Perfektionisten sind wir Deutschen ja ohnehin. Aber Weihnachten überbieten wir uns selbst: Alles soll stimmen - von der Gans bis zu den Geschenken. Unsere Kolumnistin hat dazu einen bescheidenen Wunsch.
Wenn es einen Satz gibt, den ich in der hektischen Vorweihnachtszeit nicht mehr hören kann, dann ist es dieser: "Ich bin so froh, wenn der ganze Stress endlich vorbei ist!" Bis auf meine Freundin Uschi, die schon im Oktober ganz entspannt mit Plätzchenbacken und Geschenkeeinpacken anfängt, freut sich keine meiner anderen Freundinnen auf Weihnachten. Keine Einzige. Alle jammern, alle sind vergrippt, alle keuchen sich durch eine Adventszeit, die von Besinnlichkeit so weit entfernt ist wie ich von einer Schönheitskönigin. Schaut man in die gehetzten, gereizten Gesichter der Leute in der Innenstadt, sieht es aus, als wären alle kurz vor einem kollektiven Wutanfall.
Keiner hat eigentlich mehr so richtig Lust auf die Vorweihnachtszeit
"Ich freue mich so auf den Januar", sagt eine Kollegin, "dann sind alle Geschenke umgetauscht und ich hab' endlich wieder meine Ruhe." Warum ist das Fest der Liebe so unbeliebt? Was ist an Zimtsternen, "Jauchzet, frohlocket!"-Liedern, Gänsebraten mit Rotkohl, freien Tagen, viel Besuch von lieben Menschen und der Geburt des Christkindes so unangenehm? Ist es schlicht Überdruss, weil es die ersten Zimtsterne und Schokoladenweihnachtsmänner bereits im September gibt, wenn man, global warming sei Dank, draußen noch im T-Shirt herumläuft? Ist es der übertriebene Hype, der alle Jahre wieder um dieses Fest gemacht wird? Die überfüllten und überdekorierten Innenstädte? Oder die Weihnachtsfeiern, auf denen man zu viel trinkt, mit peinlichen Kollegen herumknutscht und sich anschließend als Video auf Youtube wiederfindet?
Alles andere als perfekt
Ja, es gibt so einiges, das uns das Fest vermiesen kann. Weil wir nämlich trotz aller vorauseilenden Miesepeterei noch immer hartnäckig unser Kinderweihnachten-Ideal im Kopf haben. Ein Fest
der Liebe, an dem sich alle lieb haben. Wo leise der Schnee rieselt, drinnen die Weihnachtskugeln am geschmückten Baum glitzern, die Krippe aufgebaut ist und die fröhliche Familie, perfekt gegenseitig beschenkt, eine knusprige Gans mit Rotkohl und Klößen verspeist. Nur leider sind wir alles andere als perfekt, also haben wir selten perfekte Weihnachten. Weil es entweder zu viel (Verkehrschaos) oder zu wenig (keine weißen Weihnachten) schneit. Weil die liebe Verwandtschaft, die auf dem Gästesofa schläft und das einzige Bad blockiert, von begrenzter Weihnachtsfreude sein kann, sich ein Fest allein oder allein zu zweit aber wiederum auch freudlos anfühlt.
Katastrophen, Tränen und Kirsch-Lakritz-Basilikum-Marmelade
Der Baum kann umkippen, die Gans kohlschwarz verbrutzeln, die Patentante schenkt die Nikes für den Sohn viel zu klein, kann sie leider nicht umtauschen, weil sie Fakes aus China sind. Der Schwiegersohn hängt auch während der Bescherung am Handy, die Single-Freundin hat alle mit ihrer selbst gemachten Kirsch-Lakritz-Basilikum-Marmelade beglückt und ist anschließend in Tränen ausgebrochen, weil sich ihr verheirateter Lover auf ihre 46.578 SMS nicht gemeldet hat.
Man will einfach zu viel an Weihnachten, poliert alles auf Hochglanz, die Wohnung, den Baum, sich selbst und vergisst dabei, wie bescheiden und friedlich es vor über 2000 Jahren einmal angefangen hat. In einem Stall. Maria hat ihrem Joseph vermutlich keine Gans serviert, das Heu in der Krippe hat gepikst und die Geschenke kamen erst mit den drei Königen, so fand das Ur-Weihnachten statt. Wie werden unsere Festtage sein? Genau - es hätte schlimmer kommen können.
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...