Tatjana Hauptmann, 60, ist Kinderbuch-Autorin und -Illustratorin, gestaltet aber auch literarische Werke. Das neueste Kinderbuch mit ihren Bildern: "All die verschwundenen Dinge" von Lukas Hartmann (Diogenes).
"Ohne Buch geh ich nicht aus dem Haus. Wobei ich die dicken Wälzer nicht mitnehme, weil sie mir zu kostbar sind. Romane, in denen ich wohne, will ich in Ruhe lesen. Welch unbeschreibliche Wonne, mittags lesend auf dem Diwan zu liegen, ausgeklinkt aus dem Alltag. Diese Pause zelebriere ich, seit ich denken kann. Alle gelesenen Bücher trage ich in ein Schulheft ein. Die Idee, dem Gedächtnis so auf die Sprünge zu helfen, habe ich in einer Buchhandlung in London entdeckt. Dort gab es Büchertagebücher, zierliche Heftchen mit Blumenmustern außen und Rubriken innen – eine tolle Sache!"
Sven Regener: "Die Lehmann-Triolige"
"Der kleine Bruder" ist der letzte Band der Trilogie von Musiker-Schriftsteller Sven Regener. Frankie Lehmann aus Bremen zieht bei seinem grossen Bruder Manni in Berlin-Kreuzberg ein, obwohl niemand in der versifften WG weiss, wo Manni steckt. Liest sich, als säße man beim Philosophieren mittendrin. Ich warte sehnlichst auf Nachschub und höre zum Trost die CDs von Element of Crime.
Alphonse Daudet: "Tartarin aus Tarascon"
Mit 14 schenkte mir mein Vater selig ein Bändchen mit Illustrationen von George Grosz. Ich schleppte es ständig in meiner Schulmappe herum. Unvergesslich, wie Tartarin nachts, in Pantoffeln und Fes, im Ohrensessel sitzt und vergeblich sein Schwert gegen die "DIE" schwingt! Wer diese waren? Schleierhaft. Jedenfalls etwas, das skalpiert, meuchelt, sticht und heult. Ein grosses Lesevergnügen!
Alina Bronsky: "Die schärften Gerichte der tatarischen Küche"
Die schöne Tatarin Rosalinde ist ein Kotzbrocken – und sympathisch. Trotz Wider wärtig keiten bewahrt sie Haltung. Sie fühlt ihr Fremdsein, erst als Tatarin in Russland, später als Russin in Deutschland. Ein vertrautes Gefühl: Meine Schwester und ich trugen, wie unser Vater, russische Namen – genug, um im Nachkriegsdeutschland im Abseits zu landen, deutscher Mutter. Mit ein Grund, wieso mich Alina Bronskys provokantes Buch berührt.
Patrick Süskind: "Die Taube"
In einem meiner Bücherstalagmiten habe ich die Geschichte des rührend schrulligen Pariser Bankwachmanns gefunden, der nach Jahren des Sparens sein geliebtes Mansardenzimmerchen kauft. Eines Sommermorgens scheint sein Lebensglück jäh zunichte: Eine Taube hockt vor seiner Tür. So wunderbar und oft komisch sind die Formulierungen. Allein bei der Beschreibung der Taube hüpft das Herz vor Begeisterung. Ein Meisterwerk!
Kveta Legatova: "Der Mann aus Zelary"
Das Protektorat Böhmen und Mähren 1942/43: Eine junge Ärztin gerät in Lebensgefahr, weil sie einer Widerstandsgruppe hilft. Sie soll sich eine neue Identität zulegen, in ein Bergdorf fliehen und dort den Dorftrottel heiraten. Als die Nazis fast vor der Tür stehen, konnte ich vor Aufregung kaum noch das Buch halten. Voller Poesie und Menschlichkeit.