Das unerschütterlich gute Verhältnis von Männer zu ihrem Körper hat hat unsere Kolumnistin immer etwas bespöttelt. Mittlerweile denkt sie: Recht haben die!
Vergangenen Sommer lag ich mit einer Freundin und unseren beiden Söhnen an einem Ostseestrand. "Entschuldigen Sie", wurde ich plötzlich von einer ziemlich barschen Männerstimme hochgeschreckt. Ich öffnete die Augen und blinzelte von unten auf ein tief herabbaumelndes Genital, das zu einem Mann deutlich über 70 gehörte, der mit verschränkten Armen vor mir stand. "Ja, was ist denn?", wollte ich wissen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich mein Sohn in den Arm biss, um nicht laut loszulachen. "Sie liegen an einem Nacktbadestrand", sagte der Mann, "bitte ziehen Sie sich sofort aus!"
"Alt und nackt mit Wurmfortsatz"
Ich erzähle diese Geschichte nicht nur, weil sie komisch ist, sondern auch, weil ich diesen Mann nicht vergessen habe: alt und nackt und ganz offensichtlich stolz auf seinen Körper, inklusive Wurmfortsatz. Okay, es war ein FKK-Strand. Ein paar Meter entfernt lagen auch splitternackte alte Frauen, und trotzdem, wie er da so stand und vor sich hinbaumelte, da dachte ich: An dieser selbstverständlichen, gelassenen Nacktheit, der meine Meinung völlig egal war, können wir Frauen uns ein Beispiel nehmen. Kugelbauch, Knorpelknie, Pendelhoden – na und?
Männer sind viel gnädiger
Besonders wir Frauen, die ihre ganz taufrische Blüte schon ein bisschen hinter uns gelassen haben. Vor ein paar Jahren forderte eine Frauenzeitschrift ihre Leserinnen auf, sich einmal pro Woche nackt vor einen Spiegel zu stellen und eine "kritische Bestandsaufnahme" zu machen. Ich sage Ihnen, das waren brutale Sekunden, die ich dort mit einer Freundin verbrachte. "Diesen Anblick können wir nur noch unseren Ehemännern zumuten", sagte sie, was mich irgendwie ärgerte. "Findest du, dass wir beide nackt eine Zumutung sind?" Sie nickte, ich wurde nachdenklich.
Warum nehmen wir Frauen uns gedanklich schon vom Markt, bevor überhaupt etwas Aufregendes passiert? Gesetzt den Fall, ich bekäme auf einer Geschäftsreise ein unmoralisches Angebot, würde dieser Mann dann entsetzt "Oh mein Gott, das geht ja gar nicht mehr!" rufen, wenn ich mich vor ihm ausziehen würde? Ich hoffe nicht. Männer sind ja sowieso viel gnädiger mit uns als wir mit uns selbst.
Restleben im Kerzenschein oder wie?
Ich kenne Frauen, auch viel jüngere als mich, die sich in der ersten Nacht mit einem neuen Mann vor seinem Aufwachen ins Bad schleichen, um nachzuschminken. Die sofort das Licht ausmachen, wenn es zur Sache geht. Warum nicht gleich ab 40 alle Glühbirnen rausschrauben und das Restleben im Kerzenschein verbringen?
Kürzlich war ich in einer Hotelsauna und beobachtete die anderen Gäste. Die Frauen kamen herein, legten sich sofort hin und bedeckten sich untenherum mit einem Handtuch. Die Männer blieben einen kurzen Moment im Eingang stehen - schaut, was ich euch mit gebracht habe! Das hatte fast etwas Niedliches. Der Mann und sein bestes Stück, eine Liebesgeschichte, bis dass der Tod sie scheidet.
Vor zwei Jahren war ich mit meinem Sohn, damals 16, in Shanghai. Er besuchte eine öffentliche Toilette und kam grinsend wieder raus: "Mensch Mama, die haben alle geguckt, hat richtig Spaß gemacht." Ich war entsetzt. Mein Baby unter lauter pinkelnden Chinesen! Nun ja, es hätte wirklich schlimmer kommen können.
Evelyn Holst hält Ausschau. Hinter dem Fenster ihrer Hamburger Wohnung. Und natürlich vor der Haustür. Immer wieder stellt sie fest: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn …