Sonnhild Kestlers Tücher wärmen Hals und Herz. Die Textildesignerin entwirft die unverwechselbaren Muster und druckt sie von Hand auf Seide und feine Wollstoffe. Jetzt erhielt sie den Grand Prix Design.
Sonnhild Kestler sitzt in ihrem lichtdurchfluteten Atelier auf dem acht Meter langen Drucktisch. Der ist leicht gepolstert, ein bisschen wie ein Riesenbügelbrett. Hier spannt die Textildesignerin Seide und Wollstoff auf, um sie bahnenweise mit selbst entworfenen Mustern zu bedrucken. Daraus werden dann die luftig leichten Carrètücher, für die Zürcher Siebdruckerin bekannt ist.
Seit 22 Jahren im Druck-Atelier
In einer alten Holzkommode mit unzähligen verglasten Schubladen sammelt die 47-Jährige Inspirationen für ihre einzigartigen Muster: bunte Postkarten indischer Gottheiten, Illustrationen aus aller Welt und jede Menge Bordüren. Auf Tischen liegen bemalte Masken, Bücher und Bildbände über persische Gärten oder alte Villen in Kalkutta. Die Regale sind voll mit Farbtöpfen, auf dem Boden liegen Rollen bereits bedruckten Stoffs. Daneben Entwürfe auf Papier und Schachteln mit lauter Musterschnipseln. Seit 22 Jahren bedruckt Sonnhild Kestler Stoff, mittlerweile einen guten Kilolometer im Jahr. Von jedem Muster fertigt sie nur um die 50 Tücher für ihr eigenes Label "S.K. Hand-Druck".
Schätze aus Zentralasien
Gerade ist die Textildesignerin aus Istanbul zurückgekehrt. Händler aus ganz Zentralasien bringen ihre Schätze in die Stadt am Bosporus. "Ich musste einfach auf den Basar", sagt sie. Dieses Mal ist sie mit usbekischen Kacheln und bestickten Kissen aus Turkmenistan heimgekommen. Ihre Fundstücke müssen nicht einfach schön sein, sondern authentisch und archaisch, echte Volkskunst eben. Zu reisen und in Basaren zu stöbern, ist ihr Lebenselixier. Oft fliegt sie nach Indien. In Kalkutta, der Stadt mit dem Kali-Kult und den sagenhaften Tempeln, trifft sie stets auch Joshi, der seit 13 Jahren handgewobene Wolltücher mit ihren Mustern bestickt.
Sie liebt das Chaos solcher Städte, das Wilde. Den Thrill des Unvorhersehbaren. In irgendeinem Winkel der Welt etwas zu entdecken, was förmlich auf sie gewartet hat. "Wie letztes Mal bei diesem Reliquienmacher. Er kroch auf seinen Dachboden und holte zwei wunderbare Götterreliefs für mich herunter."
Von der Welt auf's Tuch
Die aufgesogenen Eindrücke plätschern dann im Atelier aus Sonnhild Kestler heraus. Ob religiöse Kultbilder aus Indien, Folklore aus Osteuropa und Lateinamerika oder Bilder aus Kinderbüchern – alles kann Stimmungen in ihr auslösen und Eingang in ihr Formenvokabular finden: Ornamente, Tupfen, gezackte Streifen, Augenpaare. Zunächst fertigt sie ihre Entwürfe auf Papier und lässt sich dabei von der Lust leiten, schneidet aus, legt und arrangiert, ordnet neu, bis es passt.
"Für jedes Muster brauche ich zwei volle Wochen", erzählt sie. "Zu Beginn habe ich keine Ahnung, worauf es hinausläuft. Du musst an den Punkt kommen, an dem du’s spürst." Die Zeit bis dahin gilt es auszuhalten. Da kann sich ein ganz schöner innerer Druck aufbauen. Inzwischen hat sie gelernt, ihn zu besänftigen. Mit indischer Musik, einem Abstecher in den Wald oder einem Schwumm im Züri-See. "Und indem ich einfach weitermache, mechanisch, und versuche, mich nicht zu sehr zu verkrampfen", beschreibt sie den Prozess, "plötzlich werden die Kombinationen stimmig."
Sind die Puzzlestücke richtig zusammengestellt, klebt sie den Entwurf, mit dem dann Folien belichtet werden, für jede Farbe eine eigene. Was auf den ersten Blick als kreative Farbexplosion daherkommt, geht nicht ohne akribische Berechnungen. Denn: "Um auf die Tuchgrösse zu passen, müssen alle Musterabfolgen mathematisch aufgehen."
Die Monotonie des Drucks
Nach der kreativen Phase folgt die Knochenarbeit. Sie präpariert die Siebe für den Druck mit den Folien. Bis zu 13 Siebe verwendet sie für ein einziges Muster. Dann spannt sie die Seide nass auf den Drucktisch, mischt Farbtöne, und presst die Siebe auf die Seide, um die Farbe aufzutragen. Ein anstrengender Prozess: die schweren Siebe heben, mit dem Körper Druck geben, die überschüssige Farbe mit einem Rakel abstreifen, die Siebe auswaschen. Das geht in die Gelenke. Dennoch hat Sonnhild Kestler den altmodischen Siebdruck vom ersten Moment an geliebt. Wegen seiner Präzision und der unendlichen Farbvielfalt. "Wenn auf dem weissen Stoff irgendwann das ganze Muster für ein Tuch ist, erscheint mir das jedes Mal wie Zauberei", sagt sie. Im Herbst druckt sie schon mal drei Monate durch, von morgens bis abends, prachtvolle Exemplare für die neue Tuchsaison. Sie liebt die Monotonie, bei der sie ganz im Moment aufgeht. Eine tiefe Verbindung, die in den Stoff übergeht. "Meine Stücke haben eine Seele."
Das ist es, was sie mag: Die Arbeit um ihrer selbst willen machen. Langsam beginnt sich die Liebe zur Sache auch zu rechnen. Dieses Jahr hat sie vom Bundesamt für Kultur den "Design Preis Schweiz" erhalten. Der Brief mit der Benachrichtigung steckt immer noch in ihrer Handtasche. "Eine total schöne Anerkennung meiner Arbeit", sagt sie. Der grösste Teil der 40 000 Franken Preisgeld fliesst direkt wieder in die Arbeit. Aber eine wilde Reise liegt schon noch drin. Ihre Schatzkammer muss schliesslich immer neu gefüllt werden.