Es gibt zwei Gruppen von Menschen: Bei der einen stürzt bei einem Fehler der Selbstwert sofort in sich zusammen, die andere entwickelt sich aus Niederlagen weiter.
Es könnte klappen. Es könnte auch in die Hose gehen. Die Frage ist: Traut man sich trotzdem? Nehmen wir das Beispiel Vorsingen. Wer in einem guten Laienchor mitmachen möchte, muss beim Chorleiter in der Regel erst einmal zeigen, was er kann: Tonleitern nachträllern und ein kleines Stück aus dem aktuellen Probenprogramm zum Besten geben. Er setzt sich damit dem Urteil eines anderen Menschen aus. Denn der Chorleiter entscheidet dann: gut genug zum Mitsingen. Oder er winkt ab: Es reicht leider doch nicht ganz.
Das eigenen Potential erkennen
Es geht hier nicht um ein Staatsexamen und oder ein Bewerbungsgespräch. Nichts Dramatisches, nichts Existenzielles also. Und dennoch ist dieses harmlose Beispiel bezeichnend. Denn wie Menschen mit solchen Prüfungen umgehen, zeigt eindrucksvoll, ob sie in der Lage sind, ihr eigenes Potenzial zu erkennen und auszuschöpfen. Es demonstriert, wie viel Mut sie haben, wie viel Selbstbewusstsein und wie sie sich innerlich selbst bewerten. Und es beantwortet Fragen wie diese: Wieso entwickeln manche ein ganz besonderes Talent für Sport, Geschäftliches oder die Wissenschaft, und das oftmals sogar gegen Widerstände?
Wieso wissen sie so genau, wo sie brillieren können und was sie glücklich macht? Zum Beispiel eine Frau, die sieben Kinder zur Welt bringt, nebenher Medizin studiert und sich zur Bundesfamilienministerin hocharbeitet. Natürlich stimmte der bildungsbürgerliche Hintergrund in der Politikerfamilie. Sicherlich glänzte Ursula von der Leyen schon als Kind in der Schule. Doch mit derart günstigen Voraussetzungen starten auch andere ins Leben - und schaffen es dennoch nicht an die Spitze. Wieso also sie? Weshalb überzeugt jemand auf der Bühne? Und welche Voraussetzungen führen dazu, dass sich eine Frau in einer knallharten Männerdomäne durchsetzt und eine der besten Herzchirurginnen Deutschlands wird?
Die Grundeinstellung ist entscheidend
Die Gene allein, so viel steht fest, sind dafür nicht verantwortlich. Und schon gar nicht das viel zitierte Talent oder ein besonders leistungsfähiges Gehirn. Etwas anderes steckt in Menschen mit ganz besonderen Fähigkeiten: Es ist der Glaube an sich selbst, die Freude am Lernen und eine gehörige Portion Selbstbewusstsein. Das zumindest ergaben die Studien der Psychologieprofessorin und Buchautorin Carol Dweck. Die Wissenschaftlerin untersucht schon seit Jahrzehnten, was uns innerlich wachsen lässt. Ihr Resultat: Entscheidend ist eine ganz bestimmte Grundeinstellung, die diese Menschen auszeichnet.
Sie ist die Erklärung dafür, warum manche Menschen ihre Ziele erreichen und warum es anderen nicht einmal gelingt, ihre Möglichkeiten zu entdecken. Carol Dweck teilt die Menschheit in zwei Gruppen ein: Viele Glückliche und Erfolgreiche verfügen über ein sogenanntes dynamisches Selbstbild. Sie begreifen sich als Menschen, die aus Fehlern lernen, die flexibel auf Situationen reagieren können und Niederlagen auch als Entwicklungschance begreifen. Anders Menschen mit einem statischen Selbstbild: Sie haben eine fixe Vorstellung von sich selbst, eine zementierte Idee davon, was sie besonders gut können und was nicht. So verbauen sie sich manche Möglichkeit, ihre wahren Stärken zu entdecken.
