Nur wer seine Talente kennt, kann sie auch gezielt einsetzen. EMOTION-Autor Jan Schlieter begab sich auf die Suche nach seinem ganz persönlichen Erfolgsmotto - und lernte viel Neues über sich
Für mich stehen deutsche Autos für Zuverlässigkeit, italienische Mode für Eleganz und Schweizer Schokolade für guten Geschmack. Weil das die meisten Leute so sehen, sagt man in der Werbesprache: starke Marken. Auch Menschen können solch eine Marke sein. Meint zumindest Michael A. Wiegel: "Stellen Sie sich jemanden vor, der etwas Bestimmtes macht – und alle denken: 'Das ist typisch Fritz'." Es gibt also etwas Markantes, Fritz-haftes, das ihn auszeichnet. Michael A. Wiegel verspricht, dass ich an nur einem Tag dieses Besondere an mir entdecken werde. Das hört sich so verlockend an, dass noch 15 weitere Menschen ihren freien Sonntag geopfert und 450 Euro bezahlt haben, um bei Wiegels sogenanntem Erlebnisworkshop dabei zu sein.
Werbeslogans für Menschen statt für Shampoos
"Personal Brandbeat – Folge dem Herzschlag deiner Marke … und finde, was dich ausmacht" steht in Riesenlettern an die Wand projiziert. Es ist nicht zu übersehen, dass unser Workshopleiter jahrelang in der Werbebranche gearbeitet hat. "Ich war spezialisiert auf den emotionalen Aspekt von Marken", erklärt der 43-Jährige. Irgendwann sei ihm die Idee gekommen, seine Methoden nicht länger auf Shampoos oder Limonade anzuwenden, sondern auf Menschen. Am Ende dieses Tages sollen wir deshalb folgende Frage beantworten können: "Was macht mich tatsächlich aus?"
Große Worte, die im Folgenden leider von Kalendersprüchen überschattet werden wie "Wir sind nicht Geschöpfe der Umstände, sondern Schöpfer" oder "Gewinnen fängt mit Beginnen an".
Stuhlbeine scharren, Wasserflaschen gluckern im Minutentakt. Man spürt: Jeder will selbst aktiv werden. Nach einer Dreiviertelstunde dürfen wir das endlich. "Ich werde ab jetzt nicht mehr so lange am Stück reden", versichert Wiegel. Das sollen wir nun machen – und zwar mit uns selbst. Unter seiner Anleitung folgen wir einem Sechs-Felder-Schema (siehe unten). Im ersten Schritt gilt es, unsere fundamentalen Werte und Prinzipien aufzuschreiben und diese dann in ein bis zwei Schlagworten zu verdichten. Eine Seite mit Stichpunkten habe ich schnell gefüllt. Doch das Verdichten ist schwierig – denn wie passen "Tempo" und "gründlich im Detail", "extrovertiert" und "mir selbst genug", "Ehrgeiz" und "Gemütlichkeit" zusammen? Anderen geht es wohl ähnlich, ich sehe viele ratlose Gesichter und angeknabberte Bleistifte. "Für jeden kommt der Punkt, an dem er sich verwirrt fühlt oder gar wütend auf den Seminarleiter wird", hat Wiegel vorher gesagt. Das sei gut, so käme es zu neuen Erfahrungen, auf die man sich einlassen solle.
Das Ziel: Gegensätze in sich vereinen
Ich wähle zwei konträre Oberprinzipien: "Rastloser Macher" und "vergeblich Ruhe suchender". Hm, das zweite gefällt mir noch nicht. "Verhindertes Faultier"? Zu negativ. "Verhinderter Träumer"? Klingt ganz gut. Die meisten kommen zu recht kreativen Ergebnissen: Eine sieht sich sowohl als "Auster" als auch als "visionäre Weltverbesserin", ein anderer als "Wellnesshotel" und "Guru". Auffällig: Fast alle nutzen zwei ziemlich gegensätzliche Formeln.
Diese vermeintlichen Widersprüche sollen wir in den nächsten Schritten vereinen. Dazu wählen wir zunächst eine Außensicht und fragen: "Wie sehen mich andere? Und was kriegen sie von mir?" Viele Teilnehmer kommen aus der Medien- und Marketingbranche, sind also geübt darin, mit Worten umzugehen. Ein Vorteil, aber auch ein Handicap. "Hört sich das gut genug an? Ist es wirklich das, was ich sagen will?" – bei solchen Gedanken ertappe ich mich immer wieder. Dennoch merke ich schnell, dass sich aus meinen so unterschiedlich scheinenden Seiten verbindende Eigenheiten ableiten lassen: "Erfolg im Team" oder "unterstützt andere und spornt an".
Meine Vision begeistert mich
Zwischen den Übungen erzählt Wiegel Anekdoten von früheren Kurs teil ehmern. Etwa dem Mann, der durch die Verbindung der Prinzipien "Ich will reich sein" und "Mutter Teresa" eine neue Geschädtssidee hatte: Newsletter für Hedgefonds zusammenzustellen. Das machte ihn zum Millionär und er half mit seiner informativen Aufklärungsarbeit auch noch anderen Geldanlegern. Konkrete Berufsbilder sind aber gar nicht das Ziel von Wiegels Konzept. Er will erreichen, dass wir uns unsere "Vision", unseren tiefsten inneren Antrieb bewusst machen und versuchen, im Einklang damit zu leben.
Aber was ist mein Antrieb? Das herauszufinden, ist der letzte Schritt – und für mich der schwerste. Denn wie einen knackigen Werbeslogan sollen wir ihn formulieren, in einem (möglichst kurzen) Motto. Zeile um Zeile streiche ich durch: zu sperrig, zu fade, nicht umfassend genug. "Dieser Satz ist eure Kraftquelle", sagt Wiegel, "er muss sich richtig gut anfühlen." Als er sieht, dass ich nicht weiterkomme, beweist er seine Stärke: Mit gezielten Fragen konzentriert er meine Überlegungen auf einen Bereich. Als Wiegel schon am nächsten Tisch steht, rufe ich ihn zurück. "Ich hab's", sprudelt es aus mir heraus, fast ein bisschen stolz. "Ich bin ein Freudenfinder." Da steckt vieles drin, was ich erstrebe: Leidenschaft, Zuversicht, Leichtigkeit, Gemeinschaft, Erfüllung. Als ich nach Hause radle, merke ich, dass ich vergnügt vor mich hinpfeife.
Diese Idee geht mir selbst Wochen später nicht aus dem Kopf. Um noch mehr Freude zu finden, habe ich einiges geändert: Ich überlege eher, ob ich eine Aufgabe wirklich selbst erledigen muss, trenne bewusster zwischen Arbeit und Freizeit, unternehme mehr mit meinen Freunden. Und so bin ich sogar ein noch besserer Teamspieler geworden.
Das Brandbeat-Prinzip
"Folge dem Herzschlag ('Brandbeat') deiner Marke" – das ist das Credo von Michael A. Wiegel (www.mybrandbeat.de). Um das zu entdecken, hat der langjährige Marketingexperte ein sechsstufiges Konzept entwickelt: Indem ich schriftlich verschiedene Fragen beantworte, soll meine "gerichtete Intuition" aktiviert werden – also das Zusammenspiel von rationalem Geist und kreativen Bauchentscheidungen. Zunächst bestimme ich meine Grundwerte, die ich in ein bis zwei prägnanten Begriffen zusammenfasse. Nun schaue ich, wie sich diese Werte in meinen Fähigkeiten ausdrücken. In den nächsten Schritten nehme ich die Außenperspektive ein: Welche Merkmale fallen anderen bei mir auf? Wie trete ich mit meinen Mitmenschen in Beziehung? Und wer ist der spontane Typ, als den sie mich sehen? Am Ende soll dann in einem Satz mein tiefster innerer Antrieb stehen.