In einem geknackten Lada fahren zwei Vierzehnjährige quer durch die Republik. Dabei begegnen sie großherzigen und skurrilen Menschen. Und sie begegnen sich selbst. Eine Freundschaftsgeschichte.
Ausgewählt vom Netzwerk BücherFrauen, diesmal von Autorin und Lektorin Christine Stahr.
Wolfgang Herrndorf: "Tschick" (Rowohlt):
"Tschick und ich sind mit dem Auto los gefahren. Dann Verfolgungsjagd mit der Polizei, Krankenhaus. Ich bin später in einen Laster gekracht mit lauter Schweinen drin, und mir hat’s die Wade zerrissen." So erzählt Maik von dem abenteuerlichsten und schönsten Sommer seines Lebens. Er erzählt es Tatjana, dem Mädchen aus seiner Klasse, in das er verliebt ist. Tatjana, für die er wochenlang ein Bild als Geburtstagsgeschenk gezeichnet hat. Tatjana, die ihn nicht auf ihrer Geburtstags-
party haben wollte. Ihn nicht und drei andere nicht. Russen, Nazis und Idioten, wie Maik feststellt. Der Russe ist Tschick.
Er ist erst kürzlich in die Klasse gekommen, trägt immer dieselben Klamotten und riecht manchmal nach Alkohol. Ihn umranken wilde Spekulationen. Russenmafia, ganz klar.
Maik dagegen kommt aus sogenannten behüteten Verhältnissen. Er ist vierzehn Jahre alt, zurückgezogen und ein Außenseiter. Er erzählt in seiner Sprache. Und so ist der Leser, ehe er sich versieht, in den Kosmos eines Jungen eingetaucht, der kein Kind mehr ist und noch kein Erwachsener.
Vier Reifen Freiheit
Maiks Mutter ist Alkoholikerin. Sie verabschiedet sich zu Beginn der Sommerferien mal wieder in eine Entzugsklinik. Maiks Vater fährt mit seiner hübschen jungen Assistentin in den Urlaub. Und da sitzt Maik also plötzlich allein in dem großen Haus, mit einem vollen Kühlschrank und 200 Euro in einer Glasschale. Doch bevor er in Einsamkeit versinken kann, taucht Tschick auf. Er hat einen Lada geknackt. Er lässt Maik nicht in Ruhe, und schon bald brechen die beiden Jungs auf zu ihrer eigenen Urlaubsreise. Sie kurven quer durch Deutschland, ohne Karte, denn Karten "sind für Muschis". Das ist zumindest Tschicks Ansicht. Ob sie rechts oder links abbiegen oder geradeaus fahren, entscheidet deshalb erst mal die Münze.
Merkwürdiges und Menschliches
Auf ihrer Reise treffen sie großherzige und skurrile Menschen. Die Sprachtherapeutin zum Beispiel, die mit 300 Sachen über die Autobahn kachelt, oder Horst Fricke, der erst mit dem Gewehr auf sie schießt und sie dann auf eine Fanta einlädt. Und Isa natürlich, das Mädchen, das auf der Müllkippe lebt und so schön singt. Und vor allem lernen sie sich kennen. Zwischen coolen Sprüchen und zur Schau getragener Lässigkeit entspinnt sich eine innige Freundschaft. Und die ist natürlich unabhängig von Äußerlichkeiten wie Herkunft, Aussehen, Status und all dem anderen Quatsch. Logisch, oder?
Christine Stahr ist Autorin und Lektorin. Sie schreibt Kinderbücher und arbeitet als Journalistin für Zeitschriften, zudem ist sie im Netzwerk BücherFrauen aktiv. Hier entsteht Christine Stahrs Internetpräsenz.
Diese Buch-Tipps entstanden in Kooperation mit den BücherFrauen. Mehr über die "Women in Publishing"