Menschen sind wie Hunde: Wir setzen gern Duftmarken und hassen es, wenn jemand in unser Terrain eindringt. Nur kläffen dürfen wir nicht, bedauert unsere Kolumnistin.
Ich gehe fast jeden Morgen ins Fitnesscenter, weil meine Freundin Gaby dann auch trainiert und mit ihr die Zeit viel schneller vergeht. Sie nimmt immer den rechten Crosstrainer in der ersten Reihe, ich den daneben. Immer. Dabei gucken wir SAT1-Frühstücksfernsehen und besprechen die wichtigen Themen des Tages: Männer, Kinder, Politik und ob die Stirn von Esther Schweins von Natur aus wie ein Babypopo aussieht oder ob sie Botox benutzt. Wir vermuten beide Letzteres. Nach dem Sport frühstücke ich und dann setze ich mich gut durchblutet und gelaunt an den Computer. Alle wissen von meinem Morgenritual. Fast alle.
Denn eines Morgens war mein Crosstrainer besetzt, MEIN Crosstrainer! Eine mir völlig fremde Frau, offensichtlich ein Neuzugang, schwitzte ihn keuchend voll, und sie hatte keine Ahnung, welch überaus peinlichen Gefühlscocktail ihr Anblick in mir auslöste. Hätte ich mich am liebsten vor ihr aufgebaut und: "Tschuldigung, aber das ist meiner!" gezischt und sie heruntergezogen? Ja, hätte ich. Es gibt ja vieles, das einen erleichtern würde und was man sich trotzdem verkneifen muss. Weil man ja leider ein zivilisierter Mensch ist, der sich zu benehmen weiß. Manchmal ist dieses Wissen eine Zwangsjacke.
Also ging ich an meiner bedauernd die Schultern zuckenden Freundin vorbei, alle anderen Crosstrainer waren besetzt, setzte mich auf ein Rad und dachte: Dieser Tag fängt ja richtig scheiße an. Übertrieben? Total. Verständlich? Ich denke ja. Weil wir Menschen zwar etwas größere Gehirne als Hunde haben, aber ihnen in einem total ähnlich sind: Hunde wie Menschen setzen gern Duftmarken, sie markieren damit ihr Revier. Wer wurde noch nie von einem giftigen Ehefrauenblick durchbohrt, wenn man sich völlig harmlos mit einem Ehemann unterhalten hat? Dieses "Hände weg, meins!" steckt einfach ganz tief in uns drin, seit wir in Höhlen hausten und uns gegen wilde Tiere wehren mussten. Unser Revier ist uns heilig.
Meins, meins, meins!
"Im Besetzen immer gleicher Plätze entsteht eine unbewusste Inbesitznahme von fremden Territorien", erklärt die Hamburger Psychologin Heide Gerdts mein Verhalten. "Sitzen also andere Menschen dort, geht ein Stück Beheimatetsein außerhalb der Heimat verloren." Und das macht schlechte Laune. Hunde beißen dann, bei mir rebelliert die Magenschleimhaut. Mal mehr, mal nur ganz sanft. Ich schlafe zum Beispiel immer auf der linken Bettseite, sogar wenn ich allein in einem Hotelzimmer bin. Selbst wenn ich Single wäre und der absolute Traummann würde auf links bestehen, ich fürchte, es würde nichts mit uns. Ich kann rechts einfach nicht gut schlafen. Auch an unserem Esstisch habe ich meinen Stammplatz, wenn sich ein unwissender Gast daraufsetzt, sage ich: "Sorry, kannst du dich bitte woanders hinsetzen, da sitze ich immer!"
So ist der Mensch, und ich bin leider ganz besonders so. Wo ich auch bin, besetze und verteidige ich blitzschnell mein Terrain. Ich weiß, wie lächerlich das ist, wie unerwachsen. Aber ich fürchte, ich bin zu alt dafür, mich aus meiner hartnäckigen Revierpinkler-Haut zu schälen, um den Rest meines hoffentlich noch langen Lebens tiefenentspannt und mit dem Augenmerk auf die wirklich wichtigen Dinge zu verbringen. Was kann ich also tun? Tief durchatmen. Es hätte schlimmer kommen können.
Evelyn Holst hält Ausschau. Hinter dem Fenster ihrer Hamburger Wohnung. Und natürlich vor der Haustür. Immer wieder stellt sie fest: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn …