Unsere Kolumnistin liebt schöne Dinge. Und deshalb gönnt sie sich auch mal was. Wie ihre Designerbluse. Die hebt sie dann gern "für gut" auf, um irgendwann festzustellen, sie passt nicht mehr rein
Der Frühling ist da, die Natur häutet sich. Was liegt da näher, als mitzumachen und den viel zu vollen Kleiderschrank von Grund auf auszumisten? Meine Umfragen bei Frauen, die auch von übervollen Kleiderschränken betroffen sind, haben ergeben, dass die meisten von uns allerhöchstens ein Zehntel dessen tragen, was sich oft jahrzehntelang im Schrankesdunkel angesammelt hat.
Ich bin eine eher schmucklose Frau mit hartnäckiger Jeans-T-Shirt-Affinität
Ich bin da keine Ausnahme. Was mich beim Ausbreiten des Schrankinhalts aber am meisten verblüfft, sind die teuren Designerfummel, die ich mir, eine eher schmucklose Frau mit hart- näckiger Jeans-T-Shirt-Affinität, in finanziell entspannteren Zeiten gegönnt habe – ohne sie ein einziges Mal zu tragen. Da wären zum Beispiel ein dunkelblauer Hosenanzug mit Schul- terpolstern, eine weiße Jil-Sander-Bluse und ein kleines Schwarzes, so klein, dass der Reißverschluss fast platzt, als ich es jetzt anprobiere. Genauso eingelaufen fühlt sich der Hosenanzug an und die sündhaft teure Bluse mit den winzigen Knöpfen.
Genau wie früher meine Oma ihre gute Stube schonte
Ich frage mich: Warum hab ich mir die Sachen damals gekauft? Und noch viel mehr: Warum habe ich sie nicht getragen, als ich in ihnen noch nicht wie eine geplatzte Bratwurst aussah? Wohl, weil ich sie für besondere Gelegenheiten aufsparen wollte. Sie waren so teuer, dass sie "für täglich" zu kostbar waren und ich sie schonen wollte. Genau wie früher meine Oma ihre gute Stube schonte, die aber wenigstens zu besonderen Gelegenheiten genutzt wurde, auch wenn sie den Rest des Jah- res kalt und ungemütlich blieb.
Aufsparen, schonen – das ist vorbei.
Also im Grunde vergeudet, genau wie meine Designerklamotten. Ich hänge sie jetzt vorn auf meine Kleiderstange. Als Mahnung. Damit ich in Zukunft nur noch kaufe, was ich oft und gern benutzen werde. Aufsparen, schonen – das ist vorbei. Das gilt auch für das hauchdünne Teegeschirr aus St. Petersburg, das mein Mann mir vor 20 Jahren mitbrachte und das seitdem im Schrank verstaubt. Und das Trüffelsalz, Geschenk einer Freundin, werde ich ab sofort jeden Morgen über mein Frühstücksei streuen und nicht darauf warten – ja, auf was eigentlich? Auf wichtige Gäste, die auf Wachteleier als Vorspeise bestehen? Auf meine goldene Hochzeit?
Ergreife den Tag und quetsche ihn aus wie eine Zitrone!
Carpe diem – was für ein Satz! Ergreife den Tag und quetsche ihn aus wie eine Zitrone! Warte nicht auf besondere Gelegenheiten, horte und spare nicht. Der Mensch ist kein Eichhörnchen. Irgendwann bist du zu dick für die Jil-Sander-Bluse, die dir vor zehn Jahren ganz wunderbar gestanden hätte.
Wir leben nicht, um eine aufgeräumte Wohnung zu hinterlassen, hat Elke Heidenreich mal geschrieben. Was nützen Sparsamkeit und Schonung, wenn wir dabei unser Leben verpassen und all das Schöne und Aufregende Schimmel ansetzt oder zu klein wird?
Deshalb plädiere ich für deutlich weniger Vorsicht und mehr Lässigkeit. Und wenn das bedeutet, dafür auch mal das Konto ein bisschen zu Überziehen, geht die Welt nicht unter. Es könnte schlimmer kommen ...

Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...