Loslassen gehört zum Leben. Das würde unsere Kolumnistin nicht nur sofort unterschreiben, sondern auch jederzeit fordern. Aber muss das gerade beim Teddy ihres Sohns anfangen?
Mein Sohn ist 22 Jahre alt, sein Kinn ziert ein Taliban-Vollbart und seine Leber verträgt viel Alkohol. Wenn ich zufällig in seine Kulturtasche blicke, entdecke ich dort kleine, viereckige Päckchen, die auf ein sehr aktives Sexualleben deuten. Er studiert in England. Er ist kein kleiner Junge mehr. Und trotzdem sitzen oben auf seinem Kleiderschrank seine alten Kuscheltiere. Um die wir regelmäßig kämpfen. "Schmeiß sie endlich weg, Mama", sagt er, "ist doch peinlich, wenn ich mal Besuch habe."
Man sollte zu den Dingen passen, mit denen man lebt
Okay, sage ich und schiebe die Kuscheltiere so weit nach hinten, dass er sie nicht sieht. Total albern, aber ich hänge an dem winzigen Kindlichkeitsrest, den diese inzwischen verstaubten, sehr abgeliebten Kuscheltiere für mich bedeuten. Ich weiß, dass man sich regelmäßig besitzstandsmäßig „häuten“, dass man zu den Dingen passen sollte, in und mit denen man lebt. Ich finde es ganz gruselig, dass eine alte Freundin von mir noch immer in ihrer Studentenbude mit den uralten Möbeln vom Flohmarkt wohnt, nur das Ikea-Sofa hat sie vor zwölf Jahren neu beziehen lassen.
Die Dinge, die man liebt
Auch Frauen, die längst ergraut noch immer lange Wallemähnen tragen, möchte ich ein "Mädels, ihr seid nicht mehr 20, Haare bitte kinnlang" zurufen. Geht mich nichts an, weiß ich, zumal ich meine alten Skinny Jeans innig liebe, die für eine reife Frau wie mich auch einen Tick zu teenagerhaft sind. Und sich meine Frisur seit 20 Jahren auch nicht wesentlich verändert hat. Jede von uns hat Textilien oder andere Dinge, die sie durch ihr Leben schleppt, obwohl man ihnen längst entwachsen ist. Die eigenen akzeptieren wir, die der anderen nicht. Mein Mann, ein Autofreak, wird wahnsinnig, wenn Freunde sich nicht von ihren alten Rostgurken trennen. Er legt ihnen Kataloge hin, er schleppt sie zu Autohändlern, er beschwert sich bitterlich bei mir, wenn all seine Versuche zwecklos sind. "Man will doch auch mal was Neues haben", seufzt er. Aber als ich kürzlich sein Achtziger-Jahre-Jackett mit den Lederflicken auf den Ellbogen heimlich entsorgen wollte, ist er ausgerastet.
Dinge haben zwei Verfallsdaten
"Dinge haben zwei Verfallsdaten", sagt eine befreundete Psychologin, "ein tatsächliches und ein emotionales. Wann Letzteres ausläuft, ist sehr persönlich und kann nicht fremdbestimmt werden." Natürlich spielen auch Faulheit und die Tatsache, dass Krempel unbemerkt vor sich hinwuchert, eine Rolle, wie jeder weiß, der ohne gründlich auszumisten umzieht und genervt in seiner neuen Wohnung kistenweise Sachen auspackt, die er nicht mehr braucht. In meinem Fall u. a. 2000 Bücher, Relikte aus meiner analogen Zeit als Leseratte. Warum ich sie nicht wegschmeiße? Weil ich Bücher nicht wegschmeißen kann. Genauso wenig wie Kuscheltiere. Mein Sohn besteht jetzt darauf, dass ich sie in eine Kiste packe. Mach ich auch. Es hätte schlimmer kommen können.
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...