Komisch und bemittleidenswert zugleich: Pascale Gaultiers Beobachtungen seniler Verschrobenheit.
Ausgewählt vom Netzwerk BücherFrauen, diesmal von der freien Korrektorin Julia Schlecker.
Pascale Gaultier: "Wo die alten Damen wohnen" (Ullstein):
"Wo die alten Damen wohnen" ist ein bitterböses, dennoch komisches Buch übers Altern, das einen zum Lachen bringt und im nächsten Moment schaudern lässt. Wohlgemerkt, es geht hier ums richtige Altern, nicht um die jungen Alten zwischen sechzig und siebzig, die in Pascale Gautiers Senioren-
residenz im idyllischen Sonnenloch von den anderen Alten belächelt werden.
Nämlich die, die schon neunzig sind wie der sportliche Pierre, der sich an alle Frauen heranmacht oder Lucette, deren Sohn ihr unbedingt den Gebrauch eines seniorengerechten Telefons nahe bringen will. Einsam in ihren kleinen Wohnungen sitzend lassen sie die Tage vorüberziehen und sorgen sich. Pascale Gautier beschreibt haargenau den Tagesablauf der Alten, die bereits nach dem spärlichen Frühstück nichts mehr zu tun haben und auch körperlich nicht mehr in der Lage sind, größere Anstrengungen zu unternehmen als zu Pater Catelan in die Kirche zu gehen. Und prompt denkt man mit einem leisen Unbehagen an seinen eigenen durchterminierten Tag und die ganzen Pläne, die man noch hat und die diese alten Damen nicht mehr haben und fragt sich, ob das alles eigentlich einen Sinn macht?
TV und Tiefsinn
Ein wiederkehrendes Motiv im Leben der alten Damen ist übrigens der Fernseher, der, voll aufgedreht, bei den meisten den ganzen Tag läuft und dessen Programm zynisch kommentiert wird, denn man hat ja schon ganz andere Dinge erlebt: "Erinnern Sie sich an den Mai 68?". Auch die aktuelle Politik wird abgehandelt – die Globalisierung, die Bevölkerungsentwicklung in China und die Sicherheit der französischen Atomkraftwerke – und mit der damaligen verglichen, mit der späten Einsicht: "De Gaulle, das war noch wer!".
Zum Schluss erfährt man aus den Nachrichten von einer baldigen Naturkatastrophe, die die ganze Stadt, ja die ganze Welt auslöschen wird, woraufhin die Bewohner des Städtchens reihenweise Selbstmord begehen, indem sie sich ausgerechnet vor dem Laden des Metzgers in die Tiefe stürzen.
Anfangs wirkte der Roman auf mich etwas konstruiert – wollte die Autorin, selbst Cheflektorin eines Pariser Verlags, ein aktuelles Thema aufgreifen und mit Kritik an der Regierung und den Medien verknüpfen? Doch die wiederkehrenden Motive, beispielsweise das Plappern der Nachrichtenleute im Fernsehen lassen die Gleichförmigkeit dieser Leben, in denen nichts mehr von Bedeutung passiert, erst recht aufleuchten. Und am Ende trifft dann eine der alten Damen doch noch eine rasante Entscheidung!
Julia Schlecker ist Buchhändlerin und arbeitet als freie Korrektorin und Übersetzerin für Französisch. Die Mutter von zwei Kindern ist zudem im Netzwerk BücherFrauen aktiv.
Diese Buch-Tipps entstanden in Kooperation mit den BücherFrauen. Mehr über die "Women in Publishing"