Das statische Selbstbild
Auf das Beispiel des Vorsingens übertragen heißt das: Eine Prüfungssituation ist für niemanden angenehm. Aber wir können sie auf ganz unterschiedliche Weise bewerten. Menschen mit dynamischem Selbstbild begreifen das Vorsingen als Möglichkeit, endlich professionelles Feedback zu ihrer Stimme zu erhalten. Dies zeigt ihnen, wo sie stehen, was sie bereits können und woran sie noch arbeiten müssen. Eine hervorragende Chance, besser zu werden. Und zwar in jedem Fall, egal ob es mit dem Chor klappt oder nicht. Für Menschen mit einem statischen Selbstbild wird der Test jedoch zum Prüfstein für die eigene Wertigkeit. Das Ergebnis entscheidet für immer darüber, ob sie singen können oder nicht. "Sie gehen davon aus, dass ihre Eigenschaften in Stein gemeißelt sind", erklärt Carol Dweck. Entweder ist man talentiert oder man ist es eben nicht. Fehler zu erkennen und zu beheben, Anstrengungen und Hartnäckigkeit passen nicht in dieses Bild.
Der ständige Leistungsdruck beim statischen Selbstbild ist fatal
Menschen mit einem statischen Selbstbild verfolgen unbewusst vor allem ein Ziel: ihre Intelligenz, ihre Persönlichkeit, ihren Charakter in jeder Situation unter Beweis zu stellen. Werde ich Erfolg haben oder scheitern? Werde ich klug oder dumm erscheinen? Werde ich mich am Ende als Siegerin oder als Verliererin sehen? Ein fataler Prozess. Denn bei solchen Menschen, erklärt Psychologieprofessorin Dweck, verwandelt sich eine Handlung ("Ich habe versagt") in einen Zustand: "Ich bin ein Versager." Das nagt dauerhaft am Selbstbewusstsein. Dweck nennt es das Jemand-niemand-Syndrom: Wenn ich gewinne, bin ich jemand. Verliere ich, bin ich niemand. Auch unter Spitzensportlern und Wirtschaftsmanagern gibt es Menschen mit statischem Selbstbild. Klassisches Beispiel: John McEnroe. Er spielte Tennis wie ein junger Gott - aber wenn er verlor, kam er an seine Grenzen, schleuderte den Tennisschläger Richtung Publikum und beschimpfte den Schiedsrichter. Ein dynamisches Selbstbild hingegen ermöglicht es Menschen, das zu lieben, was sie tun - auch dann noch, wenn Hindernisse auftauchen. Daraus entsteht laut Carol Dweck oft eine merkwürdige Ironie: "Menschen mit einem statischen Selbstbild drängen oft an die Spitze und Menschen mit einem dynamischen Selbstbild kommen eher nebenbei dort hin, weil sie sich für das begeistern, was sie tun."
Dynamiker leiden in der Liebe weniger
Das gilt sogar für die Liebe. In ihren Untersuchungen befragte Carol Dweck 100 Personen, die eine schmerzhafte Trennung erlebt hatten. Das Resultat: Wurden Menschen mit einem statischen Selbstbild verlassen, fühlten sie sich zurückgewiesen und dauerhaft abgestempelt. Sie empfanden sich nicht mehr als liebenswert, ihr Selbstwert war beschädigt. Und die meisten sahen die Schuld für das Scheitern der Beziehung beim Partner. Viele schafften es jahrelang nicht, wieder eine befriedigende Beziehung einzugehen. Anders die Dynamiker: Sie litten nicht weniger unter der Trennung. Aber sie analysierten das Scheitern, versuchten ihren Anteil daran zu erkennen und lernten etwas daraus: das nächste Mal Probleme früher anzusprechen, die eigene Position künftig klarer zu machen. Kurz: Das Scheitern machte sie stärker.
