Speedcoaching bei Sabine Wittig: Das neue Team ist fast zu nett. Private Gespräche gehören ebenso zum Arbeitsalltag wie feste gemeinsame Abende. Susanne M. ist das zu viel. Wie gelingt der Spagat?
"Ich bin dabei, mir alles zu vermasseln." Mit diesem heftigen Urteil über sich selbst kommt Susanne M., 34, gleich nach unserer Begrüßung auf den Punkt. "Hoppla", denke ich, "da hat sich was aufgestaut." Mein erster Eindruck: tatkräftig und offen, steht mitten im Leben und weiß, was sie will. Sie trägt einen gepflegten Kurzhaarschnitt, einen geschmackvollen Anzug und dazu dezenten Schmuck.
Ich spüre aber auch Traurigkeit und Resignation. Vor einem halben Jahr hat Susanne die Firma gewechselt und arbeitet jetzt in einem fünfköpfigen Team im Marketing bei einer Versicherung. Sie lebt seit zehn Jahren mit ihrem Partner Jürgen, einem Architekten, zusammen. Die beiden haben zwei Katzen. In Ihrer Freizeit kochen sie gern für Freunde und gönnen sich ab und zu einen Wochenendtrip in die Metropolen Europas.
Zu Beginn eines Coachings ist es mir wichtig, zunächst ein Gefühl dafür zu bekommen, was meine Klienten bewegt und vor allem zuzuhören und zu verstehen. Dabei nutze ich immer ein Flipchart, um Besprochenes zu visualisieren. So können die Klienten die Knackpunkte und Ideen mittels der "Helikopter-Perspektive" nochmals in einem anderen Licht betrachten und im Nachgang zum Beispiel als Fotoprotokoll in Erinnerung rufen.
Noch 60 Minuten …
Was konkret möchten Sie in diesem Coaching für sich erreichen?
Susanne: "Ich habe mich auf den neuen Job gefreut und mache meine Arbeit wirklich gern. Aber irgendwie werde ich immer mehr zum Außenseiter. Dabei bin ich durchaus ein geselliger Mensch. Ich bin jetzt Mitte dreißig. Ich möchte mich weiterentwickeln und Führungsaufgaben übernehmen. In meiner alten Firma waren die Aufstiegschancen begrenzt. Hier bieten sich so viele Perspektiven. Dafür habe ich schließlich auch einiges riskiert. Heutzutage die Firma zu wechseln, mit Probezeit und allem, will gut überlegt sein. Aber ich möchte weiterkommen, das ist mir wichtig. Die Aufgabe jetzt macht mir viel Spaß, trotzdem habe ich immer stärker den Eindruck, ich passe da nicht rein. Ich fürchte inzwischen, der Wechsel war ein Fehler. Ich verbaue mir gerade meine Karriere."
Noch 50 Minuten …
Woran merken Sie, dass Sie Ihrer Meinung nach nicht in das Team passen?
Susanne: "Zuerst ging es damit los, dass sich in meiner Abteilung alle duzen. Ich fühlte mich überrumpelt und habe zähneknirschend mitgemacht, als mir gleich am ersten Tag das Du angeboten wurde mit dem Hinweis, dass das in der Abteilung allgemein üblich ist. Ich dachte, okay, ich bin neu in der Firma, da muss ich Zugeständnisse machen. Hinterher habe ich es bereut, aber da war es schon zu spät.
Donnerstags gehen die Kollegen nach der Arbeit noch zusammen zum Inder oder in den Coffeeshop gleich in der Nähe. Wohlgemerkt jeden Donnerstag! Unser Chef kommt auch ab und zu mit. Mir ist das zuviel. Sie sind alle ganz nett, ich arbeite mit ihnen zusammen, wir müssen uns aufeinander verlassen können, aber es sind nicht auch automatisch meine Freunde, sorry. Und dann die vielen Fragen: Was ich am Wochenende gemacht habe, warum wir noch keine Kinder haben, was ich denn für Hobbys habe, wieso ich nie nach Feierabend mitgehe, ist doch so nett und lustig und wir sind schließlich alle ein Team …"
Konkurrenzkampf
Die Kollegen scheinen sehr an Ihnen als Mensch interessiert zu sein. Wieso fühlen Sie sich als Außenseiterin?
Susanne: "Irgendwie ist die Stimmung mir gegenüber umgeschlagen. Ich habe mittlerweile den Eindruck, dass hinter meinem Rücken über mich geredet wird. Auch mein Chef macht ab und zu Bemerkungen wie 'unsere Frau M. hat heute Abend sicher wieder etwas anderes vor'. Er sagt es zwar freundlich, aber den Unterton höre ich genau heraus.
Und dann neulich der Knaller: Als es darum ging, wer die Verantwortung für ein neues Projekt übernehmen soll, bin ich glatt übergangen worden. Obwohl ich die größte Erfahrung bei diesem Thema habe! Wissen Sie, ich mache meine Arbeit gut, bleibe auch mal länger, wenn erforderlich, scheue mich nicht, unangenehme Aufgaben zu übernehmen, bin freundlich zu Kollegen und Kunden - was fehlt?"
Noch 30 Minuten …
Warum glauben Sie, dass über Sie getuschelt wird?
Susanne: "Weil meine Kollegen es nicht akzeptieren können, dass ich zwar mit ihnen zusammenarbeite, aber nicht gleich mit ihnen befreundet sein will. Mir geht das zu weit. Ich möchte mich schützen. In meinem früheren Unternehmen hatte ich mich mit einer Kollegin angefreundet. Wir hatten die gleiche Wellenlänge, gleiche Karriereziele und uns auch privat verabredet. Iris konnte ich zu jeder Tag- und Nachtzeit anrufen und wir konnten uns alles erzählen. Nach einiger Zeit ist sie in den Vertrieb gewechselt. Wir hatten weiterhin engen Kontakt. Bis ich mich auf eine interne Stelle als Teamleiterin beworben habe.
