim in der Familie. "Yoga Nidra macht man nicht wegen der einen halben Stunde. Sondern wegen der dreiundzwanzigeinhalb restlichen", sagt sie. "Dabei passiert so viel. Man merkt auf ein mal, dass alles möglich ist." Ein Gefühl, das sich mit der Zeit verstärkte, wie ihre Intuition.
Dem Impuls statt dem Kopf folgen
Barbara Kündig wird immer häufiger bewusst, wie wenig sie im Grund mit dem Kopf entscheidet. Es ist eher so, dass sie einem Impuls folgt, der die Dinge geschehen lässt. Und diesem Film schaut sie fasziniert zu. Kaum zu glauben, dass eine so kinderleichte Methode der Entspannung eine so grosse Macht über das Leben haben kann. Barbara Kündig schreibt sie deren spiritueller Dimension zu. "Du kannst es tausend Mal machen und hast immer eine andere Erfahrung dabei. Plötzlich wird dir etwas klar und dieser Funken Klarheit wirkt sich im Alltag aus."
Keine Frage, mit Yoga Nidra hat Barbara Kündig ihre persönliche Wahrheit gefunden. Die lebt sie jetzt, mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern. Nächstes Jahr wollen sie in Australien verbringen. Ihr Mann hat Weiterbildungsurlaub. Und sie hat dort eine Freundin, eine Wissenschaftlerin, deren Spezialgebiet die Intuition ist. Noch ist nichts fest geplant, aber wer weiss – Barbara Kündig könnte ja Yoga Nidra unterrichten. Und man könnte gemeinsam ein Buch schreiben. Es wird sich zeigen. So einfach kann das Leben sein, wenn man es wagt, sich seinem Fluss zu überlassen. Selbst wenn man nicht genau vorhersehen kann, wie’s rauskommt. Genau weiss sie nur eines: "Yoga Nidra mache ich, solange ich lebe." Und sie ergänzt lachend: "Wenn es mit mir mal zu Ende gehen sollte, werde ich bestimmt um eine letzte Zugabe bitten!"