Unsere Kolumnistin ist sich sicher: Grund für eines der größten Missverständnisse in der Liebe ist guter Sex. Warum? Weil er Frauen anhänglich macht und Männer müde.
Meine Freundin glühte richtig. Sie hatte einen Mann im Internet kennengelernt, sieben Dates und jetzt die erste Nacht mit ihm hinter sich. "Ich weiß einfach, das ist es", sagte sie. So hört sich Verliebtsein an.
Die Realität sah etwas anders aus. Mit den Worten: "Ich melde mich", hatte er sich verabschiedet und war zu einem Geschäftstermin geflogen. Seitdem checkte sie alle fünf Sekunden ihr Smartphone. Keine Nachricht. Sie simste ein vorsichtiges: "Gut angekommen? Es war schön mit dir." Immer noch kein Lebenszeichen. Kurz und schmerzlich: Er meldete sich nie wieder. Und meine Freundin ging am Stock.
Es war einmal: ein Mann und ein Frau
Die Ursache für das allergrößte Missverständnis in der Liebe ist nämlich Folgendes: Ein Mann und eine Frau haben richtig guten Sex. Denn dabei wird jede Menge Oxytocin ausgeschüttet, ein Wohlfühlhormon, das nur leider sehr unterschiedlich wirkt. Bei uns Frauen ist es ein Kuschel und Bindungshormon, wir sehen den Mann, der uns gerade so einen schönen Orgasmus beschert hat, bereits als zukünftigen Partner. Der jedoch ist, weil ihn genau dasselbe Hormon müde macht, längst eingeschlafen. Und wenn er am nächsten Morgen aufwacht, denkt er nicht ans Standesamt, sondern an seinen ersten Kaffee. Etwas später wird er problemlos in den Flieger steigen, ohne einen einzigen Gedanken an die Frau zu verschwenden, die unfähig ist, an etwas anderes zu denken als an ihn.
Warum ist das so? Bedeutet heißer Sex in den Armen einer tollen Frau für Männer gar nichts mehr? "Die Sache ist gleichzeitig einfach und kompliziert", sagt eine befreundete Psychologin. "Die meisten Männer haben nicht so viel Sex, wie sie gern hätten, egal ob sie Single oder verheiratet sind. Deshalb denken sie praktisch: Okay, das ist zwar jetzt nicht die Frau fürs Leben, aber eine nette Abschiedsnummer nehme ich mit." Wie der letzte Heringshappen auf dem "All You Can Eat"-Buffet. Einer geht noch.
Daran beißt sich jede Gleichstellungs beauftragte die Zähne aus: Männer können Sex und Liebe trennen, die meisten Frauen können es nicht. Und das Internet mit seinem Endlosangebot macht die Sache nicht besser. "Ich war fassungslos, wie oft ich angeklickt wurde", freute sich vor Kurzem ein Freund – frisch geschieden, Ende fünfzig – nach seinem ersten Online-Dating-Versuch: "Dass ich der maßen begehrt bin, damit hab ich nicht mehr gerechnet."
Ein sehr wählerisches Männerpotenzial
Unbegrenztes Frauenpotenzial stößt auf begrenztes, sehr wählerisches Männerpotenzial. So ist es leider. Kürzlich belauschte ich eine Männerrunde in meiner Stammkneipe. Sie redeten darüber, was sie an Frauen abturnt. Ganz oben auf der Liste: zu große Bedürftigkeit, zu wenig Witz, zu viel Selbstkritik. Männer mögen Frauen, die selbstsicher sind, die viel lachen, die Körper haben, in denen sie sich wohlfühlen. Ein bisschen Bauch oder ein kleiner Busen? Das Problem haben wir, nicht die Männer. Und es ist mit Sicherheit nicht der Grund, warum sie manch mal wortlos abtauchen.
Ich würde mir deshalb wünschen, dass wir uns zu diesem Thema keine großen Gedanken mehr machen. Er meldet sich nicht? Sein Verlust. Die Welt dreht sich weiter. Es hätte schlimmer kommen können.
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...