Was ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass Iris sich ebenfalls beworben hatte. Mein damaliger Chef gab mir frühzeitig zu verstehen, dass er mich auf dieser Stelle sieht. Natürlich habe ich Iris davon erzählt, ich war ganz aus dem Häuschen. Und das war der Anfang vom Ende. Plötzlich hatte sie keine Zeit mehr, immer etwas anderes vor und war irgendwie abweisend. Später erfuhr ich zufällig von ihrer Bewerbung. Als ich sie am Telefon darauf ansprach, knallte sie den Hörer auf. Das erklärte einiges. Aufgrund einer Umorganisation wurde die Teamleiterstelle dann noch nicht einmal besetzt. Und dafür ist eine Freundschaft in die Brüche gegangen. Das hat mich sehr verletzt."
Noch 20 Minuten …
Jetzt wird einiges klarer! Sie möchten nicht, dass Ihnen das noch einmal passiert?
Susanne: "Nie wieder! Iris wusste praktisch alles über mich. Ich habe ihr vertraut."
Was glauben Sie, denken die Kollegen, warum Sie abends nie mitgehen?
Susanne: "Tja, zickig, zu karriereorientiert, versteht keinen Spaß, so was in der Richtung."
Sie sind fachlich gut in Ihrem Job und würden gern Führungsaufgaben übernehmen. Ich möchte Sie bitten, die von Ihnen geschilderte Situation mal von oben anzuschauen. Würden Sie sich mit einem Vorgesetzten wohlfühlen, der keinen Spaß versteht, zickig und karriereorientiert ist?
Es entsteht eine lange Pause. Dann lacht Susanne schließlich. Susanne: "Sie haben recht, ich grabe mir meine Grube gerade selbst. Das ist ja das Schlimme. Ich habe mich in etwas hineinmanövriert und möchte da wieder herauskommen."
Offen Konflike ansprechen
Wir sammeln auf dem Flipchart Ideen. Was wäre nötig, damit Ihre Kollegen die Situation einmal von Ihrer Seite aus betrachten und besser verstehen könnten?
Susanne:
• Das Gespräch mit meinen Kollegen suchen.
• Die aktuelle Situation und meine Gefühle dazu konkret benennen.
• Hintergründe deutlich machen.
• Um Verständnis bitten, aber auch mir selbst treu bleiben.
• Meinen Chef um ein persönliches Feedback zu meiner Arbeitsleistung bitten.
• Mit meinem Chef mögliche Entwicklungsschritte und Lernfelder erarbeiten.
• Mich öfter als "Mensch" zeigen, auch mal Schwächen zugeben.
• Wenigstens einmal gemeinsam mit den Kollegen abends mitgehen, ich muss dabei nicht gleich meine komplette Lebensgeschichte ausbreiten.
Können Sie die genannten Punkte in der nächsten Zeit ausprobieren?
Susanne: "Auf jeden Fall. Durch das Gespräch ist mir noch einmal klar geworden, wie sehr neben dem fachlichem Knowhowauch der bewusste Umgang mit Konflikten und Befindlichkeiten im Team zu einer Führungsaufgabe gehört. Ein Team zu leiten und dabei möglichst viel Gestaltungsspielraumzu haben, das ist mein großes Ziel. Und das werde ich jetzt neu anpacken."
Vier Wochen später
Um sich Unterstützung zu holen, hat Susanne zunächst mit ihrem Partner über die belastende Situation in der Firma gesprochen. Er hat sie ermutigt, auf ihre Kollegen und den Vorgesetzten zuzugehen. Gleich am nächsten Donnerstag - dem Tag, an dem die Kollegen abends üblicherweise noch gemeinsam etwas unternehmen - ist Susanne zur Überraschung aller mitgegangen. In den Tagen darauf hat sie das Thema in Gesprächen zu zweit oder zu dritt offen angesprochen. Das kostete sie anfangs enorme Überwindung, aber alle waren erleichtert.
Susanne war erstaunt, wie sehr das Team ihre fachliche Leistung würdigt. Auch ihr Mut, diesen Konflikt offen anzugehen, hat alle beeindruckt. Damit hat sich Susanne ganz nebenbei ein gutes Standing für künftige Führungsaufgaben verschafft. Das Gespräch mit ihrem Vorgesetzten verlief ebenfalls konstruktiv. Sie haben über Perspektiven gesprochen und konkrete Schritte vereinbart. Susanne geht nach wie vor nicht regelmäßig donnerstags mit. Sie nimmt sich stattdessen bewusst öfter mal Zeit, sich in der Kaffeepause zu unterhalten.
Sabine Wittig, 45, ist Expertin dafür, Dinge auf den Punkt zu bringen und wirksam umzusetzen. Internationalberät sie Unternehmen und coacht auch Einzelpersonen.Bevor sie sich selbstständig gemachthat, war sie Managerin in einem Luftfahrtunternehmen,wo sie ihre Karriere als Flugbegleiterin begann.
Hier geht's zum Coach-Profil von Sabine Wittig.
Gute Umgangsformen haben wieder mehr an Bedeutung gewonnen, natürlich spielt dabei auch die Wahl des Outfits eine wichtige Rolle. Wie Sie souverän im Job auftreten, verrät EMOTION-Coach Bettina Geißler.