Jetzt ist es raus. Das schäbige Gefühl. Für das man sich sofort hässlich und klein findet. Unsere Autorin hat der Fratze ins Gesicht geblickt.
Es gibt große Gefühle, die einem das Herz weiten, und kleine Gefühle, die es schrumpfen lassen.
Große Gefühle passieren einfach, kleine macht man sich selbst. Ein befreundeter Internist hatte ein großes, als er kürzlich mit seinen beiden Kindern an einer Unfallstelle vorbeifuhr, aus seinem Auto sprang und mit einer Herzmassage das Unfallopfer wiederbelebte. Seine Kinder, beide in akuter Vollpubertät, waren stumm vor Ehrfurcht, als er sich unter dem begeisterten Applaus aller Umste henden mit einem lässigen: "Tja, euer Vater hat wohl gerade ein Leben gerettet" wieder hinters Steuer setzte.
Stolz, weil man ein Leben gerettet hat? Eindeutig ein großes Gefühl. Eine Liebe, für die man alles opfern würde, auch seine Niere? Definitiv auch. Und was ist ein kleines? Ach, da gibt es viele. Missgunst, Gier, Ungeduld, Neid – das sind die ganz kleinen, die wir alle kennen, aber nur unter
Androhung von Ganzkörperfolter zugeben würden. Besonders das Neidgefühl.
Geplatzte Bratwurst
Genauso verbreitet wie peinlich. Der Gedanke: "Es nervt mich, dass du mit 40 immer noch in Größe 38 passt, während ich in meinen alten Sachen wie eine geplatzte Bratwurst aussehe" ist die kleine, heiße Stichflamme, die in unserer Frauenseele zündelt, die wir aber niemanden sehen lassen. Weil so ein vermurkstes, mieses Neidgefühl absolut nicht in unser Selbstbild passt. Wir sind souverän, cool, lässig, vor allem erwachsene, gereifte Frauen. Wir kriegen doch keine schlechte Laune, weil die Freundin, die genauso lange Single war wie wir, plötzlich und ganz ohne uns zu fragen ihren Traummann gefunden hat und jetzt nur noch als menschliche Brezel auftaucht.
Man muss auch gönne könne, verlangt der Rheinländer, und das können wir ja auch ganz wunderbar. Aber nur, wenn es uns gerade gut geht. Auf dem Schoß von George Clooney gönnen wir jeder Frau einen Brad Pitt. Schlaflos neben dem Dauerschnarcher, mit dem sich das Leben manchmal so anfühlt wie ein angepikster Ballon, aus dem langsam, aber stetig die Luft entweicht, sind wir deutlich weniger großzügig.
Ehrlicher Neid
Wir Frauen neigen leider genetisch zum permanenten Vergleich. Und der fällt fast immer zu unseren Ungunsten aus. Dass wir mit Gisele Bündchen so viel gemeinsam haben wie ein Frettchen mit einer Königstigerin – geschenkt. Das Supermodel lebt ja auch auf einem anderen Planetensystem.
Aber von unseren Freundinnen erwarten wir insgeheim, ohne dass wir es jemals aussprechen würden, dass sie uns weder ausstechen noch überflügeln. Wenigstens nicht in den Bereichen, die uns wichtig sind. Was mich angeht, würde ich jeder Freundin den Nobelpreis für Chemie oder Medizin gönnen (wenn sie das Preisgeld von einer Million mit mir teilt), aber ungern den für Literatur. Und noch weniger einen Platz auf der Bestsellerliste. Natürlich würde ich ihr deswegen nicht die Freundschaft kündigen, aber ich gestehe an dieser Stelle mal ganz offen: Es wäre eine klitzekleine Bewährungsprobe. Genauso klitzeklein wie das dazugehörige Neidgefühl. Ich bin nicht stolz darauf, nur ehrlich. Und Ehrlichkeit ist gefühlsmäßig doch schon mal ein guter Anfang. Was also meine Gefühle angeht – es hätte schlimmer kommen können.
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine), Frauen (ist ja eine).