Ehen, die in die Jahre gekommen sind, können eine Zumutung sein, weiß unsere Kolumnistin. Und entdeckt den Zauber des Händchenhaltens.
Wir wissen, wie schnell das Herz erkalten kann. Manchmal schon nach einer Nacht, die vielversprechend anfängt und mit verschmiertem Augen-Make-up und einem "Oh Gott, bloß schnell weg hier!" endet. Manchmal nach einem missglückten Urlaub, der kuschelig beginnt und als Kratzepulli bald nur noch verdrängt werden will. Und manchmal bei den Vorbereitungen zur Silberhochzeit, wenn wir zufällig im Radio: "Das kann doch nicht alles gewesen sein" von Wolf Biermann hören. Das Herz, so hat es Woody Allen einmal gesagt, ist ein sehr widerstandsfähiger kleiner Muskel. Das stimmt, aber auch ein zickiger. Und je älter wir werden, je öfter wir ein Herz gebrochen haben oder es uns gebrochen wurde, desto zickiger wird es.
Keine lauwarmen Kompromisse mehr! Jede zweite Ehe wird geschieden, und die, die es nicht wird, fühlt sich oft eher nach Aushalten als nach Zusammenhalten an. Nach Schnarchen auf dem Nachbarkopfkissen, nach "Fünf Minuten Sex" vor dem Einschlafen, nach einer Liebe, die, wenn sie diesen Namen überhaupt noch verdient, eher homöopathisch dosiert als leidenschaftlich gelebt wird. So ist es eben, denken wir, alles nutzt sich ab, kein Drama. Und wenn uns nach großen Gefühlen ist, gucken wir einfach "Tatsächlich ... Liebe", so gut wie Hugh Grant sieht sowieso kein anderer Mann aus. Ja, unser dehnbares Herz ist über die Jahre ein bisschen zynisch geworden. Mit dem Spatz in der Hand lebt es sich doch auch ganz gut.
Weil Händchenhalten oft mehr bedeutet als leidenschaftlicher Sex
Tja, und dann gibt es Gordon, 94, und Norma Yeager, 90, aus Iowa. Gab, muss man leider sagen, denn die Eheleute sind im Oktober 2011 gestorben. 72 Jahre waren sie glücklich verheiratet, dann hatten sie einen Autounfall und kamen beide schwer verletzt auf die Intensivstation. Ihre Familie sorgte dafür, dass sie nebeneinander lagen, das hatten sie schließlich ihr ganzes Leben lang jede Nacht getan. "Sie haben sich nur wohlgefühlt, wenn sie zusammen waren", sagte ihr Sohn, "einer war ohne den anderen einfach nicht denkbar." Deshalb tickte Gordons Herzmonitor auch noch weiter, als sein Herz längst aufgehört hatte zu schlagen. Weil er bis zum Schluss mit Norma Händchen hielt und ihr Pulsschlag bis zu ihrem allerletzten Atemzug sein Herz beschwingte. Und so klopfte eine Stunde lang ihr Herz für beide, dann starb auch sie.
"Meine Eltern wollten verbrannt werden, damit wir ihre Asche vermischen können", sagte der Sohn, "so sind sie auf ewig zusammen." Warum rührt uns diese Geschichte so? Und zwar ganz tief da, wo wir sonst sehr selten gerührt werden? Weil sie so selten ist. Und warum ist sie so selten? Weil die eheliche Langstrecke oft eine Durststrecke ist und wir keine Lust auf Durst haben. Auf diese Momente, wo uns langweilig ist und wir nörgelig werden, weil wir denken, das Leben sei uns etwas schuldig geblieben. Und besonders unsere Beziehung.
Ich bin ganz sicher, auch Gordon und Norma hatten so ihre Momente, wo sich alles wie grüne Pickel anfühlte, aber genauso sicher bin ich, dass sie nie über Trennung auch nur nachgedacht haben. Sie wussten einfach, dass Liebe nicht immer Sahne- torte ist, sondern manchen Monat und manches Jahr nur trockene Brotkrümel. Und Händchenhalten oft mehr bedeutet als leidenschaftlicher Sex. Seien wir doch einfach ein bisschen dankbarer. Denn was die Liebe angeht – es hätte schlimmer kommen können.