Eine gute Freundin ist wie ein Sechser im Lotto, findet unsere Kolumnistin. Und beschließt, sich künftig nach jedem Streit sofort auszusöhnen. Bevor man sich irgendwann nichts mehr zu sagen hat.
Es war zu spät: Bevor ich schnell an ihr vorbeigehen konnte, entdeckte sie mich. "Evelyn!", rief eine Stimme und sie gehörte einer Frau, die ich seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hatte. "Marion!", rief ich zurück und hätte am liebsten die Straßenseite gewechselt. Die Begegnung war mir extrem unangenehm. Denn Marion und ich waren einmal beste Freundinnen gewesen. Wir waren gemeinsam durchs Abitur geschrammt und hatten hustend unseren ersten Joint geteilt. Sie war die Frau, die ich anrief, wenn ich nachts um drei Uhr an Liebeskummer litt.
Wieder in Kontakt
"Wie geht es dir?", fragte sie. "Gut", antwortete ich, "und dir?" Ich wusste, dass sie vermutlich genau wie ich dachte: "Manno, die ist ja ganz schön alt geworden", während wir uns etwas verkrampft anlächelten. Früher hatten wir nächtelang gequatscht, jetzt fehlten uns die Worte. Und mir die Erinnerung. Was war eigentlich damals passiert? "Irgendein fieser Streit", sagte Marion, als wir uns ein paar Tage später beim Italiener trafen. "Ich glaube, du hast mich auf einer Feier zu Tode blamiert." Und da fiel es mir wieder ein. Marions 33. Geburtstag, ich hatte eine Party für sie organisiert, sie war betrunken, stolperte über meine Lieblingsvase und später erwischte ich sie mit meinem damaligen Freund beim Knutschen auf dem Balkon. "Fragt sich, wer wen blamiert hat", erwiderte ich und dann lachten wir beide. Als wir uns verabschiedeten, sagte sie: "Wir bleiben in Kontakt, oder?" "Klar", antwortete ich.
Die Basis ist brüchig
Beschwingt ging ich nach Hause. Und dann passierte etwas Merkwürdiges. Obwohl ich mich freute, eine alte Freundin wiedergefunden zu haben, schob ich einen weiteren Anruf an sie immer wieder vor mir her. Keine Zeit, zu müde, mach ich morgen. Irgendetwas bremste mich. "Euer Beziehungsmotor stottert", erklärte mir eine befreundete Psychologin. "Es gibt keine aktuellen Gemeinsamkeiten mehr. Ihr habt zwar die 'Weißt du noch?' Basis alter Erinnerungen, aber sie ist brüchig geworden. Ansonsten seid ihr wie zwei Fremde. Manchmal ist es einfach zu spät."
Marion ist nicht die einzige Freundin, die ich nach einem Streit aus den Augen verloren habe. Die Gründe? Im Nachhinein betrachtet fast immer lächerliche. Einmal ging es um ein Aupair-Mädchen, das sich für mich entschied, was mir die andere Mutter, mit der ich sehr befreundet war, nicht verzeihen konnte. Ein anderes Mal um einen alten Holztisch, den ich einer Freundin geliehen hatte und den sie nicht zurückgeben wollte.
Ein Sechser im Lotto
Es dauert manchmal Jahre, bis eine Freundschaft so gut ist, dass sie uns durch den Alltag mit all seinen Höhen und Tiefen trägt. Bis man sich blind aufeinander verlassen, in einem Bett schlafen, sich ungeniert nackt zeigen kann. Eine gute Frauenfreundschaft ist wie ein Sechser im Lotto. "The gift that keeps on giving", sagen die Amerikaner, ein Geschenk, das immer weiter schenkt. Aber auch ein zerbrechliches, weil wir Frauen empfindsame, oft viel zu leicht zu kränkende Seelchen sind. Ein falsches Wort, ein falscher Blick, das war’s. Und dann ist plötzlich der Zeitpunkt für eine Aussprache verpasst. Eine gute Freundin weniger. Und wenn man sich zufällig wiedertrifft, ist es einfach zu spät. Deshalb mein Vorsatz: Kein Streit mehr, der nicht spätestens am nächsten Tag geklärt wird. Das Allermeiste hätte nämlich schlimmer kommen können.
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...