Warum wir aufpassen müssen, dass uns finanzielle Unabhängigkeit nicht nur kurzfristig glücklich macht. Catharina Aanderud spricht sich zwar für Unabhängigkeit, aber gegen soziale Abgrenzung aus.
Wir verdienen unser eigenes Geld und sind unabhängiger denn je. Doch diese neu errungene Freiheit hat auch ihre Schattenseiten. Geld macht egoistisch, wie Studien zeigen. Es distanziert uns voneinander und senkt unsere Hilfsbereitschaft. Wir brauchen einander immer weniger, weil wir uns für jede Dienstleistung einen Profi kaufen können. Freunde bitten, uns beim Umzug zu helfen, und dabei fröhlich mit ihnen feiern? Das war einmal.
"Wir müssen keinen mehr um etwas bitten und halten das für etwas Erstrebenswertes"
Heute organisieren Unternehmen das professionell und effizient für uns. Den Nachbarn fragen, ob er während des Urlaubs unseren Briefkasten leert? Viel zu verpflichtend, schließlich gibt es einen Sonderservice der Post. Die Freundin anrufen, um ihr die eigenen Beziehungsprobleme zu schildern? Ach nein, lieber gleich einen Termin beim Coach, der kommt schneller auf den Punkt. Wir müssen keinen mehr um etwas bitten und halten das für etwas Erstrebenswertes. Ehe wir uns versehen, haben wir unser Leben perfekt organisiert – halten aber unsere Freunde auf Abstand.
Wohlstand geht auf Kosten der Nähe
Stattdessen haben wir viele "soziale Kontakte", denen wir unser gut gestyltes Ich präsentieren, wenn wir sie zum "Networking" treffen. Wohlstand, das ist erwiesen, geht auf Kosten der Nähe, die wir zueinander empfinden. In traditionellen Gesellschaften sind Familie und Freunde ganz selbstverständlich füreinander da, ohne sie wäre der Einzelne verloren.
Um etwas bitten und einem anderen helfen – das ist das Strickmuster, durch welches das soziale Netze täglich gestärkt und weiterentwickelt wird. Was dabei entsteht, ist echte Verbundenheit. Mehr wert als Geld und viel verlässlicher in diesen Zeiten!
Catharina Aanderud studierte Psychologie, Theologie und Philosophie in Tübingen und Berlin und war Redakteurin der BERLINER MORGENPOST. Als Autorin schrieb sie unter anderem WELT am SONNTAG, DIE ZEIT, DER SPIEGEL, HAMBURGER ABENDBLATT und natürlich EMOTION.