Den inneren Kosmos besser kennenlernen
Der Grundstein für das eigene Image wird meist in der Kindheit gelegt. Aber dieses Bild lässt sich glücklicherweise später noch verändern indem wir es infrage stellen: Sind wir wirklich Loser, wenn das Vorsingen nicht klappt? Halten wir uns tatsächlich für dumm, nur weil wir an der Führerscheinprüfung gescheitert sind? Dr. Maja Storch arbeitet als Motivationspsychologin an der Universität Zürich. Zusammen mit Dr. Frank Krause hat sie das Zürcher Ressourcen Modell (ZRM) entwickelt. Es ermöglicht Menschen, ihren inneren Kosmos besser kennenzulernen, und zeigt, auf welche Stärken sie zurückgreifen können. Wesentlich dabei ist, sich klarzumachen, wie viele Ressourcen man besitzt. "Viele definieren sich über eine einzige Fähigkeit", erklärt die Psychologin. "Menschen mit einem schlechten Selbstbild setzen immer nur auf diese Karte.
Und da müssen sie dann natürlich besonders gut sein. Wenn man diesen Leuten das Direktorenschild von der Tür schraubt oder sie vom Siegerpodest drängt, bleibt nichts mehr übrig." Deshalb rät die Motivationsforscherin den Teilnehmern ihrer Seminare, Stift und Blatt zur Hand zu nehmen und möglichst schnell fünf ganz besondere Stärken aufzuschreiben. Dazu gehört beileibe nicht nur der intellektuelle Überflug. Sondern auch nützliche und alltägliche Fähigkeiten wie "Ich kann prima organisieren", "Ich kann gut mit Kindern umgehen", "Ich habe ein großes Herz" oder "Ich liebe Zahlen". Wichtig ist es, seinen Selbstwert auf mehrere solide Säulen aus ganz unterschiedlichen Bereichen des Lebens zu stützen. Zum Beispiel Maja Storch: Sie kann nach eigenen Aussagen sehr gut kochen. Sorgt dank ihrer Vortragskunst für volle Hörsäle an der Universität. Und führt eine glückliche Ehe. "Wenn dann zum Beispiel in meinem Job etwas schiefgeht, kann ich immer noch innerlich relativ entspannt bleiben."
Vergleiche sind Feedback
Als nächsten Schritt sollte man Vergleiche anstellen - immer wieder und ganz bewusst. Und diese als Feedback, nicht als Kritik auffassen. Wie gut bin ich wirklich? Reicht meine Stimme zum Chorsingen? Taugt mein Konzept dazu, ein Geschäft zu eröffnen? Kann ich wirklich Politikerin werden? Solche Fragen lassen sich nicht in Kaspar-Hauser-Manier im stillen Kämmerchen beantworten. "Dazu braucht man soziale Vergleichsprozesse", sagt Maja Storch. Also zum Beispiel Prüfungen. Oder Einschätzungen aus dem Umfeld.
"Menschen, die kein gesundes Selbstwertgefühl haben, versuchen solche Rankingsituationen zu umgehen", weiß die Motivationsforscherin. Das kann vielleicht kurzfristig das Ego schonen und eine vermeintliche Niederlage ersparen. Aber langfristig verbaut man sich damit den Weg zu jeder Menge Selbsterkenntnis. Maja Storch: "So weiß ich nie, wo ich schlechter bin als andere. Aber ich weiß auch nie, wo ich wirklich besser bin." Dann lieber die innere Unsicherheit in eine Sicherheit ummünzen, die Schwäche in Stärke. Und entspannt schauen, was passiert.
