Wenn sie diese Aufforderung hört, weiß unsere Kolumnistin ziemlich genau, um wie viel sie sich verschätzen muss. Zumal sie auch bei ihrem Lieblingsalter gern auf gefühltes Rechnen setzt.
Theoretisch weiß ich natürlich, dass jeder Mensch jeden Tag einen Tag älter wird und für mich keine Ausnahme gemacht wird. Trotzdem geht es mir wie allen, die ich kenne, hauptsächlich allerdings Weiblein: Praktisch wollen wir nichts mit unserem tatsächlichen Alter zu tun haben. Ab spätestens 40 sind wir stocksauer, wenn wir genauso alt geschätzt werden, wie es in unserem Pass steht.
Unangenehm genug, dass bei Grenzkontrollen und an Flughäfen Wildfremde, meistens Männer, darin blättern ... Und denen es so was von egal ist, was für ein Geburtsdatum dort steht.
Das Altersthema ist etwas aus dem Ruder gelaufen
Trotzdem verschweigen wir es lieber. Weil sich jeder jünger fühlt, als er ist. Und er so, vom Zahn der Zeit nur ganz zärtlich benagt, von seinen Mitmenschen auch wahr genommen werden möchte. Deshalb weiß ich, wie hochbrisant es ist, wenn mir jemand die Frage stellt: "Schätz mal, wie alt ich bin?" Ich schätze dann grundsätzlich fünf bis acht Jahre weniger, als ich wirklich denke. Doch manchmal reicht selbst das nicht. Kürzlich fragte mich eine Kollegin, von der ich wusste, dass sie 48 ist. Als ich "So um die vierzig" antwortete, war sie tief beleidigt. Ich glaube, das ganze Altersthema ist etwas aus dem Ruder gelaufen.
Trick 17, um sich jung zu fühlen
Eine Freundin von mir, die auf Botox und Hyaluronsäure verzichtet, hat ein ganz einfaches Mittel, wenn sie sich mal wieder so richtig jung fühlen möchte: Sie steigt in ein Taxi und achtet darauf, dass der Fahrer aus Afrika kommt. Dann macht sie ein bisschen Konversation und fragt schließlich ganz lässig: "Schätzen Sie doch mal, wie alt ich bin." Und da, wie mir ein Dermatologe einmal erklärt hat, Schwarze das Alter von Weißen nicht einschätzen können und umgekehrt, wird sie nie für älter als 24 gehalten.
Das Lieblingsalter ist individuell
Jeder von uns hat ein Alter, in dem er sich am wohlsten fühlt, von dem er findet, dass es am besten zu ihm passt, und dieses Alter liegt im Schnitt rund zehn Jahre unter seinem tatsächlichen und bleibt für viele Jahre festgefroren. 70-Jährige fühlen sich also wie 60, 60-Jährige wie 50. Nur so sind ja männliche Junggreise erklärbar, die in einem Alter Kinder zeugen, in dem Gleichaltrige sich langsam über Erd- oder Seebestattung Gedanken machen.
Mein Idealalter war lange 38. Da ist man einerseits erwachsen, andererseits noch jung genug, um gelegentlich über die Stränge zu schlagen, das gefiel mir gut. Kürzlich habe ich mich für 45 entschieden, gut gereift, aber die Cellulitis hält sich noch in Grenzen. Ich weiß selbst, wie schwachsinnig das ist. Weil nämlich Älterwerden und Alter genauso zum Leben gehören wie Kindheit und Jugend. Weil alles seine Zeit hat. Und weil in jedem Abschied laut Hesse ja auch ein Anfang wohnt.
Jede will 100 werden
Es ist schizophren: Jede von uns will 100 werden, keine will wie 100 aussehen. Keine gibt freiwillig zu, sich für irgend- etwas zu alt zu fühlen. Weder für zu kurze Röcke noch für zu junge Lover. Dabei lieben wir alle die gereifte Gelassenheit einer Meryl Streep und finden das vollgestopfte Gesicht mit den Flunschlippen einer Meg Ryan eher gruselig. Grau ist neuerdings in, aber wer von uns färbt nicht trotzdem, wenn das erste, verdächtige Silber sprießt? Wer von uns ist Meryl und wer ist Meg? Beim nächsten Blick in den Spiegel sagen wir uns einfach: Es hätte schlimmer kommen können!
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...