Nasse Handtücher auf dem Boden, leere Joghurtbecher auf dem Tisch, verstreute Socken – die Familie unserer Kolumnistin ist da lässig. Sie leider nicht.
Ich schätze, dass ich rund ein Drittel des Tages gebückt verbringe. Was nicht an einem seltsamen Fitnessritual liegt, sondern daran, dass ich mit einer Familie zusammenlebe, die, als der liebe Gott das Schlampen-Gen verteilte, gerufen hat: "Bitte ganz viel!" Da Mann und Kinder so reichlich bedacht worden sind, ist für mich nichts übrig geblieben,deshalb bin ich leider Mutti Ordentlich, was eine verdammt undankbare Rolle ist."Ich mach das schon, Schatz", sagt mein Mann und verlässt das Haus, während ich seine verkrumpelten Unterhosen unterm Bett hervorfische und mit spitzen Fingern in den Wäschepuff werfe.
"Mama, chill doch mal", nölt meine Tochter, die Superoberschlampe, "mach doch einfach meine Tür zu, wenn dich das Chaos stört." Wobei der Begriff "Chaos" für den riesigen Müllberg aus Schmutzwäsche, vollen Aschen- und leeren Joghurtbechern neu definiert werden müsste. Atomarer Erstschlag? Müll-Tsunami?
Das Schlimme ist – ich kann das Tor zur Hölle nicht zulassen, weil ich ja weiß, was dahinter los ist. Ich rieche die vergammelten Essensreste, ich sehe die Ratten, die sich unter der Matratze einnisten, ich raste aus! Mein Ordnungszwang und ihr Schlampen-Gen sind absolut deckungsgleich. Da wir beide Widder sind, gibt keiner nach. Sie entsteigt entspannt ihrem Müllhaufen und geht feiern, ich räume zähneknirschend auf. "Ach Mami, ich hab's ja auch gern ordentlich, ich räum nur nicht gern auf", sagt sie, drei Sekunden später hat sie den Müllberg wieder hervorgezaubert. Und ich stehe da und leide. Hauptsächlich unter meiner Unentspanntheit.
Mein Ordnungswahn bringt mir nichts, außer permanente Gereiztheit
"Lass sie doch ihr Zimmer so versiffen, bis sie es selbst nicht mehr aushält", raten meine Freundinnen. "So lernt sie es doch nie." Stimmt. Pädagogisch völlig falsch, was ich da veranstalte. Ich habe den Kardinalfehler aller ungeduldigen Mütter gemacht und meiner Familie alles aus der Hand gerissen. Das hab ich jetzt davon. Einen gekrümmten Rücken und ganz oft schlechte Laune. Ist das noch zu ändern?
Ich leide blöderweise deutlich mehr unter ihrer Unordnung als sie unter meinem Bedürfnis, eine Wohnung zu betreten, in der man nicht über schmutzige Teller mit Essensresten, Schuhe oder nicht in den Keller gebrachte Müllbeutel stolpert. Ich liebe glatt gezogene Laken auf dem Bett, einen Kühlschrank, in dem nicht alles festklebt, und ein Wohnzimmer, das als solches erkennbar ist und nicht wie "eine Woche durchgefeiert" aussieht. Und je schlampiger meine Umwelt ist, desto zwanghafter werde ich.
Habe ich was davon? Nein, nur permanente Gereiztheit. Ach, ich wünschte, ich wäre auch eine Schlampe! Mein Leben wäre so viel einfacher: Alles so lassen, wie man es verlässt – Bett, Küche, überschwemmtes Badezimmer. Aus den Klamotten steigen, den Haufen liegen lassen. Und im Ohr die Stöpsel, damit man die alte Nervziege nicht hört, die laut fluchend alles aufräumt und sauberwischt.
"Man lebt nicht, um eine aufgeräumte Wohnung zu hinterlassen", hat die wunderbare Elke Heidenreich einmal geschrieben. Ein schöner Satz. So gelassen, so richtig. Wenn ich das nächste Mal das Tor zur Hölle öffne, werde ich tief durchatmen und denken: Es hätte schlimmer kommen können!
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine), Frauen (ist ja eine).