Denn dass die Außen- mit der Inneneinschätzung nicht kongruent ist, erfahren auch Profis wie Maja Storch. "Ich bin mein ganzes Leben lang mit dem Selbstbild herumgelaufen, ich sei eine ausgezeichnete Tänzerin", erzählt die Schweizer Forscherin. Doch nach dem zweiten Salsa-Kurs musste sie feststellen: Im Vergleich mit anderen war sie bestenfalls Mittelmaß. Egal wie sehr sie übte, sie würde sich in einem Turnier nie an die Spitze tanzen. Die Konsequenz: "Ich weiß, wo ich stehe, und kann mich jetzt fragen, ob es Gründe gibt weiterzumachen und wenn ja, welche." Sie entschied sich dafür, trotzdem zu tanzen. Aus einem einfachen Grund: weil es Spaß macht. Und weil es ihr guttut. Wäre schade gewesen, das nie zu erfahren.
Und wie meistern andere ihr Leben?
Joy Denalane, 33
Sängerin, lebt mit ihrem Mann, Musiker Max Herre, und ihren zwei Söhnen in Berlin
"Schon früh war mir klar: Ich will Sängerin werden. Gleichzeitig war ich immer ein totaler Familienmensch. Um beides unter einen Hut zu kriegen, braucht man viel Disziplin, ein gutes Umfeld und Organisationstalent. Oft hat mir aber auch der Instinkt geholfen: Dinge, die sich nicht gut anfühlten, habe ich einfach bleiben lassen. Neben all dem: Auch wenn es mal nicht so läuft, verliere ich nie meinen Humor!"
Prof. Juliane Kokott, 49
Erste Generalanwältin am Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und sechsfache Mutter
"Organisationstalent, Optimismus, eine gewisse Risikobereitschaft sowie innere Unabhängigkeit sind Stärken, die mir helfen, mein Leben zu meistern. Gesellschaftliche Konventionen haben meine Pläne und Ziele noch nie beeinflusst. Man sollte seinen eigenen Weg finden. Sich zu sehr auf etwas zu versteifen, bringt aber auch nichts. Auf die richtige Balance zwischen Durchsetzungsvermögen und Offenheit gegenüber den Wegen und Chancen des Schicksals kommt es an."
Nina Öger, 33
Juniorchefin des gleichnamigen Touristikunternehmens. Sie engagiert sich für das Unicef-Projekt "Auf in die Schule, Mädchen!"
"Eine meiner größten Stärken ist die Leidenschaft für die Dinge, die ich mache: mein Familienleben, meinen Beruf und mein soziales Engagement. Mein Umfeld schätzt an mir, dass ich sehr zielorientiert und entscheidungsfreudig bin."
Dana Samonik, 26
Vater Kroate, Mutter Serbin. Musste als Zehnjährige aus Bosnien fliehen: Eine Bombe schlug in das Haus ihrer Familie. Der Vater holte sie nach München. Seit ihrem 16. Lebensjahr sorgt sie selbst für ihren Lebensunterhalt
"Was mich glücklich und stark macht: meine Freunde und Kontaktfreudigkeit. Das war aber nicht immer so. Aus der sprachlichen und kulturellen Unsicherheit heraus war ich früher recht introvertiert, da musste ich schon hart an mir arbeiten. Jetzt bin ich mit dem, was ich habe, zufrieden. Mein Leben ist zwar nicht luxuriös, aber tausendmal besser, als ich es mir in meiner Kindheit je hätte träumen lassen."
Dr. Sabine Däbritz, 46
Professorin für Herzchirurgie am Klinikum der Ludwig- Maximilians-Universität in Großhadern bei München
"Meine größte Stärke: die finnische Erziehung. Meine Mutter hat vier Kinder großgezogen und gleichzeitig voll als Lehrerin gearbeitet. Mein Vater war Prokurist. Wir Kinder sind dabei aber nicht zu kurz gekommen. Deshalb ist es auch für mich kein Problem, Karriere zu machen und gleichzeitig zusammen mit meinem Mann unseren sechsjährigen Sohn großzuziehen. Warum ich ausgerechnet Herzchirurgin geworden bin? Mich macht die Kombination aus Handwerk und dem empathischen Umgang mit Patienten sehr glücklich. Meine Hände arbeiten sogar in der Freizeit gern. Deshalb trägt mein Sohn Mathi auch handgestrickte Pullis."